Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Man ist auch für das verantwortlich, was man nicht getan hat“

Mai 2016

Ende Juni läuft die Amtszeit von Josef Moser als Rechnungshof-Präsident aus. Im „Thema Vorarlberg“-Interview zieht Moser (60) Bilanz über seine zwölf Jahre als Österreichs oberster Prüfer und weist dabei noch einmal auf den dringenden Reformbedarf in unserem Land hin. „Dass Reformen nötig sind, weiß jeder“, sagt Moser, „nur glaubt man immer noch, zuwarten und das Problem nach hinten schieben zu können.“

Kann sich unser Land weiteren Stillstand leisten? Und noch mehr Schulden?

Wie dringend der Reformbedarf ist, zeigt ein Blick auf die Budgetzahlen. Von 2010 bis 2014 ist die Gesamtverschuldung in Österreich von 242 auf 277 Milliarden Euro gestiegen. Das Nettovermögen des Bundes lag Ende 2014 bei minus 148 Milliarden Euro. Es gilt, zu handeln, damit Nachhaltigkeit, Demokratie und sozialer Frieden auch für unsere Nachfolgegenerationen gesichert werden können.

Reagiert die Politik in Ihren Augen mit der notwendigen Konsequenz auf diese dramatische Entwicklung?

Noch nicht ausreichend. Dass wir finanziell keinen Spielraum mehr haben, ist jedem bewusst. Dass viel Geld in den Strukturen versickert und nicht bei den Betroffenen – den Patienten, den Schülern und anderen – ankommt, ebenso. Dass Reformen nötig sind, weiß auch jeder. Nur glaubt man immer noch, zuwarten und das Problem nach hinten schieben zu können. Aber es ist mittlerweile 5 nach 12, und es wird außer Acht gelassen, dass man auch für das verantwortlich ist, was man nicht getan hat.

Sie haben die Bildungsreform 2015 mit folgenden Worten kommentiert: „Man hat das Problem erkannt, versucht aber nicht, es zu lösen, sondern nur die eigenen Interessen einzubringen.“ Diese Einschätzung trifft wohl auch auf andere zentrale Bereiche Österreichs zu …

Der Rechnungshof hat in den vergangenen Jahren anhand konkreter Beispiele in zahlreichen Berichten auf den Reformbedarf in Österreich aufmerksam gemacht. Allein zum Bildungssektor wurden seit 2004 insgesamt 67 Berichtsbeiträge veröffentlicht, aber auch in zahlreichen anderen Bereichen – Pflege, Gesundheit, Förderungen oder Pensionen – hat er eine Vielzahl konkreter Umsetzungsvorschläge auf den Tisch gelegt. Damit haben wir wesentlich zum Reformbewusstsein beigetragen. Dass es Reformen geben muss, ist heute allgemein unumstritten.

Sie haben bereits 2004, bei Ihrem Amtsantritt, Bund und Länder zu Strukturreformen aufgerufen. War wohl nur, pardon für die saloppe Formulierung, ein netter Versuch …

Das Nachfrageverfahren des Rechnungshofs zeigt, dass etwa zwei Drittel seiner Empfehlungen umgesetzt werden. Widerstände gibt es jedoch bei System­umstellungen, Kompetenzänderungen oder Maßnahmen, die das Zusammenwirken mehrerer Systempartner erfordern. Gerade hier gibt es aber den größten Reformbedarf und die größten Optimierungspotenziale – beispielsweise bei Bildung, Gesundheit oder Förderungen.

Heißt das, weniger diplomatisch formuliert, dass bei den großen, bedeutenden Themen in Österreich Stillstand herrscht?

In den wirklich wichtigen Bereichen gibt es den größten Handlungsbedarf. Ein Beispiel dafür ist etwa der Bildungsbereich, wo wir in Österreich laut internationalen Studien einen vergleichsweise hohen Input, also hohe Bildungsausgaben, aber nur einen mittelmäßigen Output respektive eine mittelmäßige Wirkung haben. Das bedeutet, dass das Geld nicht bei den Betroffenen, den Schülern, ankommt, sondern stattdessen in den von Kompetenz-Zersplitterungen geprägten Strukturen versickert. Ähnliches gilt für den Gesundheitssektor, die Pflege, den Sozialbereich, die Pensionen oder das Förderwesen. Wenn wir in diesen Schlüsselbereichen nicht die längst fälligen Strukturreformen angehen, werden wir in Zukunft Probleme haben, den Generationenvertrag aufrechterhalten zu können. Gleichzeitig laufen wir Gefahr, Leistungen in Zukunft nicht mehr im gleichen Ausmaß, in gleicher Qualität und gemäß den Bedürfnissen auf alle Österreicher verteilen zu können. Das wäre fatal – und das sollte man verhindern.

