Vaheh Khachatouri

Vorarlberg – ein Forschungsstandort?

Februar 2016

Technologische Innovationen und neue Erkenntnisse insbesondere in den Naturwissenschaften sorgten oft in der Geschichte der Menschheit für neue Wachstumsschübe. Bei den größten Herausforderungen, mit denen wir heute konfrontiert sind, handelt es sich aber nicht bloß um physikalisch-technologische Problemstellungen. Die Menschheit steht mitten in einer entscheidenden Entwicklungsphase.

Die Sicherung der Energie- und Rohstoffversorgung, die gleichzeitige Wiederherstellung der ökologischen Balance und die Wahrung eines weltweiten ökonomischen Ausgleichs stellen gewaltige globale Herausforderungen dar. Die Folgen dieser Dynamik äußern sich als politische, wirtschaftliche und soziale Krisenherde. Großflächige kriegerische Aus­einandersetzungen und soziale Not sind die Auslöser von Wanderungsbewegungen, die ein massives räumliches Aufeinandertreffen unterschiedlicher kultureller Perspektiven nach sich ziehen. Neuartige Lösungsansätze werden gesucht, da die vertrauten Pfade nicht mehr zielführend erscheinen. Vor diesem Hintergrund rücken Wissenschaft und Bildung in den Fokus des gesellschaftlichen Interesses.

In den Augen eines Wahlvorarlbergers, der das Land seit zwanzig Jahren aus der Nähe kennt und dessen Entwicklung mit Interesse beobachtet, hat es den Anschein, als ob hier in den vergangenen Jahrzehnten sehr vieles sowohl aus wirtschaftlicher als auch aus sozialer und gesellschaftlicher Sicht „ghörig“ gemacht worden wäre. Dennoch anzunehmen, dass die globalen Herausforderungen vor den Toren Vorarlbergs Halt machen würden, wäre nicht angebracht. Sich in trügerischer Sicherheit zu wiegen, würde nicht zum pragmatischen, zupackenden Wesen der Menschen hier passen. Dahingehend waren die Themen Wissenschaft und Forschung in den vergangenen Monaten wiederholt Gegenstand politischer Stellungnahmen in Vorarlberg. Wissenschaftspolitische Maßnahmen wurden beschlossen und Ideen vorgestellt. Vor ihrer praktischen Umsetzung werden aber die konkreten Schritte im Detail ausgearbeitet werden müssen.
Eine klare Definition und gegenseitige Abgrenzung wichtiger Begriffe bilden eine gängige Methode, die in komplexen Situationen wertvolle Handlungshinweise liefern kann. Im vorliegenden Beitrag wird versucht, aus einer solchen Analyse einige Hinweise zu Themen, die erstens wichtig erscheinen und zweitens im Kompetenzbereich des Landes liegen, abzuleiten.

Fachhochschule Vorarlberg

Wissenschaft ist die Basis jeglicher höherer Bildung. Sie bedient sich der Forschung, um neues Wissen zu erzeugen. Forschung ist der Prozess der systematischen Gewinnung von neuem Wissen. Ohne Forschung gibt es keine Wissenschaft.
Die Fachhochschule Vorarlberg hat als Einrichtung für tertiäre, anwendungsorientierte Bildung einen sehr hohen Stellenwert für das Land. Ihre Absolventinnen und Absolventen sind von der Wirtschaft nicht wegzudenken. Sie hat auch österreichweit eine Vorreiterrolle als Fachhochschule mit eigener Forschung und wird von der Landesregierung jährlich mit einem entsprechenden Budget ausgestattet. Die Forschungsgruppen der Fachhochschule Vorarlberg spiegeln aber derzeit nur zum Teil das Studienangebot wider.

Ohne die praktische Vermittlung von Methoden, die in der Forschung angewendet werden, um Probleme kritisch anzugehen, kann nach international akzeptierten Maßstäben keine Rede von hochwertiger wissenschaftlicher Bildung sein. Auch dann nicht, wenn ein Teil der Lehrenden in der Vergangenheit selber in der Forschung tätig war. Infolgedessen kann ein Fachhochschulstudiengang erst dann eine vollwertige wissenschaftliche Ausbildung anbieten, wenn er seinen Lehrenden und Studierenden die Möglichkeit bietet, in ausreichendem Maß und im Fachgebiet ihres eigenen Studienganges an Forschungsvorhaben teilzunehmen.

