Sabine Barbisch

„Die Zukunft Europas wird nicht von oben verordnet!“

März 2018

Bei der Auftaktveranstaltung zur neuen Europa-Initiative „Wir sind Europa“ plädierte Rainer Münz, Bevölkerungswissenschaftler und Mitglied im Think Tank von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, an jeden einzelnen EU-Bürger, in Dialog über die Zukunft Europas zu treten: „Wohin sich Europa und die Europäische Union entwickelt, kann nicht von oben verordnet werden!“

In welchem Europa wollen wir künftig leben? Eine gemeinsame Antwort auf diese brennende Frage unserer Zeit zu finden, definieren die Partner der neuen Europa-Initiative „Wir sind Europa“ – Wirtschaftskammer, Land und Industriellenvereinigung – als eine der wesentlichsten Herausforderungen der europäischen Partner. Bei der Auftaktveranstaltung im vorarlberg museum stellten die drei Initiatoren vor rund 120 Interessierten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft klar, dass die Europäische Union – bei aller berechtigten Kritik – ein historisch beispielloses Erfolgsprojekt ist. Als Friedensprojekt ist Europa vor allem der älteren Generation ein Begriff, die Jüngeren sind wie „selbstverständlich“ damit aufgewachsen, dass die Mitgliedsstaaten der EU keine Kriege gegeneinander führen. Die Österreicher misstrauen der EU jedoch mehrheitlich. Denn während laut einer aktuellen Eurobarometer-Umfrage innerhalb der EU-28 57 Prozent der Bevölkerung eine gute Sache in der EU sehen, liegt dieser Wert in Österreich bei lediglich 42 Prozent.

Speziell was die Wirtschaft betrifft, verstehen es Österreichs beziehungsweise Vorarlbergs Unternehmen besonders gut, die Vorteile des riesigen EU-Binnenmarktes für sich zu nutzen. „Für 2017 steuert Vorarlberg beim Export auf die magische Jahresrekordmarke von über zehn Milliarden Euro zu“, erklärt Hans Peter Metzler, Präsident der Wirtschaftskammer Vorarlberg. Interessant ist der Vergleich: 1994 lagen die Exporte noch bei 2,7 Milliarden Euro. Die hervorragenden Exportzahlen wirken sich natürlich auch auf die heimische Konjunktur aus: „Vorarlberg ist regelmäßig wirtschaftlicher Wachstumssieger unter den Bundesländern“, berichtet Metzler. Aber selbst hervorragende Zahlen wie diese vermögen es nicht, die Bedenken der Österreicher gegenüber der EU zu entkräften.

EU-Skepsis ausschlaggebend für Initiative „Wir sind Europa“

„Wir haben daher den Anstoß gegeben und mit unseren starken Partnern, Land und Industriellenvereinigung, ‚Wir sind Europa‘ ins Leben gerufen.“ Das gemeinsame Ziel: Die europäische Idee zu stärken, Verständnis für die europäische Integration und die Eurozone zu schaffen sowie offen und transparent Informations- und Aufklärungsarbeit zu leisten. Für den Auftakt des großangelegten Informationsprogramms wurde mit Rainer Münz ein renommierter Bevölkerungswissenschaftler gewonnen, der seit 2015 auch Mitglied im EU-internen Think Tank von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ist. 2018 sieht Münz als besonderes Jahr für die Europäer: „Es ist das letzte Jahr vor den EU-Wahlen und damit vor dem Wahlkampf, der zu einem europapolitischen Stillstand führen wird. Es ist das Jahr der Brexit-Verhandlungen: Wenn heuer keine Einigung zustande kommt, verlässt Großbritannien die europäische Gemeinschaft ohne Deal.“

Wie wir künftig in Europa leben wollen

Für EU-Insider Münz rückt aufgrund des bevorstehenden Brexits, aber auch des Erstarkens EU-kritischer Parteien in etlichen der 27 verbleibenden Mitgliedsstaaten der Union, die Frage, in welchem Europa wir zukünftig leben wollen, in den Mittelpunkt. Im Weißbuch der EU-Kommission zur Zukunft Europas werden als potenzielle Antworten fünf Szenarien definiert: Das erste Szenario ist mit „Weiter wie bisher“ betitelt, die EU würde sich auf die Umsetzung ihrer positiven Reform-Agenda konzentrieren. In der zweiten Variante würde die EU schrittweise wieder auf den Binnenmarkt ausgerichtet werden. „Wer mehr will, tut mehr“ – so lautet die Idee des dritten Szenarios. Mehr Konzentration darauf, in ausgewählten Politikbereichen rascher mehr Ergebnisse zu erzielen, in anderen aber weniger, wird in der vierten Zukunftsvariante „Weniger, aber effizienter“ thematisiert. Das fünfte Szenario trägt den Titel „Viel mehr gemeinsames Handeln“. Die Mitgliedsstaaten würden beschließen, in allen Politikfeldern mehr gemeinsam zu machen.

Egal, welches der fünf Szenarien die Weiterentwicklung der Europäischen Union und damit die Zukunft der europäischen Bürger prägen wird, Rainer Münz wird nicht müde, eines zu betonen: „Die EU-Kommission kann nicht entscheiden, wie die Zukunft Europas aussieht, es gibt keine Verordnung von oben! Aber wir können Vorschläge machen und wir brauchen eine aktive Debatte mit der Bevölkerung der EU-Staaten.“ Das ist ganz im Sinne der Initiatoren von „Wir sind Europa“.

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