Wie erklären Sie sich eigentlich diese Reformunwilligkeit der Bundesregierung?

Nicht zuletzt aufgrund der wiederholten Feststellungen des Rechnungshofs ist das allgemeine Bekenntnis zu Reformen gegeben. Reformunwilligkeit besteht, wie gesagt, vor allem bei Kompetenzänderungen, was aber nicht auf einzelne Akteure beschränkt, sondern auf allen Ebenen festzustellen ist. Man glaubt, weiter in den alten Strukturen verharren zu können. Das ist kurzfristig attraktiver, als das Notwendige zu tun, denn dies erfordert Einsatz, Überzeugungsarbeit und Diskussionsbereitschaft. Zur Umsetzung sind daher der politische Wille und mutige, klar kommunizierte Entscheidungen notwendig.

Ideen zur Besserung gäbe es ja zur Genüge. Der Rechnungshof selbst hat eine Liste mit 599 Reformvorschlägen erarbeitet. Was ist der Stand der Dinge?

Der Rechnungshof hat 2011 das Positionspapier zur Verwaltungsreform veröffentlicht. Die darin enthaltenen 599 Empfehlungen sind auf großes Interesse in der Öffentlichkeit gestoßen. Sowohl von Bürgern als auch von Experten und verschiedensten Organisationen wird immer wieder darauf Bezug genommen. Seit damals hat der Rechnungshof rund 500 Berichte mit weiteren Reformvorschlägen in einer Vielzahl von Schlüsselbereichen – Bildung, Gesundheit, Förderwesen, Infrastruktur, Vergabewesen, Pflege, Pensionen – vorgelegt. Einen gesammelten Überblick über diese Empfehlungen sowie eine Bilanz zum Umsetzungsstand der vergangenen Jahre wird der Rechnungshof demnächst in Form einer Neuauflage des Positionspapiers präsentieren.

Wie oft waren in dieser Zeit die Augen Ihrer Prüfer auf Vorarlberg gerichtet?

Der Rechnungshof hat dem Vorarlberger Landtag seit 2004 insgesamt rund 80 Berichte vorgelegt – zuletzt etwa den Beitrag zum abgestuften Bevölkerungsschlüssel im Finanzausgleich oder zu den Konsolidierungsmaßnahmen der Länder.

Und gab es eine Prüfung, die Ihnen da besonders in Erinnerung geblieben ist?

2013 haben wir die Krankenanstalten in Vorarlberg hinsichtlich der Qualitätssicherung geprüft. Kritisiert haben wir unter anderem die mangelnde Abstimmung der onkologischen Versorgung, das Hygienemanagement und dass an einigen Standorten chirurgische Leistungen im Widerspruch zu Strukturqualitätskriterien erbracht wurden.

Grundsätzlich hat sich gezeigt, dass die Prüftätigkeit und die Expertise des Rechnungshofs auch in Vorarlberg in den letzten Jahren sehr gefragt waren. Auf einstimmigen Beschluss der Stadtvertretung Bregenz prüfte der Rechnungshof im Jahr 2006 die Tiefgarage am Hafen. 2009 ersuchte die Stadt erneut um eine Prüfung, Gegenstand war die Bregenz Tourismus und Stadtmarketing GmbH. Der Rechnungshof kritisierte damals beispielsweise, dass der frühere Geschäftsführer der Bregenz Tourismus & Stadtmarketing GmbH seine Sorgfaltspflichten und der Ausschuss seine Überwachungs- und Kontrollpflichten unzureichend wahrgenommen hatten. 2008 hatte das Unternehmen einen Verlust von rund 775.000 Euro zu verzeichnen, vor allem aufgrund von Großprojekten wie „James Bond“. 2010 prüfte der Rechnungshof auf ein Ersuchen des Landes Vorarlberg Hohenems und nahm dabei insbesondere das Ausgliederungsprojekt der Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung unter die Lupe. Er kritisierte unter anderem, dass die wirtschaftlichen Ziele des Projekts vorrangig auf die Auslagerung der Schulden ausgerichtet waren. Die Umsetzungsbilanz der Rechnungshof-Empfehlungen fällt in Vorarlberg übrigens durchaus positiv aus. So hat das Nachfrageverfahren des Rechnungshofs, in dem er sich jedes Jahr nach der Umsetzung seiner Empfehlungen bei den überprüften Stellen erkundigt, ergeben, dass Vorarlberg den Empfehlungen aus dem Jahr 2014 zum Großteil gefolgt ist. Mehr als die Hälfte hat Wirkung entfaltet, wurde also umgesetzt – oder deren Umsetzung wurde zugesagt.

Wären Sie für eine Steuerautonomie der Bundesländer bei Massensteuern?

