Sabine Barbisch

„Ein Leben ohne Forschung kann ich mir nicht vorstellen“

März 2019

Jede freie Minute seines Medizinstudiums hat der Dornbirner Reinhard Fässler seinem Traum, Kinderarzt zu werden, gewidmet. Dass er heute Direktor am Max-Planck-Institut für Biochemie ist, ist einem Zufall geschuldet: „Meine wissenschaftliche Tätigkeit am Institut für experimentelle Pathologie hat mich so fasziniert, dass ich den Ausbildungsstart zum Kinderarzt Jahr um Jahr verschob.“

Seit 18 Jahren ist Reinhard Fässler Professor an der Ludwig-Maximilian-Universität München, Mitglied der Max-Planck-Gesellschaft und Direktor am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München. Sein Forschungsgebiet ist die Integrin-vermittelten Zelladhäsion, zu der er mit Doktoranden und Postdoktoranden wissenschaftliche Hypothesen und Ideen realisiert. „Das ist meine Hauptaufgabe und dafür verwende ich ungefähr 70 Prozent meiner Zeit, den Rest muss ich für administrative Aufgaben freihalten. Zurzeit bin ich geschäftsführender Direktor sowie Gutachter internationaler Institutionen, etwa in Spanien, Dänemark, Holland, Portugal, Israel und Deutschland.“ Die intellektuelle Freiheit der Grundlagenforschung und das motivierende Umfeld schätzt der gebürtige Dornbirner dabei besonders: „Da ich in einer der renommiertesten Forschungsorganisationen der Welt arbeite, gehören die Studierenden und Postdoktoranden, die bei uns aufgenommen werden, zu den besten und kreativsten der Welt. Mit diesem Thinktank werden jeden Tag unglaubliche Ideen produziert. Nicht selten führen einige von ihnen zu einem wissenschaftlichen Durchbruch. Das sind dann die tollen Momente in einem Forscherleben; es ist ein außergewöhnlicheres Erlebnis, wenn ein Mechanismus entschlüsselt und ein biologischer Vorgang plötzlich verstanden wird: Man ist der erste, der von der Entdeckung weiß. Das ist einzigartig!“

Aktuell gilt das Interesse von Fässler und seinem Team der Frage, wie es Zellen gelingt, Physik in Chemie umzuwandeln: „Zellen können biophysikalische Eigenschaften der Umgebung, zum Beispiel die Festigkeit des Gewebes, das sich von Organ zu Organ unterscheidet, wahrnehmen und an der Zellmembran in biochemische Signale umwandeln. Das ‚Europäische Research Council‘ hat uns kürzlich mit acht Millionen Euro gefördert, um genau diesen Prozess zu untersuchen.“ Dabei wollen sie erforschen, wie Zellen mit ihrer Umgebung kommunizieren, erklärt Fässler: „Unser Fokus liegt auf einer riesigen molekularen Maschine, welche die Umgebung abtastet, biochemische und biophysikalische Eigenschaften der Umgebung erkennt und diese Information an das Zellinnere weiterleitet. Die zentrale Komponente dieser Maschine sind die Integrine.“
Vom Kindheitstraum zur Forscherkarriere

Dabei war die Karriere als Wissenschaftlicher nicht sein ursprünglicher Berufswunsch: „Mein Traum war es, Kinderarzt zu werden. Ich habe in jeder freien Minute während meines Medizinstudiums auf Kinderstationen gearbeitet, unter anderem in Stockholm. Es ist ein reiner Zufall, dass ich heute Wissenschaftler bin.“ An der Innsbrucker Klinik wurde Fässler nämlich eine Ausbildungsstelle als Kinderarzt in Aussicht gestellt. Die Bedingung war, sich für mindestens ein Jahr wissenschaftlich zu betätigen: „So hat meine wissenschaftliche Tätigkeit am Institut für experimentelle Pathologie begonnen. Ich war so fasziniert von der Forschung, die ich in meinem Studium leider nicht kennengelernt habe, dass ich den Ausbildungsplatz zum Kinderarzt Jahr um Jahr verschob. Nach ein paar Jahren konnte ich mir ein Leben ohne Forschung nicht mehr vorstellen. Ich habe den Traumjob Kinderarzt mit einem anderen Traumjob eingetauscht.“

