Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Ein Gefühl zwischen dem Mulmigen und dem Großen“

September 2019

In ihrem Buch „Beauty“ schreiben Stefan Sagmeister und Jessica Walsh unter anderem: „Es ist wieder an der Zeit, über Schönheit zu sprechen.“ Was aber ist Schönheit?

Eines gleich vorweg, Herr Sagmeister, haben Sie einen Lieblingspunkt in Vorarlberg? Einen besonders schönen?
Derzeit wahrscheinlich der „Skyspace“ von James Turrell in Oberlech. 
 
Was empfinden Menschen als schön an einer Landschaft? Oder an einer Stadt? Lässt sich das beantworten?
Ich kann ein „Schönheitserlebnis“ in den Österreichischen Alpen oder vor der New Yorker Skyline haben. Die Natur brauchte 300 Millionen Jahre für die Alpen, die New Yorker haben die Skyline in 300 Jahren aufgebaut. Wenn ich jetzt in New York aus dem Fenster schaue und die New York Skyline sehe, – im sommerlichen Halbnebel, die obersten 10 Stockwerke des Empire State Buildings verschwinden in einer dichten Wolkendecke, das ist schön. 

In Ihrem Buch „Beauty“ heißt es, sie hätten – früher – beim Wandern im Bregenzerwald – die Gegenwart von etwas Erhabenem empfunden, inwiefern?
Ich glaube, das kennen viele, die in den Bergen unterwegs sind: Man kommt um eine Ecke, der Himmel ist der richtige, die Wolken auch, der Berg präsentiert sich vor einer duftigen Blumenwiese aus einem bestimmten Winkel, die Sonneneinstrahlung ist die richtige, und das Gefühl im Bauch liegt irgendwo zwischen dem Mulmigen und dem Großen.
 
In einem Essay über die Schönheiten von Landschaften heißt es: „Was über Jahrhunderte hin ungesehen und unbeachtet blieb oder das feindlich abweisende Fremde war, wird zum Großen, Erhabenen und Schönen; es wird ästhetisch zur Landschaft.“ Ändert sich also im Laufe der Zeit die Wahrnehmung, was schön ist?
Wir empfinden das als schön, was wir gut kennen. Und der Kontext spielt eine große Rolle: Je sicherer ich mich fühle, desto mehr empfinde ich neue, überraschende Dinge als schön. 
 
Die Frage, ob die Schönheit einer Sache selbst innewohne oder im Auge des Betrachters liege, sei seit der Antike unablässig diskutiert worden, heißt es in Ihrem Buch auch; welche Sichtweise ist denn die Ihre?
Die Schönheit liegt nur in etwa zur Hälfte im Auge des Betrachters. Es gibt weltweit durch die Kulturen eine erstaunliche Übereinstimmung, was schön ist, und was nicht. Eine Definition ist einfach: Schönheit ist die Kombination von Gestalt, Farbe, Materialität, Komposition und Form, die meine ästhetischen Sinne anspricht, speziell mein Sehen.

Braucht es zur Wahrnehmung von Schönheit alle Sinne?
Ja, aber vor allem das Auge, das Ohr, die Nase und den Tastsinn.

Schönheit, auch das steht in ihrem Buch geschrieben, brauche Kontemplation ...
Ich kann mir die Zeit nehmen, um schöne Dinge wirklich zu sehen, ihre Wirkung werden sie aber auch haben, wenn ich sie nicht bewusst wahrnehme. Der Wiener Psychologe und Ästhetik-Experte Helmut Leder vertritt die Theorie, dass die Schönheit eine Abkürzung für das Hirn darstellt, um Entscheidung möglichst schnell und ohne viel Energieaufwand fällen zu können. Wenn er Recht hat, dann müssten alle Konsumenten-Verpackungen auch mit dem gesetzten Ziel der Schönheit gestaltet werden. Dass dies derzeit nicht der Fall ist, lässt sich leicht feststellen: Die meisten Menschen würden die gesammelten Waren eines typischen Supermarktes nicht als „schön“ bezeichnen. Ich kenne keine Verpackungsdesignfirma, die mit Ihren Kunden offen über Schönheit spricht. Das sollte sich ändern. 

Wenn nun jemand von der Schönheit eines Landes spricht, könnte man entgegnen, der Ausdruck sei zu pathetisch. Sie aber sagen auch: „Schönheit ist nichts Triviales, sie ist ein Teil unseres Menschseins.“ Teil unseres Menschseins?
Es gibt viele Anzeichen, dass wir schon in der Steinzeit, auch noch bevor wir Homo Sapiens waren, schöne Dinge hergestellt haben. Alle gefundenen Steinbeile sind absolut symmetrisch, obwohl diese Symmetrie für die Funktion vollkommen unwichtig war, man konnte den Säbelzahn­tiger auch mit einem spitzen, unsymmetrischen Stein erlegen. Wir haben es symmetrisch gestaltet, weil wir es schöner fanden. Oder: In allen uns bekannten Umfragen bekommt blau die meisten Stimmen als Lieblingsfarbe. Der Grund dazu liegt in unserer Evolution: Für unsere steinzeitlichen Vorfahren signalisierte ein blauer Himmel und ein blaues Meer immer gutes Wetter, und damit Sicherheit.
 
Vielen Dank für das Gespräch!

 

 

 

Zur Person

Stefan Sagmeister *6. August 1962 in Bregenz, ist Grafikdesigner und Typograf. Er lebt und arbeitet in New York City. Sagmeister hatte 1993 in New York seine Grafikagentur „Sagmeister Inc.“ gegründet, Plattencover unter anderem für Lou Reed, Rolling Stones, David Byrne und Talking Heads brachten dem gebürtigen Bregenzer Weltruhm. Sechsmal wurde Sagmeister für den Grammy nominiert, zweimal gewann er ihn. Seit 2012 trägt seine Firma den Namen „Sagmeister & Walsh“.

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