Sabine Barbisch

Die Frage nach dem guten Leben für alle Menschen

Juni 2020

Peter-Paul Pichler lebt in Berlin und arbeitet in Potsdam als Sozialökologe. Das zentrale Forschungsgebiet des gebürtigen Bregenzers ist der soziale Metabolismus. Dabei geht er der Frage nach, wie Gesellschaften organisiert werden können, damit für alle Menschen ein gutes Leben möglich ist.

Seit 2019 ist Peter-Paul Pichler der stellvertretende Leiter im „Future­Lab Social Metabolism & Impacts“ am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Sein berufliches Forschungsfeld ist die industrielle Ökologie bzw. der gesellschaftliche Stoffwechsel, der sogenannte soziale Metabolismus. Pichler erklärt: „Dahinter steht die Einsicht, dass der Mensch über seinen biologischen Stoffwechsel hinaus einen sozialen Stoffwechsel hat. Das bedeutet, wir benutzen Materie und Energie, um unsere Gesellschaften aufrechtzuerhalten. Der Zusammenhang mit dem Klimawandel ist der, dass Treibhausgase ein Abfallprodukt unseres gesellschaftlichen Stoffwechsels sind. Die Frage ist dann, für welche unverzichtbaren gesellschaftlichen Funktionen wir diese ganze Energie verbrauchen und wie wir Gesellschaften so organisieren können, dass ein gutes Leben für alle Menschen innerhalb der physischen Grenzen unseres Planeten möglich ist.“
Wer sich also für Gesellschaften und ihre physischen Grundlagen interessiert, kommt am Thema Klimawandel nicht vorbei, so ist auch Peter-Paul Pichler zur Klima- bzw. Nachhaltigkeitsforschung gekommen: „Ich interessiere mich dafür, wie Menschen historisch und heute Material und Energie nutzen, um Gesellschaft zu reproduzieren.“ Er beschäftigt sich mit seinem Team am PIK auch mit Fragen von materieller Ungleichheit: „Dazu berechnen wir zum Beispiel den Energieverbrauch und die Treibhausgasemissionen verschiedener Einkommensgruppen in Europa, um herauszufinden, in welchem Zusammenhang Einkommen, Energieverbrauch und Lebensqualität stehen.“ In einem anderen Projekt hat er erst die Gesundheitssysteme der OECD-Staaten und dann speziell Österreichs im Hinblick auf ihre Treibhausgasemissionen untersucht; denn Gesundheitssystemen kommt beim Klimaschutz eine besondere Rolle zu, wie der Sozialökologe ausführt: „Weil der Klimawandel global gesehen einerseits zu Mehrbelastungen führen wird, aber das Gesundheitswesen auf der anderen Seite gleichzeitig durch die Nutzung fossiler Brennstoffe schädliche Folgen für Gesundheit und Klima hat. In dem Projekt ging es darum, Möglichkeiten zum Klimaschutz im Gesundheitssystem auszuloten, die die Qualität der Gesundheitsversorgung verbessern oder zumindest nicht beeinträchtigen.“ 
Neben der Forschung ist Pichler mit dem Publizieren von Artikeln in Fachmagazinen, der Betreuung von Student/-innen und dem Einwerben von Fördergeldern beschäftigt. Privat lebt er im Berliner Stadtteil Friedrichshain, deshalb beinhaltet ein Arbeitstag fast drei Stunden Pendeln: „Ich habe viel Zeit zum Lesen oder Hören von Podcasts; das genieße ich zwar, dennoch ist das lang. Am Freitag mache ich schon seit langer Zeit Homeoffice, und die Corona-Krise lässt mich darüber nachdenken, ob ich das in Zukunft etwas ausweiten werde.“ Neben seiner Arbeit kocht er gerne, geht viel spazieren oder macht Sport. „Und neuerdings versuchen meine Frau und ich, unseren winzigen Balkon in eine Hochleistungslandwirtschaft zu verwandeln“, fügt der Wahlberliner lachend an. 

„Unglaubliche Ressourcen mobilisieren“

Das Thema Klimawandel hat in den vergangenen Jahren in der öffentlichen Debatte an Bedeutung gewonnen, Experte Pichler sieht dadurch aber nicht mehr Dynamik in der Klimapolitik: „Von einer ernstzunehmenden Klimapolitik sind wir heute tendenziell weiter entfernt als in den 90er-Jahren. Jugendbewegungen wie Fridays for Future sind ein gewisser Lichtblick, da sie globale Klimagerechtigkeit ernst nehmen und sich dem beengenden Diskurs entziehen, in dem nur Innovation und ‚grünes Wachstum‘ verhandelbar sind, aber keine Verteilungsfragen gestellt werden dürfen.“ Für ihn sind diese Bewegungen aber „leider noch viel zu brav“ und würden zu wenig Unterstützung aus anderen Teilen der Zivilgesellschaft bekommen, um effektiv zu sein. „Für die Klimapolitik der EU wird sehr wichtig sein, welche Antworten auf die Corona-Krise gefunden werden: Um diese wirtschaftlich und gesellschaftlich zu bewältigen, werden unglaubliche Ressourcen mobilisiert werden müssen. Die Frage ist, ob diese dazu genutzt werden, Gesellschaft und Wirtschaft gerechter und zukunftsfähig zu machen oder ob – ähnlich wie in der Finanzkrise – lediglich teure Pflaster verteilt werden.“ 
Das Thema beschäftigt Pichler auch bei seinen Heimatbesuchen: „Ich habe sehr guten Kontakt zu meinen Eltern und meiner Familie in Vorarlberg und sehr viele gute Freund/-innen aus der Schulzeit, die nach wie vor hier wohnen. Interessanterweise sind besonders unter ihnen viele Unternehmer/-innen, die mich zum Klimawandel befragen. Dabei sehe ich, dass der Wille da ist, sich positiv zu engagieren, aber vielfach Unklarheit über die Prioritäten besteht, und die Skala der notwendigen Änderungen nach wie vor nicht bekannt ist. Das hat auch mit dem vielen Geld, das besonders die Erdölindustrie in Werbung für Ablenkungsmaßnahmen und Scheinlösung investiert, zu tun.“ So sagt Peter-Paul Pichler, dass „alle neu gepflanzten Bäume der Welt keine nennenswerte Wirkung haben, wenn wir unser Leben nicht rasch und nahezu vollständig frei von fossilen Energieträgern machen. Das wichtigste politische Ziel, um die Klimakatastrophe abzuschwächen, muss die Abschaffung der beinahe gesamten Erdölindustrie sein. Das wirkt auf viele nach wie vor unvorstellbar radikal.“

Lebenslauf

Am 19.12.1978 wurde Peter-Paul Pichler in Bregenz geboren, wo er auch aufgewachsen ist. Nach der Matura am BG Gallusstraße und dem Zivildienst hat er ab 1998 vier Semester Biologie in Wien studiert und wechselte dann für das Studium der Neuroinformatik an die Universität Ulm (2000 bis 2005). Von 2006 bis 2009 absolvierte er seinen PhD an der University of Hertfordshire in England. Welchselnde Rollen am Potsdam Insitut für Klimafolgenforschung (PIK) folgten, aktuell ist Pichler stellvertretender Leiter im „FutureLab Social Metabolism & Impacts“. Sein Forschungsfeld ist der soziale Metabolismus. Er lebt mit seiner Frau in Berlin.

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