Hauptproblem derzeit ist, dass die Aufteilung der Steuereinnahmen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden hochkomplex und intransparent ist und sich die Aufgaben-, Ausgaben- und Finanzierungsverantwortung nicht decken. Die Verteilungsschlüssel sind dabei häufig historisch bedingt, wie etwa der Werbe- und der Getränkesteuerausgleich, und bilden die derzeitigen Erfordernisse der einzelnen Gemeinden nicht ausreichend ab. Der Rechnungshof hat daher auf die Notwendigkeit der Vereinfachung des Finanzausgleichs und einer klaren Zuordnung der Kompetenzen hingewiesen. Der, der eine Aufgabe übernimmt, soll auch die finanzielle Verantwortung dafür tragen. Die Frage der Einhebung der Steuern kann erst danach diskutiert werden.

Jetzt sind Sie der Frage ausgewichen. Wären Sie persönlich für eine Steuer­autonomie der Bundesländer?

Diese Frage geht aus meiner Sicht an der eigentlichen Problematik vorbei. Die Behandlung des Themas Abgabenautonomie – somit der Frage, wer hebt die Abgaben ein und wie werden sie verteilt – erfordert im Vorfeld die Entscheidung der kompetenzrechtlichen Fragen im Zuge einer umfassenden Staatsreform. Sie stellt sich daher erst am Ende des Entscheidungsprozesses, nachdem die Verantwortung für Aufgaben, Ausgaben und Finanzierungen der einzelnen Gebietskörperschaften geklärt ist.

Apropos: Als Kärntner und als Rechnungshof-Präsident muss Sie wohl doppelt empören, wie es dank des Hypo-Alpe-Adria-Skandals um ihr Bundesland bestellt ist …

Im Fall der Hypo hat sich gezeigt, dass viele Köche den Brei verderben. Alle involvierten Stellen – FIMBAG, FMA und OeNB – haben ihre Aufgaben unzureichend erfüllt, die Koordination und der Informationsaustausch haben nicht funktioniert. Der Bund wiederum hat seine Einsichtsrechte unzureichend wahrgenommen. Für die Systemrelevanz der Bank war unter anderem die Haftungsübernahme durch das Land Kärnten ausschlaggebend. Nun gilt es, daraus die entsprechenden Lehren und Konsequenzen zu ziehen.

Und was sagt Österreichs oberster Prüfer zu den Panama Papers?

Geschäfte von Banken mit Offshore-Unternehmen waren bisher nicht Gegenstand einer Rechnungshof-Prüfung. Daher kann er dazu auch keine Aussagen treffen.

Sie waren vor Ihrem Amtsantritt 2004 lange Jahre Klubdirektor des FPÖ-Parlamentsklubs. Hat sich im Laufe der Jahre Ihre Sicht der Dinge auf die Politik geändert?

Ich war nie Parteimitglied. Die Politik ist von vielen Interessenlagen geprägt – daher war es mir stets wichtig, unabhängig zu sein. Der Rechnungshof hat mit zahlreichen Prüfungen seine Unabhängigkeit unter Beweis gestellt und kann daher auf eine hohe Reputation – insbesondere auch unter der Bevölkerung, bei der er als eine der vertrauenswürdigsten Einrichtungen gilt – verweisen. Die Politik hat sich geändert, denn nicht zuletzt aufgrund der Arbeit des Rechnungshofs ist jedem bewusst, dass etwas geändert werden muss und wir uns den Herausforderungen zu stellen haben. Leider hat dieses Bewusstsein noch nicht ausreichend Eingang ins Handeln gefunden.

Sie wurden von Wiener Medien als möglicher Bundespräsidentschaftskandidat gehandelt, unterstützt von ÖVP und FPÖ …

Es ist eine Ehre, als möglicher Bundespräsidentschaftskandidat genannt zu werden. Für mich selbst hat sich diese Frage nie gestellt.

Am 30. Juni endet Ihre Amtszeit. Haben Sie schon Pläne für die Zukunft?

Es war mir immer ein Anliegen, mit meiner Tätigkeit etwas verändern beziehungsweise etwas Sinnvolles bewirken zu können. In welcher Richtung das in Zukunft der Fall sein wird, wird man sehen. Jetzt gilt es, den Rechnungshof einschließlich des Generalsekretariats der INTOSAI, des internationalen Verbands der Rechnungshöfe weltweit, mit vollem Engagement weiterzuführen, um ihn dann so an meinen Nachfolger oder meine Nachfolgerin zu übergeben, wie er heute ist – eine unabhängige, objektive und wirksame Institution der öffentlichen externen Finanzkontrolle mit hervorragenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Vielen Dank für das Gespräch!

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