
Von Mensch und Maschine
Von der Figur des fehlerhaften Menschen zum neuen Bewusstsein, dass auch digitale Maschinen fehlerhaft sind: Martina Heßler, Professorin für Technikgeschichte, war bei den Tangenten in Feldkirch zu Gast.
Die Tangenten sind eine gesellschaftspolitische Veranstaltungsreihe, die seit einigen Jahren unter dem Motto „Nachdenken über Fragen der Zeit“ im schönen Ambiente des Theaters am Saumarkt in Feldkirch stattfindet. Mitte November war nun Martina Heßler, Professorin für Technikgeschichte an der TU Darmstadt, bei den Tangenten zu Gast; das Thema des Abends ist die Beziehung von Mensch und Maschine, die westliche Gesellschaften ab der Industrialisierung im 19. Jahrhundert grundlegend prägt.
Sei es in der Fabrikarbeit oder im Güterverkehr der Eisenbahn, Maschinen haben die wirtschaftliche Wertschöpfung und die menschliche Mobilität grundlegend geprägt. Das Bundesland Vorarlberg ist ein anschauliches Beispiel hierfür. Die Stickerei-Industrie ist ab dem 19. Jahrhundert hier beheimatet und ermöglicht nachhaltigen Wohlstand in der Region. Ab dem 20. Jahrhundert entsteht eine starke Metallverarbeitungsindustrie, die für den Wirtschaftsstandort bis heute prägend wirkt.
Doch was bedeutet diese Form der industriellen Wertschöpfung für den Menschen? Inwiefern prägt sie unseren Blick auf die Fabrikmitarbeiterin als ein Mängelwesen gegenüber der zuverlässigen Maschine? Martina Heßler greift diese Fragen auf und diskutiert sie in Feldkirch. Sie nimmt den Menschen in den Blick und spricht mit Peter Bilger über ihr rezentes Buch „Sisyphos im Maschinenraum – eine Geschichte der Fehlbarkeit von Mensch und Technologie“. Die Professorin berichtet von ihrer Forschung und skizziert ein klares Bild: Die Mensch-Maschine-Beziehung gehört zur Grundkonfiguration der Moderne, die sich ab dem 19. Jahrhundert zunehmend einstellt.
Mit diesem Deutungsvorschlag reiht sie sich in eine breitere Diskussion innerhalb der Wissenschaften ein. Was sie aber eigenständig herausarbeitet, ist eine Figur des fehlerhaften Menschen. Obschon bemüht um eine differenzierte Darstellung des Phänomens, kritisiert Martina Heßler im Gespräch einen technikchauvinistischen Blick, der annimmt, dass der Mensch im Vergleich zur Maschine defizitär ist.
Mit Sisyphos im Maschinenraum illustriert die Historikerin ein Deutungsmuster, das historisch seit der frühen Neuzeit immer wieder auftritt. Sisyphos bezeichnet eine Figur aus der griechischen Mythologie, die von den Göttern dazu verdammt wurde, einen großen Stein am Berg hinaufzurollen, der immer wieder herunterfällt, bevor Sisyphos am Gipfel angelangt ist und er muss wieder von Neuem anfangen. Analog dazu halten wir’s mit der Technik, konstatiert Heßler. Unverblümt entwickeln wir neue Maschinen, die neue Probleme schaffen, die wir wiederum mit neuen Maschinen lösen. Und das, anstatt ernsthaft die Frage zu stellen: Welche Technologien wollen wir? Ist Technologie geeignet zur Lösung eines Problems oder braucht es andere Methoden?
Martina Heßler zeigt: Die Figur des fehlerhaften Menschen war bereits in der frühen Neuzeit angelegt. Sie erhärtet sich in der frühen Moderne in einer Gemengelage von Produktionsstätten und Zuginfrastruktur, auf denen hauptsächlich mechanische Maschinen im Einsatz sind, die Befehle ausführen, die ihnen vom Menschen gegeben werden. Die Webmaschine der Stickerei verrichtet zuverlässig ihre mechanischen Bewegungen, um das gewünschte Produkt herzustellen. Im 19. Jahrhundert gilt die Maschine gegenüber dem Menschen als überlegen. Die Maschine ist zuverlässig, sie leistet die aufgegebene Arbeit, kann den ganzen Tag durchlaufen und erreicht eine neuartige Genauigkeit. Der mechanisch-regelhaften Maschine steht ein Mensch gegenüber, der in der Agrarwirtschaft der Vormoderne zivilisiert wurde und deshalb Lebensstile pflegt, die nicht auf die stringent, getaktete industrielle Produktion abgestimmt ist. Der Mensch hier ist ein Mängelwesen: Er ist unzuverlässig, macht Fehler in der Produktion, leidet regelmäßig an Krankheiten und braucht viel Regenerationszeit.
Heßlers Forschung rekonstruiert die Figur des fehlerhaften Menschen bis in das 20. Jahrhundert, wo es sich unter anderem in der neuartigen Fließbandproduktion nach Henry Ford ausdrückt. Die gesamte Wertschöpfung ist nun dem zeitlichen Takt der Maschine unterstellt. Doch zur Figur des fehlerhaften Menschen stößt in den 1970ern die Figur der fehlerhaften Maschine. Exemplarisch dafür beschreibt die Professorin an diesem Tangenten-Abend, wie der russische Offizier Stanislaw Petrow in der Nacht zum 27. September 1983 den dritten Weltkrieg verhindert hat. Im sowjetischen Satellitenkontrollzentrum schlug ein Computer Alarm, eine amerikanische Interkontinentalrakete sei in Richtung der Sowjetunion gestartet. Der Offizier Petrow entschied sich, die Computeralarme als Fehler zu deuten und er behielt damit recht. Petrows Entscheidung steht exemplarisch für ein neues Bewusstsein, dass digitale Maschinen fehlerhaft sind.
Eine engagierte Diskussion rundete den Tangenten-Abend am Saumarkt in Feldkirch ab. Eine Juristin im Publikum plädierte, dass es vor dem Hintergrund technologischer Entwicklungen zugleich eine humanistische Entwicklung braucht, die den Menschen befähigt, mit seinen technologischen Möglichkeiten verantwortungsvoll umzugehen. Es kommt darauf an, so Martina Heßler, die richtigen Fragen zu stellen und über einen unreflektierten Solutionismus hinauszuwachsen.
Tipp!
Vortrag und Gespräch können auf der Tangenten-Homepage nachgehört werden: https://tangenten.at/martina-hessler-sisyphos-im-maschinenraum Davon unabhängig wurde in der September-Ausgabe von Thema Vorarlberg ein Interview mit Martina Heßler publiziert, auf themavorarlberg.at findet sich dieses Gespräch zum Nachlesen.





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