Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Der Bahnhof, eine historische Chance für Bregenz

Februar 2024

Schon bald nach seiner Fertigstellung im Jahr 1986 wusste man um die Untauglichkeit des Bregenzer Bahnhofs. Doch nach 20 Jahren erfolgloser Planung scheint nun endlich jene Variante vor der Realisierung zu stehen, die laut Architekt Roland Gnaiger (72) Bregenz einen substanziell besseren Stadtteil bringen würde. Der Architektur-Professor sagt im Interview: „Bregenz schickt sich an, zu beweisen, dass wir auch gute, anziehende, lebenswerte Orte schaffen können.“

Herr Professor Gnaiger, das zuständige Bewertungsgremium hat nach Angaben der Stadt Bregenz nun die Bahnhofs-Variante „4a“ zum Siegerprojekt gekürt. Eine gute Entscheidung? 
Ja, nach vielen erfolglosen Jahren scheint ein Durchbruch gelungen zu sein. Um das richtig einzuordnen, muss man wissen: Es ging bei diesem Thema um viel mehr als um den Bahnhof. Seit Jahrzehnten gibt es für die Bregenzer Stadtentwicklung keine Entscheidung von vergleichbarer historischer Tragweite. Wie im Leben von Menschen gibt es auch in der Geschichte von Städten große Momente, Momente die über ihr weiteres Schicksal entscheiden. Der 23. Februar war für Bregenz solch ein Moment. Glücklicherweise mit einer Wendung zum Guten.
 
Wie ist das zu verstehen?
Stellen wir uns einmal vor, unsere Landesregierung hätte nie für die Unverbaubarkeit des österreichischen Bodenseeufers votiert, oder es hätte sich nie jemand dafür eingesetzt, das Aushubmaterial des Arlbergtunnels zum Bodensee zu führen, um damit die unverzichtbaren Seepromenaden zu begründen. Dramatischer noch: Es wäre 1971/72 in den letzten Minuten nicht geglückt, die Autobahn weg von Seeufer und Stadt in den Pfänder zu verlegen, die Stadt und ihr Seezugang wären dauerhaft verdorben. Die den Bahnhof und sein Umfeld betreffende Entscheidung ist vergleichbar folgenschwer. Mit einem Unterschied: Die Vielschichtigkeit dieses Gegenstands ist schwieriger zu vermitteln.
 
Schwieriger zu vermitteln? Der jetzige Bahnhof, ein Bauwerk von bemerkenswerter Hässlichkeit, zerfällt. Bregenz braucht dringend eine Lösung.
Die Fixierung auf das Errichtungsdatum des Bahnhofs verstellte zu lange den Blick auf das Gesamtfeld. Es galt, eine größere Betrachtungshöhe zu gewinnen. Ohne Rücksicht auf das gesamte Gebiet zwischen Montfort- und Quellenstraße, Casino und Klostergasse würde die größte Bregenzer Entwicklungschance vertan. Im Übrigen: Der Begriff Bahnhof wird den heutigen Anforderungen nicht gerecht. Es geht um eine Mobilitätsdrehscheibe, die auf maximal effiziente, gefahrlose und atmosphärevolle Weise zwischen Bahn, Bus, Pkw, Fahrrad und zu Fuß gehen verbindet und wechseln lässt. Nur wenn wir mit „Bahnhof“ solch einen dynamischen Knoten meinen, können wir bei diesem Begriff bleiben.
 
Lässt sich da – als Positiv-Beispiel – auch auf die Erweiterung der Fußgängerzone verweisen?
Es ist erlebbar, wie anders sich Bregenz mit der erweiterten Fußgängerzone zeigt, wie das soziale Leben damit aufatmet. Dieser Wandel wird sich Kürze auch an den Umsätzen der Läden und Gastronomie abbilden. Gegen ein solches Stadtleben kann sich doch niemand ernsthaft stellen. Es darf um den Bahnhof gleich einladend und freundlich werden wie am Sparkassenplatz, rund um den Leutbühel oder in der Anton Schneiderstraße. Als Eingangstor in die Landeshaupt- und Festspielstadt Bregenz müssen der Bahnhof und sein Vorplatz ähnlich wohlwollend willkommen heißen wie der Kornmarktplatz.
 
