Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Moralisten sind eine Plage“

Mai 2015

Ein Interview mit einem Streitbaren: Sozialwissenschaftler und Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier ärgert sich über systematische Volksverblödungsaktionen, nennt Optimisten „Schleimer und Jasager“ und die Grünen Österreichs neue Konservative. Sein Ausweg? Lustvolle Subversion, Witz und Ironie.

Sind Sie ein Provokateur, Herr Heinzlmaier?

Ich meine schon, dass Provokationen wichtig sind, vor allem in einer Zeit, in der sich kaum mehr ein Mensch traut, Kritik zu üben, weil jeder Angst hat, dafür Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. In Österreich ist Kritik nicht gerne gesehen. Kritiker werden in der Regel durch Intrigen und administrative Maßnahmen diszipliniert. Ich möchte gegen diese Kultur der Anpassung und Unterdrückung Zeichen setzen. Ich hoffe, dass ich mir das noch lange leisten kann.

Ihr neues Buch trägt den Titel „Verleitung zur Unruhe“.

Ja, dieses Land braucht Unruhe. Die Menschen sind hier förmlich narkotisiert. Wir alle sind durch kommerzielle Kommunikationsagenturen manipuliert und werden gezielt desorientiert. Die ganze PR-Branche ist dazu angetreten, unseren Geist zu vernebeln. Selbst in den Internetforen dominieren mittlerweile gekaufte Meinungsmacher, die im Sinne ihrer Auftraggeber Stimmung machen. Gegen diese systematischen Volksverblödungsaktionen müssen wir aufstehen. Wir müssen diesen Rattenfängern das Handwerk legen und uns durch direkte Aktionen in die öffentlichen Debatten einmischen.

Sie schreiben, dass Skeptiker und Pessimisten ein gesunder Realismus auszeichne …

Der optimistische und motivierte Mensch ist leistungsfähiger, deswegen ist der Optimismus heute zur Pflicht erhoben worden. Und der Optimist lässt sich leichter regieren, weil er eher zur Zustimmung neigt. Gegen den Optimismus wäre ja auch nichts einzuwenden, wenn er begründet, spontan und authentisch wäre. Aber heute ist er doch eine reine Farce. Wir müssen heute das Optimismus­theater mitspielen, weil wir sonst in Beruf und Gesellschaft benachteiligt werden. Wer erfolgreich sein will, der muss immer bester Laune und voller Zuversicht sein. Dieses Lügentheater erfordert oft mehr Kraft und Energie als die sachliche Leistung, die man uns in der Arbeitswelt abverlangt. Was wir heute wieder brauchen, ist die Fähigkeit zu einem gesunden Realismus und den Mut, auch offen auszusprechen, wenn uns etwas nicht passt oder wenn es uns schlecht geht.

Moralisten und Optimisten sind Ihnen dagegen ein Dorn im Auge. Warum denn dieses?

Moralisten sind eine Plage, Optimisten das perfekte Schmiermittel für das Funktionieren des herrschenden Ausbeutungssystems. Optimisten sind häufig Schleimer und Jasager, die sich kriecherisch hochzudienen versuchen. Sie wollen den Aufstieg durch Anpassung realisieren. Noch schlimmer sind die Moralisten. Sie glauben sich im Besitz der einen reinen Wahrheit und versuchen diese allen anderen aufzuzwingen. Diese Leute sprechen nur von Toleranz, leben sie aber nicht. Das größte Elend haben immer die Überzeugten und Sendungsbewussten in die Welt gebracht. Wenn einer glühenden Glaubens und brennenden Tatendrangs ist, dann sollte man schon auf Distanz zu ihm gehen. Es droht die Gefahr, dass er die ganze Welt in einen grausamen Glaubenskrieg hineinreißt.

Sie ärgern sich über rückgratlose und anpassungssüchtige Softis, die nichts mehr selbst entscheiden können …

Ja, dieses Heer an Jammergestalten und Weicheiern, die heute unsere Gesellschaft bevölkern und auch prägen, ist ein großes Elend. Sie sind aber alle unschuldig an ihrer jämmerlichen Existenz, weil sie durch eine verfehlte Gesellschafts- und Bildungspolitik zu unmündigen Bürgern gemacht wurden. In Österreich wird, vor allem von den Grünen, eine Nanny-Politik betrieben, die keinen Respekt mehr vor der Freiheit des einzelnen Menschen hat. Ziel ist es, die Menschen ein Leben lang im Zustand der Infantilität zu halten. Wie kleine Kinder sollen sie brav das machen, was ihnen angeschafft wird, und dazu auch noch schön bitte und danke sagen. Es kann doch nicht wahr sein, dass man in Zukunft nicht mehr essen dürfen soll, was man will, dass Werbeplakate vom Staat auf ihre politische Korrektheit hin kontrolliert werden, dass Kinder in der Schule in sogenannten „Lebenskompetenzseminaren“ indoktriniert werden sollen und dass die Registrierkasse eines jeden Gewerbetreibenden direkt mit dem Finanzamt verbunden sein muss. Hier wird ein Staatsmonster aufgebaut, das seinen Bürgern erstens nicht vertraut und zweitens an ihnen täglich mehrfache Gewissensprüfungen und Korrektheitskontrollen vornehmen will.

