
„Diese Freiheit brauche ich“
Verena Altenberger (37) ist eine der bekanntesten und erfolgreichsten österreichischen Film- und Theaterschauspielerinnen. Für viele ihrer Rollen erhielt sie hochkarätige Preise. Gerald A. Matt traf Verena Altenberger zum Gespräch.
Sie spielten die Buhlschaft in Salzburg, eine Traumrolle?
Ja, das war ein Kindheitstraum von mir. Ich wollte schon immer Schauspielerin werden.
Sie sind kahl rasiert aufgetreten. Das wurde auch damals heftig diskutiert.
Ich habe damals gleichzeitig einen für mich sehr wichtigen Film gemacht. Er heißt „Sterne unter der Stadt“ und da spiele ich eine krebskranke Frau. Krebs spielt in meinem Leben eine große leidvolle Rolle, meine Mama ist daran gestorben. Das Thema wollte ich nur mit vollem Einsatz machen. Das bedeutet, sich nicht in der Früh eine Glatze kleben zu lassen, sondern die Haare wirklich abzurasieren.
Wie würden Sie Ihre Buhlschaft beschreiben?
Sowohl der Lars Eidinger, der den Jedermann gespielt hat, als auch ich haben die Rollen nicht angelegt, sondern sind offen in den Probeprozessen hineingegangen und haben darauf geachtet, was da passiert. Wir haben ein irrsinniges Glück mit Michael Sturminger in der Regie gehabt, der zu uns sagte, ihr macht, was ihr wollt, ich stehe hinter euch. Dann hat sich sehr schnell herauskristallisiert, dass wir eine Liebesbeziehung spielen, eine echte Liebe und nicht eine von Abhängigkeiten geprägte Liebe. Und dadurch haben wir den Konflikt der Geschichte, die im Stück so abstrakt ist wie die Figuren nur Muster sind, auf den Boden einer Realität geholt, die jeder so erleben kann. Ein Mann stirbt und seine ihn liebende Frau will ihn nicht verlieren. Er hat Angst vor dem Tod, hängt sich an seine Frau, verbietet sich aber seinen Wunsch, sie mitzunehmen, weil er sie liebt.
Sie spielen im Theater und auf Festivals, aber Sie machen vor allem Filme.
Ich finde Theaterarbeit auf Festivals total angenehm, weil ich der Typ bin, der es liebt, Filme zu machen, weil das abgeschlossene Projekte sind. Mich hat es schon in jungen Jahren nie an ein Theaterensemble gezogen, wo man an einen Ein- oder Zwei-Jahresvertrag gebunden ist, ständig mit denselben Leute in derselben Stadt arbeitet. Das reizt mich gar nicht.
Sie sind auch sehr schnell zum Film gekommen, haben in einer Serie gespielt. Haben Sie sich oder fühlen Sie sich im Film wohler?
In meiner individuellen Biografie war es einfach so, dass ich am Theater wenig gute Erfahrungen gemacht habe und beim Film sehr gute. Ich habe beim Film das größere Glück gehabt, die Leute zu treffen, die an mich glauben. So gab mir Adrian Goiginger die Rolle in „Die beste aller Welten“.
In einem Interview habe Sie als durchaus positive Eigenschaft Ihrer Mutter deren Egoismus hervorgehoben. Ist Egoismus auch eine der wichtigen Eigenschaften einer Schauspielerin, um letztlich erfolgreich zu sein?
Wenn man nicht willens ist, sehr viel in den Beruf zu investieren, an Aufwand, an Zeit, an unterschiedlichen Wohnorten, gerade am Anfang in den Dürreperioden, dann wird man in dem Beruf wahrscheinlich wenig Erfolg haben. Es braucht insbesondere Ausdauer, Leidenschaft – und ja, auch Egoismus.
Auch Verzicht.
Ja, es ist schwieriger Freundschaften zu pflegen, noch schwieriger ist es, Beziehungen zu leben. 2024 habe ich vielleicht 20 Nächte in meinem eigenen Bett geschlafen und den Rest war ich auf Tour. Da muss man die eigene Karriere ein Stück weit an erste Stelle stellen.