Wissenschaft und Forschung sind auf talentierten Nachwuchs mit guter Allgemeinbildung angewiesen. In diesem Zusammenhang besteht Bildung nicht nur aus Sachwissen und mühsam eingeprägten Rechenschritten zur Lösung mathematischer Scheinaufgaben. Eine Schule, die unter dem Deckmantel der Allgemeinbildung rein lexikalisches Wissen vermittelt und versucht, möglichst verhaltensnormierte Menschen zu bilden, ist längst ein Auslaufmodell, da sie nicht der herausfordernden Dynamik unserer Zeit entspricht. Das gilt unabhängig davon, ob der Unterricht in einer Vormittags-, Abend- oder Ganztagschule stattfindet.

Höhere Technische Lehranstalten

Die Menge des Wissens verdoppelt sich etwa alle fünfzehn Jahre. Daher stellen methodische Fähigkeiten, sich selbstständig Wissen anzueignen sowie Probleme systematisch zu analysieren und zu lösen, unverzichtbare Bestandteile jeder Allgemeinbildung mit dem Anspruch auf kritischen und konstruktiven Umgang mit der Welt dar. Natürlich setzt das ein gewisses Basiswissen in den wichtigen Fächern voraus. Ein zeitgemäßes Schulsystem sollte sich regelmäßig die Frage nach der Relevanz und Halbwertszeit des vermittelten Wissens stellen. Technische und sozialwissenschaftliche – zu denen auch die Wirtschaftswissenschaften gehören – Allgemeinbildungsinhalte werden sowohl in den allgemeinbildenden höheren Schulen als auch in der Ausbildung der Lehrkräfte sträflich vernachlässigt.

Wer sich mit den Lehrinhalten der Höheren Technischen Lehranstalten (HTL) auseinandergesetzt und mit HTL-Absolventen zusammengearbeitet hat, wird bestätigen, dass es diesen Bildungseinrichtungen im Allgemeinen sehr gut gelingt, neben Wissen auf dem aktuellen Stand der Technik und berufspraktischen Fähigkeiten vor allem auch Problemlösungskompetenz zu vermitteln. Daher ist dieser Schultyp nicht nur für den Wirtschaftsstandort, sondern auch hinsichtlich der Bildung von Nachwuchskräften für Forschung und Wissenschaft sehr wichtig.

Außeruniversitäre Forschung

Das Autonomiebestreben der Wissenschaft hat eine jahrtausendealte Tradition und bewirkt als Gegenreaktion den verstärkten Drang der Politik, die Wissenschaft vollständig unter ihre Kontrolle zu bringen. In Österreich gelingt das aufgrund der verfassungsrechtlichen Verankerung der Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre am unspektakulärsten in der außer­universitären Forschung. Hier toben sich jegliche Lenkungs- und Kontrollinstanzen von der Europäischen Kommission bis hin zur Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft aus. Operiert wird mit sämtlichen Werkzeugen der Gestaltung, Planung, Steuerung und des Controllings; manchmal auch mit unscharfen Instrumenten, dafür aber oft ohne Narkose.

Die Mitfinanzierungsentscheidung der Forschungsvorhaben seitens des Staates erfolgt im Wesentlichen für Vier- bis Fünfjahreszyklen im Rahmen von österreichweit ausgeschriebenen Wettbewerbsverfahren. Die Ausschreibungszeiträume werden oft kurzfristig mitgeteilt oder aus Gründen, die nicht bekannt gegeben werden, verschoben. Der Aufwand für die Antragstellung und Berichterstattung steigt ständig und bindet beträchtliche Ressourcen. Ohne substanzielle Basis- und Überbrückungsfinanzierung bleiben Dinge wie Planungssicherheit und ein gewisser Handlungsspielraum, die für gedeihliche wissenschaftliche Forschungsarbeit enorm wichtig sind, auf der Strecke.

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