Gerald A. Matt

Kunstmanager, Publizist und Gastprofessor an der Universität für angewandte Kunst Wien

„Was heute hässlich ist, ist morgen schön“

März 2021

Marte.Marte Architekten, das sind Bernhard und Stefan Marte und ihr Architekturbüro in Feldkirch. Mit ihren viel beachteten Projekten, darunter der Totenkapelle in ihrem Heimatort Weiler, der Neuen Messehalle in Dornbirn und den Museen in Krems und Berlin zählen sie längst, wie die NZZ schrieb, „zu den international beachteten Vertretern der zeitgenössischen österreichischen Architektur“. Gerald A. Matt unterhielt sich mit dem Toparchitekten Stefan Marte.

Sie haben den neuen spektakulären Museumsbau in Krems 2017 fertiggestellt. Wurde da ein Traum wahr, was macht einen Museumsbau so interessant für Architekten? 

Ja, ein Museum zu bauen, war von Bernhard und mir immer schon ein Traum. Da ist nicht nur Funktionalität gefordert, ein Museumsbau bietet auch unglaubliche Gestaltungschancen. Denn da kommt Architektur der Bildhauerei sehr nahe. Dass es uns möglich war, die neue Landesgalerie zu bauen, war und ist für uns eine Herzensangelegenheit.
 
Architektur und Kunst werden da eins?

Ja und nein, einerseits geht es darum, ein Zeichen zu setzen, Architektur als Landmark für die Kunst zu schaffen. Andererseits hat Architektur gestellte Aufgaben zu lösen, muss gebrauchstauglich und auch nachhaltig sein. Auch hier stellt sich die Frage: Was ist nun richtig in der Architektur, was ist falsch? Falsch wäre jedenfalls, alle Museen auf „white cubes“ zu reduzieren. Uniforme funktional perfekte Baukörper hinzustellen, die ob ihrer Gleichheit nur pure Langeweile ausströmen. Das andere Extrem wäre das Museum, das Kunst quasi nicht mehr möglich macht. Uns ging es darum, eine Markierung für und nicht gegen die Kunst zu schaffen, ein Leuchtturmprojekt mit internationaler Ausstrahlung, aber auch für den konkreten Ort die richtige Lösung zu finden. Indem wir die Grundflächen in quadratischem Format nach oben hin verdrehten, entstand eine dynamische Figur, die sowohl das Museum zur Altstadt hinwendet als auch mit Donau und Wachau verbindet und spannende Innenräume für die Kunst anbietet.
 
Ein anderes Projekt von Euch rief große Medienresonanz, aber auch kontroverse Debatten hervor: die Umgestaltung des Hitlerhauses in Braunau. Der Vorwurf lautete, eure Architektur würde die Geschichte des Hauses unsichtbar machen, ja verdrängen?

Anfangs überraschte uns diese Diskussion total. Wir haben ja einen internationalen Wettbewerb gewonnen, und nichts liegt uns ferner als die Auslöschung von Geschichte, ja der Gräuel des Nationalsozialismus. Im Gegenteil, es ging auch darum, die Geburtsstätte Hitlers als „Nazi-Wallfahrtsort“ zu neutralisieren und das Haus auch in seiner historischen Dimension zu rekonstruieren. Die durch unsere architektonischen Überlegungen ausgelöste Diskussion sehe ich jedenfalls positiv, auch was das Verhältnis von Architektur und Geschichte angeht. 
 
 

Für sich selbst zu bauen, ist für Architekten wohl die schlimmste und lehrreichste Erfahrung.

Gibt es so etwas wie euren wichtigsten Bau, in dem sich Eure Haltung verdichtet, einen Signaturbau? Was zeichnet diesen aus? 