Während seiner Karriere hat Reinhard Fässler zahlreiche interessante Stationen durchlaufen. So war er zwischen 1981 und 1984 Turnusarzt in Simbabwe, Dornbirn und Feldkirch, danach war er vier Jahre lang als Arzt am Institut für experimentelle Pathologie der Universität Innsbruck beschäftigt, bevor er von 1988 bis 1991 Postdoktorand am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge, USA, war. Ein Jahr als Forschungsgruppenleiter an der österreichischen Akademie der Wissenschaften am Institut für Molekularbiologie in Salzburg folgte, ab 1993 war er fünf Jahre lang Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München. Als Universitätsprofessor und Leiter der Abteilung für experimentelle Pathologie arbeitete er von 1996 bis 2002 an der Universität Lund in Schweden. Vor 18 Jahren hat es ihn dann als Mitglied der Max-Planck-Gesellschaft und Direktor der Abteilung Molekulare Medizin am Max-Planck-Institut für Biochemie nach Martinsried bei München verschlagen. „Meine Arbeiten an einer der renommiertesten Wissenschaftsinstitutionen der Welt hat meinen Werdegang als Forscher ermöglicht und geprägt. Viele wissenschaftliche Kontakte, die ich heute noch ständig nutze, konnte ich in dieser Zeit knüpfen. Freunde, mit denen meine Frau und ich Urlaub machen, haben wir damals kennengelernt. Insgesamt war und ist das Leben und Arbeiten im Ausland eine großartige und lehrreiche Erfahrung.“

Privat lebt Reinhard Fässler mit seiner Frau in einem typisch bayerischen Landhaus am westlichen Stadtrand von München unweit seines Arbeitsplatzes. Die Lage des Hauses direkt an einem Landschaftsschutzgebiet, ganz in der Nähe des Ammersees, bietet viele Vorzüge. „Meinen Ausgleich finde ich auch in den Bergen, bei mehrtägigen Radtouren und beim Lesen“, erzählt der Wissenschaftler. Sein Sohn hat an der Universität Lund Bauingenieurwesen studiert und sich auf den Bau von Brücken spezialisiert. Mit seiner Familie lebt und arbeitet er in der Nähe von Malmö. „Neben Besuchen in Schweden sind wir natürlich auch regelmäßig bei Freunden und Verwandten in Vorarlberg. Eigentlich war fest eingeplant, nach meiner Emeritierung wieder nach Vorarlberg zurückzukehren, inzwischen fühlen wir uns aber in Bayern zu Hause und werden es bei regelmäßigen Besuchen belassen“, verrät Fässler mit einem Augenzwinkern.

Lebenslauf

Am 8. September 1956 geboren ist Reinhard Fässler in Dornbirn aufgewachsen. Nach der Matura am BG Dornbirn (1975) hat er 1981 an der Universität Innsbruck in Medizin promoviert. Nach seiner Zeit als Turnusarzt arbeitete er an der Universität Innsbruck. Zwischen 1988 und 1991 war der Dornbirner Postdoktorand am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge, fünf Jahre am Max-Planck-Institut für Biochemie folgten, bevor er an die Universität Lund in Schweden wechselte. Seit 2001 ist Reinhard Fässler Direktor der Abteilung Molekulare Medizin am Max-Planck-Institut für Biochemie und geschäftsführender Direktor das Max-Planck-Institut für Biochemie. Mit seiner Frau lebt er in der Nähe des Ammersees, sein Sohn lebt mit seiner Familie in Schweden. 

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