Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Von Wasser und mit Wasser leben

April 2016

Lebenselixier und Gefahrenquelle: Vorarlberg ist ein wasserreiches Land, eine der niederschlagsreichsten Regionen in ganz Europa und eine mit der höchsten Wasser­qualität. Doch Vorarlberg ist auch ein potenziell hoch gefährdetes Land, wie die Hochwasserkatastrophe 2005 drastisch vor Augen führte. „Die Häufung von extremen Niederschlägen und Abflüssen in den vergangenen Jahren in Vorarlberg ist nachweisbar“, heißt es in einer Broschüre des Landes. Die neue Wasserwirtschaftsstrategie des Landes bestimmt den Kurs im Umgang mit Vorarlbergs einzigem Bodenschatz.

Mindestens zwei Liter Wasser sollte der Mensch täglich trinken, bei Hitze noch mehr, raten Ärzte. Und Forscher von der Universität Illinois wollen herausgefunden haben, dass bereits ein Glas Wasser über der ansonsten getrunkenen Menge beim Abnehmen hilft. Sagen zumindest die Wissenschaftler. Doch einerlei, aus welchen Gründen man nun auch Wasser trinken mag, eines ist entscheidend: die Wasserqualität. Und die ist in unserem Bundesland ausgezeichnet. Sämtliche Grundwasserkörper in Vorarlberg befinden sich sowohl mengenmäßig als auch chemisch gesehen in gutem Zustand, selbstredend bei ständiger Überwachung und Berücksichtigung aller entsprechenden Parameter. Auch das geht aus der Wasserwirtschaftsstrategie 2020 hervor, die dieser Tage – rechtzeitig zum Weltwassertag der Vereinten Nationen am 22. März – in Bregenz präsentiert wurde und die der Politik als Anleitung für die kommenden Jahre dienen wird.

Gefahr geht auch vom Bund aus

Die Bilanz ist Rückblick und Ausblick auf künftige Herausforderungen, etwa auf Klimawandel, Ökologie und Hochwasserschutz. Wobei die derzeit konkreteste Gefahr für Vorarlbergs Wasserwirtschaft wohl vom Bund ausgeht. „Der Bund“, sagte Gemeindeverbands-Präsident Harald Köhlmeier, „zieht sich mehr und mehr aus der Siedlungswasserwirtschaft zurück – und kürzt massiv Mittel.“ Damit aber Städte und Gemeinden auch weiterhin ihrer Verantwortung in diesem Bereich der Daseinsvorsorge gerecht werden könnten, brauche es Ausgleichsmechanismen und Fördersysteme: „Und wir sehen auch die große Gefahr, dass die Förderung dem neuen Finanzausgleich zum Opfer fällt.“ Landeshauptmann Markus Wallner, ebenfalls vor Ort, schloss an: „Es herrscht heute schon ein Stau bei Projekten im Bereich der Siedlungswasserwirtschaft, Mittel müssen flüssig gemacht werden – dem Finanzministerium ist klarzumachen, wie viel Geld Vorarlberg in Zukunft für welche Projekte benötigt, als Teil des Finanzausgleichs.“

Wasserreichtum

Vorarlberg ist ein wasserreiches Land, mit großen Grund- und Quellwasservorkommen, mit insgesamt 3933 verzeichneten Fließgewässern. 600 natürliche Seen gibt es in unserem Bundesland, 13 Stauseen, 44 Baggerseen. „Wasser ist Vorarlbergs Bodenschatz“, sagt Landesrat Erich Schwärzler, „und ich kenne keinen größeren Bodenschatz.“ Wasser ist allgegenwärtig, Bäche und Flüsse sind Lebensadern, Erlebnisräume, Energieräume. Wasser ist Rohstoff der Wirtschaft. Wobei der Eindruck nicht täuscht: Vorarlberg liegt in einer der niederschlagsreichsten Regionen in ganz Europa. Es regnet in unserem Land mehr als im österreichischen Durchschnitt – und mehr als in vielen anderen europäischen Regionen. Vergleichbare Niederschlagsmengen werden ansonsten nur noch an der Westküste Norwegens und an der Westküste Schottlands verzeichnet. In Franken fällt beispielsweise ein Viertel der Niederschlagsmenge, die pro Jahr in Vorarlberg verzeichnet wird. In Bregenz regnet es doppelt so viel wie im gemeinhin als verregnet bekannten London – und dreimal so viel wie in Stockholm. In Bregenz werden Niederschläge an durchschnittlich 180 Tagen registriert. Pro Jahr.

