Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

† In Memoriam Helmut Kramer

Februar 2024

Professor Dr. Helmut Kramer, einer der renommiertesten und profiliertesten Ökonomen Österreichs, verstarb am 28. November 2023 in Wien im Alter von 84 Jahren. Der gebürtige Bregenzer war von 1981 bis 2005 Leiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) und von 2005 bis 2007 Rektor der Donau-Universität Krems. Als Autor war Helmut Kramer für Thema Vorarlberg seit 2014 tätig, in seinen hervorragenden Essays beschäftigte sich der Professor im Laufe der Jahre immer stärker mit der Zukunft und ihren Herausforderungen, er mahnte dabei stets einen sensibleren und bewussteren Umgang mit der Welt ein. In Erinnerung an Helmut Kramer, in Erinnerung an den überaus Geschätzten, veröffentlichen wir nochmals jenen Essay, den der Professor im Mai 2023 geschrieben hatte – und in dem er sich nochmals den großen Fragen unserer Zeit gewidmet hatte.

Als die Regierungsparteien 2020 ihr Programm formulierten, waren Bedrohungen für das bis dahin gewohnte Wachstum der Wirtschaftsleistung erkennbar. In der Zwischenzeit muss man – teilweise überraschend – Symptome einer tiefergehenden, möglicherweise sogar der endgültigen Krise der Entwicklung der Menschheit feststellen. Dazu zählen die Verschlechterung der Ertragsaussichten auf großen Teilen der Erdoberfläche und der Meere, der kaltschnäuzige Bruch des friedlichen Zusammenlebens zwischen Nachbarn und jener von Anstand zwischen politischen Kräften. Die globalen Zusammenhänge sind vielfältiger und komplexer geworden und sie versprechen der bisher gewohnten Zivilisation nichts Gutes. 
Hinzu kommt das rasante und unumkehrbare Vordringen einer neuen Stufe der Technologie, die unsere Fähigkeiten im Arbeits- und Alltagsleben revolutioniert und das Ende der Einmaligkeit menschlicher Erfindungskraft ankündigt (Stichwort ChatGPT). Diese Technologie offenbart die Entfremdung menschlicher Kultur von den Gesetzen der Natur. „Sich die Erde untertan zu machen“, entspricht einem missverstandenen Auftrag an die Menschheit, der diese und die natürliche Ausstattung des Planeten in Gefahr bringt. 
Diese Entwicklungen resultieren nicht nur in einer unabsehbaren Kette an Naturkatastrophen, sondern auch im Unverständnis großer Teile der Erdbevölkerung. Dieses hindert deren Repräsentanten, zielführend und dringlich notwendige Schritte zu unternehmen. Zwar sagt die Wissenschaft verheerende Katastrophen spätestens gegen Ende des laufenden Jahrhunderts voraus, doch sind rechtzeitige Maßnahmen derzeit politisch nicht durchsetzbar. 
Die extrem ungleiche Verteilung von wirtschaftlicher Macht auf der Erde hat mit der ungleichen Geschichte und Organisation menschlicher Gesellschaften, nicht zuletzt mit dem vorherrschenden Erbe des Kolonialsystems, zu tun. Fortgeschrittene westliche Nationen etablierten Einrichtungen, sodass ihre Ausstattung mit Rohstoffen, unter anderem zur Energiegewinnung und von der Verfügbarkeit entsprechender Technologien und Organisationsformen extrem ungleich blieb. Natürlich könnte man, auf die Gefahr des Untergangs der Zivilisation verweisend, eine angemessene Ausstattung aller Nationen und Gesellschaftsschichten vereinbaren. Der Umstieg eines Herrschafts- und Eigentumssystems auf ein anderes wäre jedoch nicht nur der mangelnden Einsicht großer Teile der Bevölkerung, sondern auch kaum absehbaren Erschütterungen der sozialen Ordnung ausgesetzt. Diese Situation ist für die unabsehbare Folge von Naturkatastrophen und Schäden am Erdklima, an Vegetation, an Erwerbsmöglichkeiten, aber darüber hinaus für das Scheuklappenverhalten großer Teile der Erdbevölkerung verantwortlich. Dies hindert deren Repräsentanten, Abhilfe verbindlich zu vereinbaren. Ein erheblicher Teil der Menschheit leidet an extremer Unterentwicklung, ungenügender Ausstattung und am Mangel von lebensnotwendigen Rohstoffen für Ernährung, Wasserversorgung, Energie, Bildung und Medikamenten. 
Die physikalischen Zusammenhänge sind geklärt: Die Atmosphäre der Erde heizt sich auf, weil sich Abgase aus der Verbrennung der wichtigsten Rohenergieträger, besonders aus Kohlenwasserstoffen, in ihrer Atmosphäre sammeln und diese aufheizen. Die Funktion der Erdatmosphäre als Abgaslager ist von der Verfügbarkeit an diesen Rohstoffen abhängig. Einige, meist die technisch fortgeschrittenen Nationen, sichern sich damit enormen Reichtum. Sie nehmen auch in Kauf, dass die Verwendung von Treibstoffen aus Erdöl und anderen fossilen Quellen in den „reichen“ Ländern erheblich zugenommen hat. 
Was unklar bleibt, ist die allgemeine Untätigkeit von großen Teilen der Bevölkerung und deren Repräsentanten. International verbindliche Abmachungen werden öffentlich vereinbart, doch ihre faire Umsetzung wird von feierlichen Worten entschuldigend begleitet. Naturkatastrophen, wie jüngst in der Türkei, geschehen und wir schicken unsere Gedanken und Gebete, doch langfristige Änderungen bleiben aus. Besonders interessierte Bevölkerungsgruppen, vor allem bestehend aus der heutigen Jugend, wollen die andauernde Doppelzüngigkeit nicht hinnehmen und veranstalten Protestbewegungen. Doch ihre Frustration wird zunehmend mit Begriffen wie „Klimakleber“ abgetan. 
Es stellt sich die Frage, wie wir die Bevölkerung und deren Repräsentanten dazu bewegen können, zu begreifen und einzugreifen. Muss die jetzige Generation erst in den Hintergrund treten, um ihren Kindern und Enkeln Raum für nachhaltige Veränderungen zu geben? Noch beunruhigender ist die Frage, ob es zu diesem Zeitpunkt bereits für sinnvolles Handeln zu spät sein wird.

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