Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Wenn Bösewichte im Hintergrund die Strippen ziehen“

Mai 2019

Verschwörungstheorien scheinen allgegenwärtig zu sein. Doch wer setzt derlei Theorien eigentlich in die Welt? Und wer glaubt daran?
Michael Butter (42) Professor für Kulturgeschichte an der Universität Tübingen, leitet ein europäisches Forschungsprojekt zu diesem Thema. Im Interview mit „Thema Vorarlberg“ sagt Butter, welches seiner Ansicht nach die aktuell gefährlichste Verschwörungstheorie ist – und was Verschwörungstheoretiker und Populisten in aller Welt eint.

Michael Butter (42)

Bildnachweis © Jürgen Bauer/Suhrkamp Verlag.

 

Die Österreicher kennen derzeit kein anderes Thema als die „Ibiza-Affäre“. Doch wer ist der Urheber? In diesem Zusammenhang geistern aktuell viele Verschwörungstheorien durch das Land – für Sie als Forscher muss das doch eine hochinteressante Sache sein.

Ja, das ist wahnsinnig interessant, weil man – wie schon vor ein paar Wochen beim Brand von Notre Dame – beobachten kann, wie sich Verschwörungstheorien quasi in Echtzeit verbreiten. Für FPÖ-Anhänger, aber auch viele andere hartgesottene Verschwörungstheoretiker ist Strache nicht der Täter, sondern das Opfer eines Komplotts. Das ist für diese Gruppe unstrittig. Diskutiert wird lediglich, wer dahintersteckt. Wenn dann deutsche Ex-Geheimdienstchefs ohne irgendeinen Beweis den Mossad ins Spiel bringen, weil dem sowas zuzutrauen sei, dann fühlen sich diese Leute natürlich bestätigt.

Um die Begriffe klar zu stellen: Was ist denn der Unterschied zwischen einer tatsächlichen Verschwörung und einer Verschwörungstheorie, illustriert am Fall Strache?

Reale Verschwörungen hat es immer gegeben und wird es immer geben. Sie unterscheiden sich aber in Umfang und Reichweite von dem, was Verschwörungstheorien behaupten. Es sind viel weniger Menschen beteiligt – im Falle Strache lediglich eine Handvoll – und das Ziel ist viel konkreter als bei Verschwörungstheorien – in diesem Fall Wahlkampfhilfe, Kontrolle einer Zeitung, Regierungsaufträge. Vergleichen wir das mit der Idee, der Mossad stecke dahinter. Da wird es sofort vager und spekulativer und deutlich mehr Menschen müssten beteiligt sein.
 
Nichts geschieht durch Zufall. Nichts ist, wie es scheint. Und alles ist miteinander verbunden. Was bedeuten diese drei kurzen Sätze, die Sie in Ihrem Buch verwenden?

Das sind dem US-amerikanischen Politikwissenschaftler Michael Barkun zufolge die drei wesentlichen Charakteristika von Verschwörungstheorien. Sind diese Bedingungen erfüllt, dann haben wir es ohne jeden Zweifel mit einer Verschwörungstheorie zu tun. 
 
Sie sagen auch: „Wo andere Zufall und Chaos sehen, entdeckt der Verschwörungstheoretiker einen perfiden Plan.“

Das ist genau das Wesen der Verschwörungstheorie und auch eine ihrer Attraktionen: Sie schließen Chaos und Zufall und Kontingenz komplett aus und machen immer menschliche Akteure für alles verantwortlich, was geschieht. Alles ist geplant, und dahinter steckt eine im Geheimen operierende Gruppe, nach deren Willen sich die Ereignisse entfalten. Eine Reihe psychologischer Studien bestätigt übrigens, dass es für viele Menschen leichter zu akzeptieren ist, wenn Bösewichte im Hintergrund die Strippen ziehen und die Weltgeschicke lenken, als wenn die Dinge einfach so passieren. 
 
Weil die Menschen stets auf der Suche nach Antworten sind und Zufälle als solche nicht akzeptieren wollen?

Wir sind genetisch darauf gepolt, Muster zu erkennen und Kausalitäten zuzuschreiben. Im Fall von Verschwörungstheorien wird das auf Bereiche wie das Politische oder das Soziale übertragen. Und die Identifikation angeblicher Bösewichte und Verschwörer erlaubt ja auch, mit den Fingern auf sie zu zeigen. Das ist die klassische Sündenbockfunktion. So eigenartig das klingen mag, transportieren Verschwörungstheorien auch einen gewissen Optimismus: Wenn hinter allen Zufällen Leute stecken, dann kann man denen auch das Handwerk legen, zumindest theoretisch. Verschwörungstheorien basieren ja auf der Annahme, dass Menschen den Verlauf der Geschichte ihren Intentionen entsprechend lenken können, dass Geschichte also planbar ist. Damit sehen sie die Welt radikal anders als die Psychologie, die Soziologie oder die Politikwissenschaft.
 
Wer glaubt denn eigentlich an Verschwörungstheorien?