 Ja, wobei man das in kleineren Projekten leichter abbilden kann als bei größeren komplexeren Gebäuden. Eines davon ist unsere Schutzhütte in Laterns, ein turmartiges viergeschossiges Gebäude, sehr skulptural, schlicht, das als Ski- und Schutzhütte verwendet wird und mit der umliegenden Berglandschaft spielt. Aber das wichtigste und signifikanteste Gebäude ist wohl unser Wohnhaus, das Bernhard und ich für unsere Familien selbst gebaut haben. Für sich selbst zu bauen, ist für Architekten wohl die schlimmste und lehrreichste Erfahrung. Unser Anspruch war extrem hoch, ein klassisches, ja zeitloses Gebäude zu errichten, das sich auch in 10, 20 Jahren nicht einordnen lässt und unsere Haltung manifestiert. Wir haben das Haus auf das absolute Minimum reduziert, wollten keine Fenster, nur offene verglaste Wandflächen, nur Beton und Birkenholz. 1992 haben wir begonnen, nach acht Jahren war es endlich fertig. Jetzt wohne ich 20 Jahre darin und schaue mir das Haus immer wieder an und bin nach wie vor begeistert. Ich denke, gerade mit diesem Haus haben wir unglaublich viel gelernt, vor allem, welche Kraft Abstraktion und Reduktion haben.

Ihr seid in Vorarlberg geblieben. Was spricht für Leben und Arbeiten in Vorarlberg, macht man leichter Karriere in einer Metropole? 

Ich glaube unser Werdegang zeigt, dass es im Computerzeitalter kein Thema ist, wo man seinen Bürostandort wählt. Im Gegenteil, wir können in Ruhe arbeiten, sind regional verwurzelt und machen bei internationalen Wettbewerben mit. Die guten Bedingungen für Architektur in Vorarlberg gehen auf die Baukünstlerbewegung zurück, auf deren missionarischer Arbeit und deren Kampfgeist, davon profitieren wir alle bis heute. 
 
Wie wurden aus Marte und Marte Architekten?
Gab es da ein Initiationserlebnis? 

Nein, das war ganz undramatisch, keine tolle Geschichte, wir wuchsen auf der Baustelle auf. Unser Vater war Bodenleger, daher auch unsere Liebe zum Holz. Später machten wir dann beide die HTL für Hochbau in Rankweil. Mein Bruder entschied sich für ein Architekturstudium, und ich folgte seinem Beispiel. Als Techniker gingen wir auf die Universität, nicht um zu lernen, sondern um zu vergessen, um uns für das Neue, das Entwerfen, für Architektur zu öffnen.
 
Wie arbeiten Sie zusammen? 

Wir haben eine Art positive Streitkultur, bis heute entscheiden und entwerfen wir alles gemeinsam, auch wenn es nur eine Hundehütte wäre. Jeder von uns ist 100 Prozent, gemeinsam sind wir zweihundert Prozent wert. Gerade über Missverständnisse und Debatten kommen wir zu für uns selbst überraschenden Lösungsansätzen. 
 
Abstrakt, puristisch, gibt es auch etwas Dekoratives,
ja Sentimentales bei euch, welche Rolle spielt Schönheit?

Dekorativ, sentimental, nein, wir haben immer daran geglaubt, dass auch eine minimale Formensprache im Wechselspiel mit Material und Raumkomposition nicht langweilig sein muss, im Gegenteil skulptural und poetisch sein kann. Wer die Schönheit liebt, muss auch Mut zur Hässlichkeit haben, oft ist der Bruch mit gewohnten Blicken erst der Weg zu spannenden Lösungen, und was heute hässlich ist, ist morgen schön.
 
Wie bleibt ihr euch und euren nicht selten kontroversen Entwürfen treu? 

Indem wir die Grundidee eines Projektes kompromisslos und mit allen Mitteln verteidigen. Das heißt mitunter auch, kleine Schlachten zu verlieren, um den Krieg zu gewinnen. Wenn der Bauherr das nicht mitträgt, dann muss man auch nein sagen.

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