… und zitieren Adornos „Die Herrschaft des Allgemeinen über das Besondere“.

Das Individuum wird heute nicht mehr gerne gesehen. Alle sollen gleichgemacht werden. Das beginnt schon in der Schule, wo man den Gestaltungsspielraum der Lehrer durch die Zentralmatura einengt und möglichst alle durch eine Einheits- und Gesamtschule durchzupeitschen versucht. Am Ende werden wir wohl alle wie die Chinesen der Kulturrevolution im Blaumann mit einem fröhlich-optimistischen Gesicht auf dem Fahrrad zur Arbeit fahren und am Abend in Verhaltenskurse gehen, wo uns beigebracht wird, wie wir uns wertschätzend und einfühlsam dem anderen Geschlecht annähern.

Hat sich die Jugend in diesem Sinne gewandelt? Früher engagiert, heute gleichgültig?

Ich glaube, dass die jungen Menschen heute eine Mischung aus resigniert und demobilisiert sind. Resigniert, weil man keine Ansatzpunkte mehr sieht, an denen man wirkungsvoll verändernd in die Gesellschaft eingreifen könnte, und de­mobilisiert, weil man ihnen beigebracht hat, dass man erfolgreicher ist, wenn man sich anpasst und gehorcht, statt zu rebellieren. Das ganze politische, gesellschaftliche und ökonomische System ist heute ein so perfekter Herrschaftsapparat, dass man schon demoralisiert ist, wenn man ihn nur ansieht.

Apropos gleichgültig: Politik sei nicht viel mehr als ein strategisch geplantes kommunikatives Manöver zur Manipulation der öffentlichen Meinung, heißt es an einer Stelle in Ihrem Buch.

Natürlich. In den politischen Parteien glaubt man heute an nichts mehr. Ihre Programme und Werte nehmen die Parteien selbst nicht mehr ernst. Das Einzige, das zählt, ist die öffentliche Meinung. Politik funktioniert heute nach dem Motto „Sie wünschen, wir spielen“. Das Ganze läuft immer gleich ab: Zuerst indoktriniert man die Leute, dann überprüft man mithilfe der Marktforschung, ob die Indoktrination erfolgreich war, und dann beschließt man die entsprechenden Gesetze.

Sie machen deswegen auch Prototypen des postmodernen Politikers fest. Faymann soll so einer sein …

In meinem Buch habe ich mich ausführlich mit den beiden Politikertypen Faymann und Gusenbauer beschäftigt. Sie sind beide exemplarisch. Gusenbauer steht für den traditionellen polternden Machtpolitiker, der sich wie ein Renaissance-Fürst geriert, Faymann ist der Herrscher neuen Typs, der still und leise seine Fäden zieht und sich weitgehend vor der Öffentlichkeit verbirgt. Während Gusenbauer laut deklamierend durch die Vordertür ein Haus betritt, um dort alles umzukrempeln, schleicht sich Faymann unbeobachtet durch die Hintertür ein und hat sein Werk schon vollendet, bevor die Bewohner überhaupt seine Anwesenheit bemerken. Beides ist natürlich nicht angenehm, aber mir ist Faymann lieber, weil er uns wenigstens das peinliche Protzgehabe eines aufgeblasenen Kleinbürgerhedonismus erspart.

Besonders angetan haben es Ihnen allerdings die Grünen. Warum?

