Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Was die Handschrift eines Menschen verrät

April 2015

Wer unleserlich schreibt, legt auf klare Kommunikation wenig Wert. Hat ein Erwachsener eine kindliche Handschrift, ist dessen Persönlichkeit nicht stark entwickelt. Die Wienerin Elisabeth Charkow, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Graphologie und Schriftexpertise, erklärt im Interview mit „Thema Vorarlberg“, was die Handschrift eines Menschen aussagt.

Was verrät die Handschrift eines Menschen, Frau Charkow?

Aus einer Schrift lassen sich Eigenschaften der Gesamtpersönlichkeit herauslesen. Man sieht, wie es um die psychische Stabilität des Betreffenden bestellt ist. Man sieht, ob der Autor ausgeglichen ist, man kann dessen Individualität und Reifegrad beurteilen. Darüber hinaus sagt die Handschrift auch etwas über Vitalität und Willen aus, über den Gefühlsbereich und die Denkweise. Auch über die sozialen Kompetenzen des Schreibers lässt sich vieles sagen.

Inwiefern?

Eine gute Mischung zwischen geschriebenen und ungeschriebenen Stellen zeigt beispielsweise einen sozial kompetenten Menschen. Ist das Schriftbild zu dicht, nimmt der Schreibende zu viel Raum für sich in Anspruch; ist das Schriftbild zu weit auseinandergerissen, isoliert sich die Person. Ist die Schrift zu weich, ist die Person beeinflussbar oder irritierbar. Ist die Schrift zu hart oder zu versteift, hat man keine gute Empathie. Nehmen wir einmal an, jemand schreibt kleine Buchstaben. Auffallend klein.

Das würden Sie wie deuten?

Eine kleine Schreibschrift kann für Bescheidenheit sprechen, kann für Sachlichkeit sprechen, aber auch für Antriebs- und Impulsschwäche, kann aber auch zeigen, dass der Betreffende kein sehr starkes Selbstbewusstsein hat. Aber Vorsicht: Nur weil jemand klein schreibt, kann man nicht davon ausgehen, dass derjenige kein Selbstbewusstsein hat. Man müsste diese kleine Schrift mit anderen Merkmalen kombinieren. Denn an einem einzelnen Merkmal lassen sich keine Persönlichkeitseigenschaften festmachen. Es sagt noch nichts aus, wenn jemand an einer Stelle einen Haken macht und an einer anderen einen Bogen. Die Kombination mehrerer Merkmale ist entscheidend, das Schriftgesamtbild gibt den Ausschlag.

Aber ein Schriftgesamtbild in einer insgesamt unleserlichen Schrift stünde für …?

Natürlich kann auch Eile, Nervosität oder Gereiztheit zu einer unleserlichen Schrift führen. Schreiben ist aber eine Kommunikationsform. Um kommunizieren zu können, muss man ein Mindestmaß an Regeln einhalten. Eine klare handschriftliche Verständigungsweise zeigt Rücksichtnahme auf den Leser. Nun gibt es Menschen, denen das relativ egal ist. Das heißt: Wer unleserlich schreibt, hat gar nicht das Bedürfnis, verstanden zu werden.

Sie sprechen jetzt von Ärzten, oder? Und von deren unleserlichen Rezepten?

Es heißt, dass früher unleserliche Schriften auch ein Code zwischen den Ärzten und den Apothekern waren – man wollte gar nicht, dass der Patient lesen kann, was der Arzt da aufschreibt. Aber verallgemeinern darf man das nicht. Ich kenne unleserliche Ärzteschriften. Ich kenne aber auch leserliche Ärzteschriften. Und ich glaube beispielsweise nicht, dass Juristen leserlicher schreiben als Ärzte. Aber prinzipiell gilt: Wer klar schreibt, will sich klar verständigen, wer unleserlich schreibt, legt auf klare Kommunikation weniger Wert.

Und wenn jemand nun eine ausgewiesene Kinderschrift hat? Was kann das bedeuten

Die Handschrift entwickelt sich, so wie sich die Persönlichkeit entwickelt. Das ist ein Prozess, beginnend mit der ersten Klasse Volksschule, über weiterführende Schulformen, über die Pubertät hinweg. Hat ein 40-jähriger Mensch also eine sehr kindliche Handschrift, dann wird er seine Persönlichkeit, seine Individualität auch nicht sehr stark entwickelt haben. Das heißt, er bleibt bei einem normgerechten und normgetreuen, wenig eigenständigen Verhalten und Denken. Eine kindliche Handschrift eines Erwachsenen zeigt, dass er nicht eigenständig ist.

Wie groß muss das Schriftstück sein, damit Sie Rückschlüsse ziehen können? Reicht da eine Unterschrift?

Die Unterschrift alleine ist zu wenig. Sie ist ein Aushängeschild der Persönlichkeit, dort drücken sich oft auch die Wünsche aus, wie man als Person wirken möchte – an bombastischen, verschnörkelten Unterschriften ist das deutlich zu sehen. Ich erbitte mir, um ein Gutachten erstellen zu können, immer eine Seite in Form eines frei geschriebenen und unbefangenen Texts.

Besagte Texte werden aber immer seltener. Die E-Mail hat den handschriftlich verfassten Brief längst ersetzt …

Leider. Handschreiben ist auch eine Fingerfertigkeit. Und je mehr ich etwas betreibe, je mehr ich etwas übe, desto besser kann ich es auch. Wer je ein Instrument erlernt und dann längere Zeit nicht mehr gespielt hat, weiß, was das bedeutet – es bleiben zwar die einstmals eingelernten Bewegungen, aber die Leichtigkeit und die Gewandtheit sind verschwunden. Genauso ist es auch mit dem Schreiben. Von Hand zu schreiben heißt also auch, das Gehirn ganzheitlich in Anspruch zu nehmen, denn Schreiben ist ein sehr differenzierter Bewegungsablauf, an dem verschiedene Gehirnregionen beteiligt sind.

In finnischen Schulen soll die Schreibschrift abgeschafft werden.

Ja, und das wird mittlerweile auch in Österreich diskutiert. Ich verwahre mich aber immer gegen diese Entweder-oder-Geschichten. Warum müssen die Dinge denn immer in Konkurrenz zueinander stehen? Warum kann man nicht beides zeitgleich machen? Es ist doch das Schönste, reich an Möglichkeiten sein zu können. Neue Medien sind wichtig, wir müssen sie nutzen. Aber daneben sollten wir auch die Handschrift hegen und pflegen. Handschrift ist ein Kulturgut, und die sich im Laufe der Geschichte ändernden Handschriften sind immer auch ein Ausdruck der jeweiligen Zeit. An den Handschriften von Stefan Zweig, Franz Grillparzer oder Bertha von Suttner – um nur einige Beispiele zu nennen – spürt man immer noch das Flair dieser Persönlichkeiten.

Schreiben Sie selbst noch regelmäßig?

Ja. In meinem Freundeskreis wird das ein bisschen kultiviert. Im Übrigen ist es doch auch viel netter, einen Brief oder eine Postkarte zu schreiben, statt eine SMS zu senden. Es ist doch schön, wenn man den Briefkasten öffnet und eine Postkarte oder ein handschriftlich verfasster Brief darin  liegt. Das bekommt man doch heute gar nicht mehr! In den heutigen Briefkästen liegen ja nur noch Werbungen und Rechnungen.

Vielen Dank für das Gespräch!