Ich habe gelesen, dass Ihre Oma auch eine große Rolle in Ihrem Leben gespielt hat. Sie war nicht Schauspielerin, aber hatte etwas sehr Künstlerisches.
Also in meiner Familie gibt es weder väterlicher noch mütterlicherseits Menschen, die in irgendeiner Form Kunst beruflich machen. Ich komme aber aus einer Familie mit sehr viel Verrückten im positivsten Sinne des Wortes, und vor allem mit wirklich tollen weiblichen Vorbildern. Und da waren beide Omas auf ihre Art extrem eindrucksstarke Frauen. Die eine war alleinerziehende Mutter in einer sehr schwierigen und konservativen Zeit in Dorfgastein. Die andere Oma mütterlicherseits war die erste Berghebamme im Gasteiner Tal. Sie ging oft stundenlang, um einer Frau in einem Berghof beim Kinderkriegen zu helfen; Frauen, die schon einen Tag nach einer Geburt bereits wieder im Stall arbeiteten. Sie hat dann die erste Wöchnerinnen-Station eröffnet, einfach eine Kammer an ihr Haus angebaut, und ein Bett für gebärende Frauen eingestellt. Männer, die sie zu früh zur Arbeit holen wollten, hat sie mit der Mistgabel vertrieben.
Eine starke, freie, unabhängige Frau, ein Vorbild?
Ja, total.
Gibt es Rollen, die Ihnen auf den Leib geschnitten sind oder müssen Sie sich jede Rolle letztlich erkämpfen?
Man muss sich in jede Rolle immer neu hineinkämpfen. Bevor ich für eine Rolle zusage, muss ich das Skript oder das Drehbuch lesen und das Gefühl haben, den zu spielenden Menschen auf einer emotionalen Ebene zu verstehen. Fähigkeiten kann man sich aneignen, Dialoge auch, aber das emotionale Verständnis muss da sein. Natürlich, wenn ein Autor oder eine Autorin ein Drehbuch schreibt und schon die Schauspielerin im Kopf hat, dann ist das das schönste Geschenk.
Wurden sie jemals so beschenkt?
Ja, ich hatte das Glück. Ich spielte vier Jahre lang eine Polizeirufkommissarin in München. Der Autor Günter Schütter hat die ersten zwei Bücher geschrieben, und er hat diese Rolle wirklich für mich erfunden. Und das spürt man einfach, wie diese Rolle durch einen Film geht und wie sie Wünsche, Sehnsüchte, Hoffnungen und Ängste vereint. Da merkt man dann einfach, dass da sehr viel Futter von einem selber dabei ist.
Es gibt immer wieder Diskussionen um das Regie-Theater. Kritisiert wird, dass Schauspieler nur mehr Marionetten der Vision des Regisseurs seien und keine Freiheit hätten, sich zu realisieren. Ist es Ihnen da besser ergangen?
Die Beantwortung dieser Frage hängt ein bisschen mit dem Status, den man erreicht hat, zusammen. Also, am Anfang möchte man einfach spielen, man muss ja auch Geld verdienen. Und mittlerweile habe ich das große Glück, dass ich mir einfach aussuchen kann, was ich machen möchte und mit wem ich das machen möchte. Und ich funktioniere als Schauspielerin absolut mit Instinkt. Ohne meinen Instinkt kann ich nicht arbeiten. Diese Freiheit brauche ich und habe ich.
Das heißt, die Freiheit in der Gestaltung Ihrer Rollen ist wesentlich für Sie?
Ja, absolut. Wir haben aber auch über Komödie, Comedy gesprochen. Comedy ist natürlich genau geskriptet, da kann man kein Wort austauschen, sonst ist der ganze Wortwitz weg. Da ist man in einem totalen Korsett. Gleichzeitig geht es gerade auch da darum, das mit Instinkt und Interpretation zu vereinen. Und das finde ich dann auch wieder extrem herausfordernd.
Schauspielerinnen werden von der Öffentlichkeit mit glänzenden Auftritten, mit Ruhm und Anerkennung verbunden. Welche Ängste begleiten Sie als Schauspielerin? Ängste wie das Älterwerden, Jugend und Schönheit zu verlieren, das Warten aufs nächste Engagement, Angst vor der Kritik?
Dass man die Jugend verliert, well, that’s life. Mit der Schönheit ist es etwas anderes.