„Ein gelobtes Land“

Was diverse Freizeitaktivitäten einschränkt, dient der Wasserbilanz: Niederschlagswasser versickert und bildet zusammen mit Wasser, das aus ober­irdischen Gewässern in den Untergrund gelangt, Grundwasser. Regen in der kalten Jahreszeit ist besonders gut für die Grundwasserneubildung – wenn wenig verdunstet, gelangt mehr in die tiefen Erdschichten. Für Vorarlberg ist dies von elementarer Bedeutung. Beispiel Quellwasser: Die Stollenquelle in Lorüns, die Schwarzbachquelle in Lech und die Fidelisquelle in St. Gallenkirch sind die größten für die Trinkwasserversorgung genutzten Quellen in unserem Bundesland. Eine jede von ihnen liefert pro Sekunde mehr als 100 Liter Wasser, eine jede von ihnen könnte über 60.000 Menschen versorgen. 700 Quellen werden zur Trinkwasserversorgung genützt. Wobei nur ein Drittel der Vorarlberger mit Quellwasser versorgt wird, zwei Drittel dagegen mit Grundwasser. „Und was dieses Grundwasser betrifft“, sagt Thomas Blank, Abteilungsleiter Wasserwirtschaft und federführend bei der Ausarbeitung der Strategie 2020, „leben wir wirklich in einem gelobten Land –wir haben weder ein Mengen- noch ein Qualitätsproblem.“ Tirol ist in einer vergleichbar komfortablen Situation. „Ab Salzburg, vor allem aber im Osten Österreichs gibt es dagegen teilweise gewaltige Qualitätsprobleme mit einem durch Nitrate und Pestizide verunreinigten Grundwasser“, berichtet Blank. Doch wie heißt es so schön? Von nichts kommt nichts. Zwischen 2009 und 2014 wurden in unserem Land 311 Millionen Euro in über 400 Projekte investiert, in Hochwasserschutz, Gewässerökologie, Abwasserentsorgung, Wasserversorgung. Allein im Bereich der Wasserversorgung wurden 107 Projekte realisiert, mit insgesamt 165 Kilometern Leitungen. „Es hat sich sehr viel im Bereich der Wasserwirtschaft getan“, bilanziert Blank.

Nehmen wir an dieser Stelle einen Bereich heraus, stellvertretend für andere, die in der Wasserwirtschaftsstrategie 2020 dargestellt sind. Laut Dietmar Buhmann, dem Leiter des Umweltinstituts, ist ein guter ökologischer Zustand des Wassers zentrales Ziel der Wasserwirtschaft – wobei „guter ökologischer Zustand“ bedeutet, dass das Gewässer mit all seinen Teilkomponenten möglichst nahe am natürlichen Zustand liegen sollte. Dieser Vorgabe entsprachen 2009 in unserem Land 41 Prozent der Gewässer, heute sind es 55 Prozent. Angestrebt wird eine Erhöhung. Eine der besagten Teilkomponenten ist der stoffliche Zustand. Und hier gilt: 92 Prozent aller Oberflächengewässer sind in gutem stofflichen Zustand. Angestrebt wird? Erraten, eine Erhöhung.

