
Von den Sklaven fremder Uhren
Stefan Klein (49), deutscher Physiker, Philosoph und erfolgreicher Wissenschaftsautor, im „Thema Vorarlberg“-Interview über Glück, Selbstbestimmung und die richtige Unternehmenskultur.
Sie behaupten, dass man Glück lernen kann. Tatsache?
STEFAN KLEIN: Ja. Sie können Glück lernen, indem Sie bewusster mit Ihren Gefühlen umgehen und sich Gewohnheiten aneignen, die Sie glücklicher machen. Indem Sie lernen, gute Gefühle mehr wahrzunehmen, können Sie Ihr Gehirn gewissermaßen umprogrammieren und sich daran gewöhnen, dass Sie Glücksmomente künftig immer leichter und intensiver wahrnehmen und dass sie länger vorhalten. Das Gehirn kann sich wandeln, durch Aufmerksamkeit, durch Training, und davon profitieren Sie.
Und wenn nun jemand vollkommen unglücklich ist?
Häufig sind wir glücklicher, als wir glauben. Glücksmomente sind immer wieder präsent, scheinen selbst an Tagen auf, an denen wir unglücklich sind. Jeder Mensch verspürt Glück – auch jemand, der sich selbst unglücklich nennt.
Das klingt nach Zynismus.
Nein, das ist kein Zynismus. Das ist Realismus. Und hilfreich dazu. Weil gerade der Weg aus dem Unglück darin besteht, die guten Momente – die es eben auch gibt – stärker wahrzunehmen. Ich sage ja nicht, dass das ganze Leben rosig ist. Aber Sie können trainieren, mehr auf die ganz realen guten Augenblicke zu achten, ihnen gewissermaßen mehr Raum geben. So finden Menschen nachweislich aus dem Tal der Niedergeschlagenheit heraus.
Wie kann das trainiert werden?
Schreiben Sie auf, wann es Ihnen gut gegangen ist und was die Auslöser waren! Das hat dreierlei Effekte. Erstens: Sie richten mehr Aufmerksamkeit auf diese guten Momente. Zweitens: Sie dokumentieren, wann es Ihnen gut geht und dass es Ihnen öfter gut geht, als Sie meinen. Das hat sich gerade bei depressiven Menschen als sehr wirksam erwiesen. Drittens: Sie lernen sich selbst besser kennen. Und man muss sich selbst kennen, um sich in Situationen begeben zu können, die einen glücklich machen.
Sie sagten im Rahmen eines Vortrags in Dornbirn, dass Glück Gemeinschaft ist. In unserer egoistischen Welt ist das eine bemerkenswerte Ansage.
Wir hängen der Vorstellung an, dass Glück ein rein individuelles Phänomen ist und dass Glück nur von dem abhängt, was ich für mich bekomme und erreiche. Wir wissen aber aus zahlreichen Forschungen, dass dies falsch ist. Glück ist auch ein soziales Phänomen. Ihr eigenes Glück und das Glück der Menschen um Sie herum lassen sich nicht voneinander trennen. In aller Regel sind Menschen umso glücklicher, je mehr ihnen das Glück ihrer Mitmenschen am Herzen liegt.
Dann wäre in Ihrer Lesart ja der Kommunist der glücklichste Mensch.
Wieso sagen Sie „meine Lesart“? Ich habe Ihnen gerade das Ergebnis sehr großer Untersuchungen mit über zehntausend Menschen zitiert. An diesen Untersuchungen besteht wenig Zweifel. Ich sage ja nicht, dass man eine ganze Gesellschaft nur auf dem Prinzip Mitgefühl aufbauen kann. Das wird nicht funktionieren. Aber tatsächlich kann Gemeinschaftsgefühl rauschhaft sein. Denken Sie an hunderttausend begeisterte Fans einer Fußballmannschaft, die soeben gewonnen hat. Das ist mit das intensivste Glück, das Menschen empfinden können.
Sie raten Unternehmern dazu, ihren Mitarbeitern möglichst viel Freiheit zu geben. Warum?
Weil ein chronisch gestresster Mitarbeiter auf Dauer kein handlungsfähiger Mitarbeiter ist. Chronischer Stress wird durch ein Gefühl der Fremdbestimmtheit und einen Mangel an Kontrolle ausgelöst. Wir wissen, dass Glück dagegen sehr viel mit dem Gefühl von Selbstbestimmung zu tun hat und dass man Glück, geistige Leistungsfähigkeit und Kreativität nicht voneinander trennen kann. Das hat evolutionäre Ursachen. Glück macht uns auf hirnphysiologischem Weg bereit zu lernen. Es steigert unsere Leistungsfähigkeit. In den USA heißt es: „The brain runs on fun.“ Es gibt Unternehmen, die das begriffen haben. Aber ich plädiere in meinen Vorträgen dafür, dass sich dieses Prinzip in noch viel mehr Unternehmen durchsetzen sollte.
Alle Unternehmer, die meinen, penetranter Druck auf die Mitarbeiter führe zu besseren Ergebnissen, irren also?
Ja. Und sie irren umso mehr, je mehr sie auf die Ideen und die Einsatzbereitschaft ihrer Mitarbeiter angewiesen sind. Ein Reinigungsunternehmen können Sie mit dieser Art vielleicht gerade noch so führen, ein Ingenieurbüro, eine Softwareschmiede oder eine Marketingagentur aber mit Sicherheit nicht. Überall dort, wo Kreativität zentraler Unternehmensbestandteil ist, muss ein Unternehmen etwas für das Glück seiner Mitarbeiter tun.
Und sie so davor bewahren, „Sklaven fremder Uhren“ zu werden, wie Sie in einem Ihrer Bücher schreiben …?
Es gibt eine äußere Zeit, die von Uhren angezeigt wird, und eine innere Zeit, die wir erleben. Sklaven fremder Uhren sind Menschen, die die innere Zeit mit der äußeren gleichsetzen, jede Stunde ihres Terminkalenders verplant haben und weitgehend fremdbestimmt sind. Sklaven fremder Uhren haben nicht nur Schwierigkeiten, Glück zu empfinden, sie sterben auch noch früher.
Vielen Dank für das Gespräch!
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