Es gibt natürlich viel mehr Rollen für ältere Schauspieler als für ältere Schauspielerinnen. Ist das ein Problem? Was macht man da dagegen?
Das ist doch ein gesamtgesellschaftliches Problem, das sich statistisch belegt. Das betrifft Schauspielerinnen, das betrifft aber auch Moderatorinnen, ja Frauen im öffentlichen Leben. Ich habe neulich gelesen, dass Frau Reiter sich den Tag wünscht, an dem genauso viel über 50-jährige Frauen im Fernsehen moderieren wie Männer. Mittlerweile gibt es auch Beispiele für ältere Frauenrollen, die nicht mehr nur auf die Alte, die komische Alte, die traurige Alte, die dramatische Alte beschränkt sind. Frauen können genauso gut den König Lear spielen. Ich habe neulich eine Männerrolle, den Musil, im Film „Kafka“ gespielt. Stefanie Rheinsberger spielt gerade im Burgtheater Lilium. Da ändert sich langsam etwas.
Wenn wir über diese Wechsel der Geschlechterrollen sprechen, ist Ihnen Ihr Musil schwergefallen?
Es ist mir extrem schwergefallen, tatsächlich. Gerade weil mir das emotionale Verständnis für eine Rolle so wichtig ist, weil ich den Charakter und den Wesenszug verstehen muss. Wobei Theater und Film jeweils andere Anforderungen an eine Schauspielerin haben. Beim Film geht es ja wirklich um die vollständige Verwandlung, um die hundertprozentige Echtheit und Authentizität in dem Moment. Am Theater ist die Aufgabe oft eine andere, da ist die Übersetzung eine andere.
Sie gelten als Feministin. Sie haben sich aber auch immer wieder zu Missständen geäußert. Haben sich die Kommandostrukturen, die sehr hierarchischen Strukturen im Theater und im Film geändert?
Ich bin Feministin, das kann man als Label relativ schnell aufkleben. Ich bin einfach so erzogen worden. Alles, was mich ausmacht, spielt natürlich für meine Arbeit eine Rolle und da gehört ein feministisches Aufwachsen auch dazu. Als Co-Präsidentin der Akademie des österreichischen Films ist es auch eine meiner Hauptaufgaben, nach innen und außen für immer bessere Arbeitsbedingungen, für mehr Geld, für Nachwuchsförderung, auch für Publikumsbildung, für Lehrpläne an den Schulen zu lobbyieren. Da gehört auch der ganze große Bereich MeToo dazu. Und da hat sich etwas verbessert, indem wir jetzt endlich einen Begriff und eine Sprache dafür haben. Vor 2017 hat man immer nur über irgendein diffuses Bauchgefühl reden können. War das jetzt blöd? Muss ich das jetzt aushalten? Mittlerweile können wir darüber reden, können es benennen. Das ermöglicht Forschung und Debatten, die Machtstrukturen untersuchen und aufzeigen, was sexualisierten Machtmissbrauch möglich macht, und auch Zahlen dazu liefern. Nichtsdestotrotz sind Machtgefälle, gerade in der künstlerischen Arbeit, immer noch ein großes Thema. Da ist noch viel zu tun.
Sie spielen ja in vielen österreichischen Filmen. Wie steht es um diesen österreichischen Film?
Großartig. Das meine ich ernst. Die Zahl der Kinobesuche ist wieder auf Vor-Pandemie-Niveau. Das Kino ist wieder da, trotz Streaming, Instagram und Medien. Der österreichische Film schielt selten auf die Masse, weil wir die gar nicht haben. Unser Markt ist sehr klein. Aber wir haben ein irrsinnig mutiges Filmschaffen. Infolge sind wir auf allen A-Festivals, also auf den großen, sehr angesehenen Filmfestivals der Welt, immer vertreten. 2024 waren wir in Cannes, in Locarno, auf der Biennale, in San Sebastian, Sundance, also wirklich bei allen dabei. Ganz oft sind österreichische Filme auf der Oscar-Longlist oder auf der Shortlist, haben sogar Oscars gewonnen. Wo wir ein bisschen ein Problem haben, ist die Liebe im eigenen Land.
Vielen Dank für das Gespräch!
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