Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Sensationsjournalismus, Skandale – und die Rolle der Politik im Jahr 1989

November 2019

Bertram Jäger, Landtagspräsident in Vorarlberg 1987 bis 1994, hielt anlässlich seiner Wiederwahl im Oktober 1989 eine Rede im Landesparlament, in der er auch auf Skandale, Politik und Medien zu sprechen kam. Der nachfolgende Auszug der Rede zeigt, dass die Worte des damaligen Landtagspräsidenten auch nach 30 Jahren erstaunlich aktuell sind. Am 22. Oktober feierte Jäger seinen 90. Geburtstag.

Zweifellos ist es in den letzten Jahren schwieriger geworden, Politik zu machen und das öffentliche Leben, den erkannten Notwendigkeiten entsprechend, zu gestalten. Ein bedrohlicher Widerspruch scheint mir erkennbar. Einerseits interessieren sich viele Bürger für die Politik im allgemeinen recht wenig, andererseits engagieren sich Initiativgruppen in Teilbereichen des öffentlichen und gesellschaftlichen Lebens, insbesondere wenn ihre privaten Interessen betroffen sind, sehr stark. Die Gefahr liegt nun darin, dass das Allgemeininteresse zu wenig gesehen oder gar übersehen wird, Partikularinteressen dagegen vordergründig und einseitig gesehen werden. Ein einheitliches gemeinsames Wollen ist – so zeigt die Erfahrung – kaum noch irgendwo erreichbar. Trotzdem werden auch unpopuläre politische Entscheidungen notwendig sein, um den Allgemeininteressen und damit der Gerechtigkeit zum Durchbruch zu verhelfen.

Zweifelsohne haben die Skandale der letzten Zeit der Politik und dem Ansehen der Politiker geschadet. Es ist allerdings eine Heuchelei, so zu tun, als ob es außerhalb der Politik solche Dinge nicht und in der Politik nur schwarze Schafe geben würde. Dazu kommt, dass ein übertriebener Sensationsjournalismus – womit ich nicht alle Journalisten meine, sondern die, die sich darauf geradezu spezialisiert haben – die Skandale in ungebührlicher Weise übertreibt und bestrebt ist, daraus Stoff für möglichst viele Fortsetzungsgeschichten zu machen. Die Vorverurteilung, die in diesen Medien erfolgt, kann auch durch einen Freispruch eines ordentlichen Gerichtes nicht mehr gutgemacht werden und wird – wenn überhaupt – nur noch am Rande und mit wenigen Zeilen erwähnt. Auch der Politiker hat das Recht auf objektive Beurteilung. Verallgemeinerungen, wie sie heute gang und gäbe sind, sind ungerecht.

Wir müssen uns aber auch allen Ernstes die Frage stellen, wo die vielzitierte und sicher auch von uns registrierte Politikverdrossenheit herkommt. Es ist doch eigenartig, dass sich viele Bürger um die öffentlichen Belange nicht kümmern, andererseits aber von den dafür Verantwortlichen erwarten, dass sie zumindest dann tätig werden, wenn es um ihre – eben dieser sonst uninteressierten Bürger – Interessen geht. Grund dafür ist zweifellos eine mehr und mehr um sich greifende Entsolidarisierung. Sie zeigt sich im politischen Desinteresse, sie wird offenkundig an der mangelnden Anteilnahme am öffentlichen Leben, an der fehlenden Bereitschaft, freiwilligen Interessensverbänden oder Vereinen beizutreten; die sinkende Wahlbeteiligung bei verschiedenen Wahlen, besonders wenn keine Wahlpflicht besteht, und vieles andere mehr sind bedenkliche Zeichen, die wir nicht übersehen dürfen. 

Wir können wohl nur beschränkt zur Besserung beitragen. Einmal dadurch, dass sich jede und jeder, die in diesem Hause sitzen, bewusst ist, dass auch von ihrem beziehungsweise seinem Verhalten das Ansehen der Politik und der Politiker abhängt. Kleinlicher Streit, Gehässigkeiten, persönliche Angriffe und Schläge unter die Gürtellinie werden nicht dazu beitragen, das Ansehen der Politik zu verbessern. 

Wir sind Repräsentanten der Bürger und haben eine Vorbildfunktion auszuüben. Wir werden sie ausüben, ob wir wollen oder nicht, im positiven oder eben im negativen Sinne. Wir müssen uns auch bewusst sein, dass wir im Blickfeld der Öffentlichkeit stehen und kritischer durchleuchtet und kritischer beurteilt werden als der Durchschnittsbürger. Maria von Ebner-Eschenbach‘s Wort: „Wer in die Öffentlichkeit tritt, darf keine Rücksichtnahme erwarten und auch nicht fordern“, bestätigt sich immer wieder.

Diesbezüglich sehen wir uns oft einer eigenartig zwiespältigen Haltung gegenüber: Einerseits soll der Politiker einer aus dem Volke, volkstümlich und umgänglich sein, andererseits ist man vielfach nicht bereit, Fehler und Schwächen, die man bei anderen Menschen ignorieren oder tolerieren würde, zu akzeptieren oder gar zu verzeihen. Eine tolerantere Haltung der Öffentlichkeit wäre in manchem angebracht, selbst dann, wenn man sich bewusst ist und mit Recht fordert, dass der Politiker neben fachlichen Kriterien auch hohen sittlich-moralischen Ansprüchen gerecht werden muss. Die ethischen Forderungen, die man an andere Personen stellt, müsste man auch selber zu erfüllen bereit sein.

Damit sollen Skandale nicht bagatellisiert oder gar entschuldigt werden: Es hat zu viele gegeben, als dass die Politik insgesamt darunter nicht gelitten hätte und das Ansehen der Politiker dadurch nicht ramponiert worden wäre. Aber nicht bei uns im Lande, und auch anderswo sind sie – auch wenn es oft so scheinen mag – Gott sei Dank nicht die Regel. Sicherlich wäre es falsch, durch die Skandale angewidert, sich von der Politik abzuwenden. Jene, die die Skandale verursachen, sind meist nicht durch die Politik schlecht geworden, sondern waren es schon, als sie in die Politik kamen. Julius Raab hatte recht, wenn er sagte: „Nicht die Politik, also die Sorge um das Gemeinwohl, verdirbt den Charakter, sondern ein schlechter Charakter verdirbt die Politik.“

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