Die Grünen sind die neuen Konservativen. Hätte sich die ÖVP nicht in den letzten Jahren weiterentwickelt, könnte man sie, mit Ausnahme von Wien, mit ihr zusammenlegen und so einen Beitrag zur Vereinfachung der politischen Landschaft leisten. Während die ÖVP sich mehr und mehr zu einer liberalen Bürgerpartei wandelt, übernehmen die Grünen die Funktion einer rückwärtsgewandten, kleinbürgerlichen Partei der unsicheren und ängstlichen Eliten von gestern, der postmateriellen Öko-Akademiker, die durch die Akademikerschwemme von der Proletarisierung bedroht sind. Diese Leute haben Angst vor dem sozialen Abstieg und suchen eine moralische Ordnungspartei, die sie in den Arm nimmt und beschützt. Nun haben die Neos auch noch dafür gesorgt, dass sich die merkantilen liberalen Eliten von den Grünen abgewandt haben. Damit bleibt ihnen nur mehr das Klientel der softifizierten Alt- und Jung­hippies, die sich gerne in Dritte-Welt-Läden, Töpferworkshops und Esoterikseminaren herumtreiben. Dieser radikalen Weltverneinungskultur werden sich die Grünen in den nächsten Jahren mehr und mehr anvertrauen.

Ein Zitat von Ihnen: „Wir gehen rückwärts, in eine Epoche, in der Anpassung belohnt und Kritik bestraft wurde, und die Grünen sind es, die diesen Zug anführen.“

Die Grünen sind die Partei der erschöpften und verzweifelten Moralisten, die es nicht ertragen können, dass der im Zuge der Globalisierung und Ökonomisierung vollzogene Wertewandel ihnen den programmatischen Boden unter den Füßen weggezogen hat. Am Ende bleibt ihnen nicht viel mehr als Räsonnement darüber, dass die Menschen nicht mehr an Gott, die Natur und die protestantische, weltverachtende Moral glauben. Weil die Menschen nicht mehr freiwillig dem politisch korrekten Sprachgebrauch, dem zerbröselnden Feminismus, dem abgehobenen kulturellen Universalismus, der Naturanbetung und anderen typisch grünen Programmatiken folgen, versucht man diese nun zur fraglosen Norm zu erheben. Weil man die Leute nicht mehr überzeugen kann, werden sie nun mit Staatsgewalt in die Pflicht genommen.

Und die Verbotsgesellschaft mehrt und mehrt sich, dringt in immer noch mehr Bereiche ein. Zu ihrem offenkundigen Ärger …

Ich glaube, die Gruppe der Menschen, die von Verboten und Einmischungen in ihr Privatleben genug hat, wird größer. Der Höhepunkt war ja wohl, als man aus den Büchern von Astrid Lindgren das Wort „Negerkönig“ entfernt hat. Da beginnt jetzt offensichtlich eine Säuberungsbewegung, die nun auch das kulturelle Erbe auf Gegenwartsniveau zu bringen versucht. Sigmund Freud hat in seinen Schriften auch das Wort Neger verwendet. Muss man auch diese jetzt umschreiben? Wir sind doch nicht alle zu blöd, um verstehen zu können, dass ein Wort, das früher einmal Usus war, heute nicht mehr verwendet werden soll, weil es diskriminierend ist. Das ist ja wie in der DDR, wo man die Bücher von Herbert Marcuse in sogenannten Giftschränken an den Unis aufbewahrt hat, weil die Nomenklatur dachte, ihre Lektüre würde sofort eine antiautoritäre
Bewegung wie 1968 auslösen.

Ihr Ausweg lautet: Lustvolle Subversion.

Ja, auf gar keinen Fall einen ernsthaften Dialog mit den Moralisten. Sie wollen uns nur ins Gespräch hineinziehen, um uns zu manipulieren und zu neutralisieren. Nein, man muss sich über sie lustig machen, sie der Lächerlichkeit preisgeben. Witz und Ironie sind die richtigen Mittel, um sie in die Defensive zu drängen. Die Leute müssen sich totlachen über Veggie-Day, grün angestrichene Fahrradwege, Sprechverbote, dogmatischen Veganismus, Schulreformen, Plakatzensur, Grapschgesetze, verpflichtende Genderschulungen und ähnliches Zeug. Man darf diesen Unsinn keinesfalls ernst nehmen. Vielmehr muss man seine Realisierung durch Ironisierung stören und ad absurdum führen.

Mehr Spontaneität, weniger Planung?

Dort, wo der Plan regiert, wird das Leben langweilig – das ist eine meiner Grunderfahrungen. Wir müssen wieder mehr das Leben ohne Reflexion lernen, wieder mehr den Bedürfnissen des Körpers folgen und nicht alles durch den Verstand abtöten. Wir brauchen wieder mehr Mut zum Unnützen, zum Unsinn, zum Unvernünftigen. Wir ersticken heute alles, was uns Freude machen könnte, in einer Flut von Bedenken. Bevor etwas praktisch werden kann, haben wir es uns schon verboten. Kein Wunder, dass die Zahl der Neurotiker explodiert.

Vielen Dank für das Gespräch!

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