Seit Jahrzehnten wird geplant. Was spricht denn gegen die letzte, 2018 noch gültige Planung?
Sie hätte den Keil, den das heutige, öde Bahnhofsumfeld zwischen das alte Zentrum und die bewohnerstarken Bezirke jenseits der Quellenstraße treibt, für immer vertieft. Die derzeitige Landesstraße ist das Grundübel. Unverändert ließe sie vom Verkehr umspülte, inselartige Restflächen übrig. Im Ergebnis wäre alles auf eine filetierte Stadt und letztklassige Wohn- und Arbeitsumfelder hinausgelaufen. Den Fußgängerinnen und Radfahrern würde kein Schutz vor Lärm geboten, kein einladender Platz, keine ruhige Straße, keine Erlebnisqualität. Und ein von manövrierenden Bussen zerschnittener Bus- und Bahnhofsplatz, der noch gefährlicher und unattraktiver wäre, als er heute schon ist. Vorarlberg gilt international als Architekturmusterland. Weder die Landes-, noch die Stadtregierung können sich die bestehende Verkehrswüste rund um den Bahnhof als Visitenkarte für die Landeshaupt- und Festspielstadt Bregenz wünschen.
 
Sie sagten zuvor, die Landesstraße sei das Grundübel.
Das Grundübel liegt in der Führung der Straße. Diese Straße, deren S-Kurve den quer im Raum stehenden Bahnhof umrundet, ist die Manifestation der autogerechten, gleichzeitig menschenfeindlichen Stadt. In Europas historischen Städten kennen wir derartige, für hohe Geschwindigkeit gebaute Kurvenradien nicht. Während der vergangenen Jahrzehnte haben wir dem motorisierten Verkehr grundsätzlich jeden Vorrang eingeräumt. Damit sind die Städte und ihre Bewohnerinnen unter die Räder gekommen. Heute gilt es, die Städte den Menschen zurück zu geben. Verkehrspolitik ist nicht länger Autolobbying! Ohne Verlegung der Landesstraße an die Bahngleise – wie vor dem Postamt und Kunsthaus – ließe sich kein substanziell besserer Stadtteil errichten.
 
Es standen sechs Entwurfsvarianten zur Entscheidung an. Die ausgewählte Variante 4a wurde auch von Ihnen favorisiert. Was zeichnet diese aus?
Sie erweitert die Schönheit und den Lebens- und Aufenthaltswert der alten Bregenzer Stadträume in Richtung Zukunft, Klima-Resilienz und Quellenviertel. Zu Fuß gehen und Radfahren werden priorisiert, Bahnhof und Bahnhofsplatz werden einer Landeshauptstadt entsprechend würdig gestaltet. Diese Variante schlägt eine Brücke zwischen historischem Zentrum und den jüngeren Wohngebieten und vermittelt zwischen Stadt, See und Festspielbezirk.
 
Was sprach gegen Varianten, welche den Bahnhof auf die Fläche des heutigen Parkplatzes – Seestadt – verlegen? Was sagt der Fachmann?
Je näher der Bahnhof an das Stadtzentrum rückt, umso schwerer fällt es, Lebendigkeit und Frequenz im ganzen Entwicklungsgebiet aufrecht zu erhalten. Sein Abrücken von Quellenviertel, Mehrerau und Vorkloster hätten deren Bewohnerinnen zu Recht als abweisende Geste verstanden. Auch würde eine Bahnhofpassage in unmittelbarer Nachbarschaft zur attraktiv neugestalteten Hypopassage als Schildbürgerstreich gesehen. Außerdem ignorierte diese Lage die Bedeutung des Festspielbezirks. Denn hätten das Stadion, das Frei- und Hallenbad, das Casino und erst recht das Festspielhaus nicht heute bereits einen direkten Bahnanschluss, man müsste ihn glatt erfinden!
 
Pointiert gefragt, provokant gefragt: Waren die Entscheider mit der Komplexität des Themas überfordert?
Politische und finanzielle Motive werden zu selten mit fachlichen Expertisen zur Deckung gebracht. Auf diesen Ort wirken ungemein viele Faktoren und gegensätzliche Interessen ein. Es geht um Besitzverhältnisse und Kostenübernahme zwischen Land, Stadt, Investoren, ÖBB. Es geht angesichts der Vielschichtigkeit aber auch um Vorstellungskraft und Unterscheidungsvermögen. Und es geht um Kooperationsbereitschaft. Ich habe Verständnis dafür, dass Laien von der Vielschichtigkeit gefordert, mitunter überfordert sind. Es gilt festzuhalten: Der gute Wille aller Beteiligten hat zu einer Lösung im Sinne aller geführt.
 