Späte Gedanken, gute Entwicklung

Dabei begann man erst spät, sich überhaupt Gedanken um Kanalisierung und Abwasserreinigung zu machen. Die 1966 in Betrieb gegangene Abwasserreinigungsanlage der Landeshauptstadt Bregenz war die erste ihrer Art in ganz Vorarlberg. Heute gibt es im Land 34 kommunale Kläranlagen, in den vergangenen Jahrzehnten waren insgesamt 1,3 Milliarden Euro in diesen Bereich investiert worden. Dabei wurden noch bis weit in die 1970er-Jahre Abwässer ungefiltert in die Flüsse und damit auch in den Bodensee geleitet – es gab weder rechtliche Vorgaben noch ein entsprechendes Umweltbewusstsein. Blank verweist auf eine Karte aus dem Jahr 1972, auf der der Zustand aller zentralen Gewässer im Rheintal abgebildet ist und auf der man erkennt: Alle Flüsse, alle Gewässer waren damals stark bis übermäßig verschmutzt. „Bäche verfärbten sich damals gelb, blau oder rot – je nachdem, was von Industriebetrieben produziert und eingeleitet worden war.“ Das gilt auch für den See: So sauber er heute ist, so schmutzig war er früher. Durch Fäkalien belastete Abwässer waren ungereinigt in den See geflossen, samt Schadstoff­einträgen aus Haushalten, Kommunen, der Landwirtschaft, der Wirtschaft und der rasch wachsenden Industrie.
Noch in den 1980ern, in warmen Sommern, herrschte am Bodenseeufer mitunter Badeverbot, wenn Algen den See grün verfärbt hatten.

Trinkwasser für fünf Millionen Menschen

Heute hat der Phosphorgehalt des Sees wieder jenes Niveau angenommen, das er zu Beginn der 1950er-Jahre hatte. Wobei laut Buhmann „Vorarlberg sich einen Gutteil des Erfolgs auf die eigenen Fahnen heften kann.“ Denn laut dem Leiter des Umweltinstituts besitzt Vorarlberg zwar nur einen Anteil von zehn Prozent des Bodenseeufers, macht die Landesfläche nur 20 Prozent des gesamten Einzugsgebiets aus, „aber von der Vorarlberger Landesfläche gelangen 30 Prozent des Gesamtzuflusses und 30 Prozent der Stofffrachten in den Bodensee“. Heute pilgern Delegationen aus aller Welt an den Bodensee und stellen vor Ort immer wieder eine Frage: „Wie kann es sein, dass ein See inmitten einer so wirtschaftsstarken und bevölkerungsreichen Region eine derart hohe Wasserqualität aufweist?“ Blank berichtet, dass zuletzt eine indische Delegation in Vorarlberg weilte, um sich zu erkundigen, wie man selbiges mit dem Ganges erreichen kann. „Denn der Ganges“, sagt der Vorarlberger, „ist eine Drecksbrühe.“

Hohe Qualität und ein anderes Beispiel

Vorarlberger trinken übrigens kein Oberflächenwasser und kein Bodenseewasser – höchstens unabsichtlich, beim Schwimmen. Aber der Bodensee ist Trinkwasserreservoir für den gesamten süddeutschen Raum, auch für bestimmte Schweizer Regionen, die keine entsprechenden Grund- oder Quellwasservorkommen haben – fünf Millionen Menschen werden mit Trinkwasser aus dem Bodensee versorgt. Das Trinkwasser wird in rund 60 Metern Tiefe entnommen. Und die Qualität ist hoch. „Dieses Wasser“, sagt Blank, „braucht keine bakteriologische und chemische Aufbereitung, es hat im Grunde genommen bereits Trinkwasserqualität.“ Vor wenigen Jahren hatte übrigens ein europäischer Politiker mit einem leicht angewiderten Unterton festgestellt: „Jedes Glas Leitungswasser, das ein Niederländer trinkt, ist bereits sieben Mal durch eine Kläranlage geflossen.“

Drohendes Unheil

Wasser ist Segen. Und Gefahr. „Wir leben auf potenziell hochwassergefährdeten Flächen“, warnt Blank. Deutlich gemacht hat das auf äußerst drastische Weise die Hochwasser-Katastrophe vom August 2005: Starkregen hatte Vorarlberg unter Wasser gesetzt, weite Teile verwüstet. Zuvor beschauliche Flüsse hatten sich in kürzester Zeit in reißende Wildbäche verwandelt, Muren hatten Straßen- und Schienenverbindungen gekappt. Häuser und Betriebsgebäude waren metertief unter Wasser gestanden, ganze Ortschaften über Stunden hinweg von der Außenwelt abgeschnitten. Zwei Todesopfer waren zu beklagen. Die materielle Schadenssumme des Jahrhunderthochwassers? 180 Millionen Euro.