Verschwörungstheorien kommen in allen Altersgruppen vor, sie kommen bei allen Geschlechtern vor, sie kommen in allen Ethnien und in allen Bildungsgraden vor. Eine aktuelle Studie der Ebert-Stiftung kommt aber zum Schluss, dass Männer deutlich empfänglicher sind für Verschwörungstheorien als Frauen und dass höhere Bildung potenziell unempfänglicher macht für Verschwörungstheorien. Ich teile diese Auffassung. Wobei Bildung allein auch nicht immun macht, es kommt auch darauf an, was man gelernt oder studiert hat. Wobei man generell schon sagen kann: Verschwörungstheorien sind für gewisse Menschen eine Antwort auf wahrgenommene Krisen und Probleme.

Für welche Menschen denn?

Bevorzugt für jene, die das Gefühl haben, das Land gehe vor die Hunde. Menschen, die das Gefühl haben, kulturell oder ökonomisch marginalisiert zu werden, oder sich davor fürchten, sind empfänglich für Verschwörungstheorien. Und da sehen wir immer wieder Parallelen zwischen Verschwörungstheorie und Populismus. In populistischen Bewegungen sind Verschwörungstheorien sehr weit verbreitet. Populistische Führungsfiguren in aller Welt benutzen sehr oft zumindest verschwörungstheoretische Fragmente oder verwenden Verschwörungstheorien. Und populistische Bewegungen sind zudem sehr gut darin, Verschwörungstheoretiker und Nicht-Verschwörungstheoretiker in der Praxis des Protestes zu einen. Da verschwinden die Unterschiede.

Warum ist das so? 

Populisten und Verschwörungstheoretiker haben ein manichäisch-dualistisches Weltbild, in dem eine komplexe politische Landschaft auf zwei Pole reduziert wird: Die Verschwörer und die Opfer der Verschwörungstheorie beziehungsweise das Volk und die Elite im Populismus. Der Populist sagt, die Eliten kümmern sich nicht mehr um das Volk, weil sie abgehoben oder korrupt sind, der Verschwörungstheoretiker sagt, dass Eliten deswegen gegen das Volk agieren, weil sie Teil eines großen Komplottes sind. Von der Tendenz her aber sind beide konservativ, in dem Sinne, dass es ihnen immer darum geht, eine bedrohte Ordnung zu bewahren oder eine schon völlig unterlaufene Ordnung wiederherzustellen.

Strache sprach noch als Vizekanzler vom „Bevölkerungsaustausch“. Sie haben in der „Süddeutschen“ die Theorie des „Großen Austausches“ die aktuell gefährlichste Verschwörungstheorie genannt, warum denn?

Diese Theorie ist aus verschiedenen Gründen wirklich gefährlich. Zum einen, weil sie über Ländergrenzen hinweg verbreitet ist, sie finden die Theorie in Schweden genauso wie in den USA, in Österreich, Deutschland oder in Neuseeland auf der extrem Rechten im politischen Spektrum. Denken Sie nur daran, dass der Attentäter von Christchurch ein Manifest verbreitet hatte, dass den Titel trug „The great Replacement“ – auf Deutsch „Der große Austausch“. Auch Anders Breivik hatte an diese Theorie geglaubt. Wir sehen also ganz deutlich und immer wieder den Zusammenhang zwischen Verschwörungstheorie und Gewaltbereitschaft. Es ist eine Verschwörungstheorie, die sehr rassistisch aufgeladen ist, indem sie antimuslimisch und antiislamisch ist und gleichzeitig auch eine antisemitische Komponente hat. Diese Theorie hat bereits zu massiver Gewaltanwendung geführt und sie wird auch in Zukunft äußerst problematische Effekte mit sich bringen.

Wer setzt Verschwörungstheorien eigentlich in die Welt? Und warum?

Da sind die Gründe recht unterschiedlich. Die meisten, die solche Theorien in die Welt setzen, sind aus ihrer Sicht überzeugt, damit der Menschheit einen Dienst zu erweisen. Es gibt aber auch immer wieder Fälle, in denen Politiker und andere Personen Verschwörungstheorien zynisch in Umlauf bringen; nicht, weil sie selbst daran glauben, sondern weil sie damit bestimmte Ziele erreichen wollen. Und dann gibt es auch noch Menschen, die Verschwörungstheorien aus finanziellen Erwägungen verbreiten. Die glauben selbst zwar auch nicht an deren Wahrheitsgehalt, wollen aber finanziell davon profitieren, mit dem Vertrieb von Filmen und Büchern, mit der Produktion von Videos oder mit anderen Mitteln.

Man gewinnt den Eindruck, dass Verschwörungstheorien heute allgegenwärtiger sind, denn je – doch sie sagen in Ihrem Buch, dass dieser Eindruck täusche.