An einem schönen Platz?
Es handelt sich beim heutigen Bahnhofsumfeld um den hochwertigsten Baugrund Vorarlbergs! Wo noch ließe sich so dicht an einem gelungenen Stadtzentrum leben oder arbeiten, unmittelbar angeschlossen an alle Verkehrsmittel? Wo sonst hätte man den See und seine Promenade vor der Haustüre und erreichte im Nu den Festspielbezirk und die seeseitigen Sport- und Freizeitanlagen? Unter idealen Bedingungen können in Bregenz Mitte 4000 bis 5000 Menschen höchstwertig wohnen und/oder arbeiten. Der schöne, programmatische Name „Bregenz Mitte“ wird infolge des gewählten Projektes mit Leben gefüllt. Jede andere europäische Stadt schätzte sich glücklich, hätte sie so nahe an ihrem Zentrum ein solch bedeutendes Entwicklungsgebiet wie Bregenz.
 
Und das Land Vorarlberg …
… der See, die Festspiele, das Landhaus und die Landeshauptstadt „gehören“ allen Bürgerinnen und Bürgern Vorarlbergs. Allen garantiert das Siegerprojekt einen freundlichen, sorgfältig gestalteten Empfang. Auch ein Ende der exorbitanten Flächenversiegelung liegt im Landesinteresse. Im ganzen Land kann enorm viel wertvollster Grünraum erhalten bleiben, wenn es gelingt, mehr als 4000 Menschen in Bregenz Mitte anzusiedeln. Mit einer verkehrsberuhigten Hauptstadt und dem in Aussicht gestellten Mobilitätsknoten wird das Land zum Vorreiter einer neuen Verkehrs- und Klimapolitik.
 
Die Investoren …
… müssen nicht in Verkehrsinseln investieren oder ihr Geld in einer schäbigen Peripherie versenken und stehen glaubwürdig für Nachhaltigkeit. Nichts ist so nachhaltig und auch monetär interessant, wie ein nutzungsneutrales Haus im Zentrum einer wunderbar gestalteten, klimaresilienten Stadt. Funktional gelungene und schöne Häuser behalten Wert und Bestand über Jahrhunderte.
 
Die ÖBB …
… hat in den vergangenen Jahren in ganz Österreich vorbildliche Bahnhöfe gebaut. Eine Mobilitätsdrehscheibe am Stand des Wissens und der Zeit, funktional, schön und anziehend, noch dazu am Ufer des Bodensees und im Dreiländereck, wird auch für die Bundesbahnen ein stolzes Renommierprojekt.
 
Ist es angemessen, von einer Jahrhundertchance für Bregenz zu sprechen?
Das wäre eine grobe Untertreibung! Wird eine Straße von Bauten mit unterschiedlichen Besitzverhältnissen gesäumt, dann ist deren Bestand gewissermaßen für ewig in Beton gegossen. Die größere Hoffnung ist die: Dass Demokratie mehr kann als autogerechte Stadt, Speckgürtel, Zersiedlung und Bodenversiegelung. Dafür braucht es neue Aushandlungs- und Qualitätssicherungsformen. Bregenz schickt sich an, zu beweisen, dass wir auch gute, anziehende, lebenswerte Orte schaffen können und unserem baukulturellen Erbe gerecht zu werden in der Lage sind.
 
Gestatten Sie mir die Frage: Warum waren – und sind – Sie da derart engagiert?
Bregenz ist meine Heimatstadt. Ich bin hier aufgewachsen. Auch wenn ich jahrzehntelang woanders lebte und auf der ganzen Welt herumgekommen bin: Gerade im Vergleich lernte ich diesen Ort zwischen Berg und See richtig schätzen. Ich weiß nicht, ob alle Bregenzerinnen und Bregenzer die Schönheit ihrer Stadt ausreichend würdigen. Ich durfte in den vergangenen Jahren viel über Stadtbaukunst lernen. Diese Expertise bringe ich gerne auch für Bregenz ein.
 
Vielen Dank für das Gespräch!

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