Ursache der starken Niederschläge war eine seltene Überlagerung von Warm- und Kaltfronten, extreme Niederschläge gingen binnen kürzester Zeit über Vorarlberg nieder, in nur vier Tagen regnete es, was es sonst den ganzen Monat regnet. Es war ein Jahrhunderthochwasser, dessen Niederschläge und Abflüsse mit dem Hochwasser von 1910 vergleichbar waren; 64 Gemeinden waren betroffen – und mit ihnen tausende Menschen.
Das Rheintal blieb 2005 dagegen weitgehend verschont. Dort soll nun das gigantische Hochwasserschutzprojekt Rhesi verwirklicht werden. Blank sagt, dass es in Mitteleuropa nichts Vergleichbares gebe, einen großen Fluss, der über eine Länge von 26 Kilometern, vom Bodensee bis zur Illmündung, von hohen Dämmen umgegeben ist, die fünf, sechs Meter über Geländeniveau ragen. Sollten diese Dämme, die nicht dafür ausgerichtet sind, überströmt zu werden, jemals brechen – der Schaden wäre gigantisch. Wallner sagte bei der Präsentation der Wasserwirtschaftsstrategie, das Projekt genieße „allerhöchste Priorität, da ein Schadensfall Vorarlberg um Jahrzehnte zurückwerfen würde.“

„Risiko akzeptieren“

Seit dem Hochwasser 2005 wurden pro Jahr in Vorarlberg übrigens durchschnittlich 30 Millionen Euro von Gemeinden, Land und Bund in die Verbesserung des Hochwasserschutzes investiert. So viel das auch ist: „Wichtig ist die Erkenntnis, dass ein absoluter Schutz vor Hochwasser nicht möglich ist, wir müssen ein gewisses Risiko akzeptieren – und richtig damit umgehen“, heißt es in einer Broschüre des Landes. Und noch etwas steht dort geschrieben: „Die Häufung von extremen Niederschlägen und Abflüssen in den vergangenen Jahren seit 1999 im Land Vorarlberg ist nachweisbar.“

 

Bodensee - Fangeinbruch

Gut für die einen, schlecht für die anderen: Der nährstoff­arme See stellt Berufsfischer vor existenzielle Probleme.

Die Fischerei-Erträge im Bodensee-Obersee bewegen sich seit 2012 auf niedrigem Niveau, im Vorjahr kam es zu einem weiteren Fangeinbruch: Mit insgesamt 33,8 Tonnen lag der Ertrag der Vorarlberger Berufsfischer (15 an der Zahl) noch einmal um ein Drittel tiefer als in den Vorjahren und erreichte nur noch etwa die Hälfte des Zehnjahresmittels von 67 Tonnen. Zurückzuführen ist das auf die Nährstoffsituation – den Zielen der Wasserwirtschaft zur Wasserreinhaltung entsprechend, ist der Bodensee mittlerweile schlichtweg zu nährstoffarm geworden.

Die zurückgehenden Fangerträge stellen allerdings die Berufsfischer – 122 sind insgesamt rund um den Bodensee gemeldet – vor existenzielle Probleme. Nach Angaben des Biologen Nikolaus Schotzko, Fachbereichsleiter Fischerei im Land Vorarlberg, sollte ein Berufsfischer pro Jahr mindestens sieben Tonnen Fische fangen, um eine Familie ernähren zu können; der tatsächliche durchschnittliche Fang betrage mittlerweile nur mehr zwei bis drei Tonnen. Wegen der zurückgegangenen Fangerträge hat die Internationale Bevollmächtigtenkonferenz unter anderem Anpassungen der eingesetzten Netze beschlossen. Und angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage werden die betroffenen Fischerfamilien in Vorarlberg vom Land in den Jahren 2015 und 2016 mit einer Überbrückungshilfe für den Ankauf neuer Netze unterstützt. Für 2015 betrug diese Förderung für die Vorarlberger Berufsfischer 20.000 Euro, damit wurde der Ankauf von rund 70 neuen Netzen unterstützt.

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