Wir dürfen das Reden und den Diskurs über das Phänomen nicht mit dem Phänomen selbst verwechseln. In den Massenmedien ist deswegen so viel von Verschwörungstheorien die Rede, weil wir selbige als Problem empfinden und uns überlegen, wie diese Theorien mit Demokratie, mit Gewaltausübung oder mit Populismus zusammenhängen. Das ist übrigens ein kompletter Unterschied zu früheren Zeiten. 

Inwiefern?

Früher wurden Verschwörungstheorien überhaupt nicht hinterfragt. In West- und Mitteleuropa und in den USA waren Verschwörungstheorien lange Zeit eine vollkommen legitime Wissensform, die fest in der Mitte der Gesellschaft verankert war und von Eliten ebenso propagiert wurde wie von einfachen Leuten. Und insofern muss man die heutigen Zahlen relativieren, so alarmierend sie auch sein mögen. Wir leben in einer Zeit, in der Verschwörungstheorien delegitimiert sind, aber langsam wieder ein Comeback feiern.

Dem Internet sei Dank. Oder?

Durch das Internet kommen Gedanken an die Öffentlichkeit, die früher kein oder kaum ein Publikum gefunden hätten. Leute, die 20 Jahre vorher noch mühsam gefertigte Duplikate auf dem Postweg an die wenigen bekannten Gleichgesinnten verschickt hatten, haben heute dank Youtube, Facebook, Twitter und Konsorten ein Millionen-Publikum. Was früher nicht beobachtbar war, ist heute im Internet omnipräsent. Sie müssen Internet ja nur einmal Begriffe wie „Impfen“ oder „9/11“ suchen, dann ist die Chance relativ hoch, sehr schnell auf eine Verschwörungstheorie zu stoßen.

Ein zentraler Satz in Ihrem Buch lautet: „Selbst wer skeptisch ist und im Internet nachforscht, muss sich bewusst sein, dass die Ergebnisse unserer Google-Suche nicht die Realität, sondern zu einem erheblichen Teil unsere persönlichen Präferenzen abbilden.“

Wir müssen uns vor Augen halten, dass Google und andere Suchmaschinen nicht neutral sind, sondern dass deren Algorithmen aufgrund unser zuvor gezeigten Präferenzen entsprechend aussieben. Und das führt dann natürlich auch dazu, dass wir uns immer wieder auch bestätigen, auch durchaus unwissentlich. Wer zuvor schon auf entsprechenden Webseiten unterwegs war, wird wieder auf entsprechende Webseiten geleitet und gewinnt so den Eindruck, dass bestimmte Geschichten einfach stimmen. 

Umso wichtiger wäre, zu lernen, wie man seriöse von unseriösen Nachrichtenquellen unterscheidet. Ist Medienkompetenz ein zwingendes Erfordernis der heutigen Zeit?

Das ist eine ganz wichtige Forderung, weil man natürlich lernen muss, zwischen Quellen zu unterscheiden, denen man vertrauen kann, und solchen, denen man nicht vertrauen kann. Ein gesundes Misstrauen ist ja nichts Schlimmes, ganz im Gegenteil. Aber Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, sind dann gegenüber allem, was der Mainstream sagt, hyperkritisch, aber allem anderen gegenüber äußerst unkritisch. Da hängt Medienkompetenz aber auch mit Gesellschaftskompetenz zusammen; man muss verstehen, dass Verschwörungstheorien nicht adäquat erklären, wie komplexe menschliche Gesellschaften funktionieren. Nur die Medienkompetenz alleine ist da zu wenig.

Es dürfte auch Verschwörungstheorien geben, in deren Mittelpunkt Sie selbst stehen, oder?

Das sind zwar nicht ausformulierte Theorien, aber ich bekomme viel Kritik von Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben. Deren Vorwürfe gehen dann in die zwei Richtungen – die einen sagen, ich hätte überhaupt nichts kapiert, die anderen nennen mich einen bezahlten Lakaien der Machthaber, dessen Job es sei, den Menschen Sand in die Augen zu streuen, also Leute zu disqualifizieren, die kritische Fragen stellen. Wie die Medien aus Sicht von Verschwörungstheoretikern zur Lügenpresse und zu einem Teil der großen Verschwörung werden, so gelten natürlich auch Wissenschaftler als Teil des Komplotts.

Was ist denn eigentlich die absurdeste Verschwörungstheorie, die Ihnen im Laufe Ihrer Forschung untergekommen ist?

Ich halte immer noch die Reptiloiden-Verschwörungstheorie des ehemaligen Fußballprofis David Icke für ganz besonders. Denn dessen Theorie, dass wir von einer außerirdischen Reptilien-Elite regiert werden, die sämtliche Konflikte der vergangenen Jahrtausende inszeniert und kontrolliert hat, die hat schon was! Wenn die Menschen, die an diese Theorie glauben – und das sind im englischsprachigen Raum gar nicht so wenige – sich sicher sind, dass beispielsweise Merkel und Obama außerirdische Reptilien sind, kann man nur den Kopf schütteln – und sich fragen, was Menschen denn alles so glauben.

Vielen Dank für das Gespräch!

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