
Dramaturgen des Zorns
Der Vormarsch der Populisten sorgt Ethnografin Elsbeth Wallnöfer (62). Im Interview nennt die gebürtige Südtirolerin Populisten „Seelenfänger in eigener Sache“, die Publizistin sagt: „Der Weg vom Populismus zur Volksverhetzung ist ein schmaler Grat.“ Ein Gespräch über verbales Feuer, politischen Zorn – und das eigentlich Wunderbare an der Demokratie.
Gelegentlich heißt es „Populismus ist einfach, Demokratie kompliziert“, mit diesen wenigen Worten ist Trump bestens beschrieben.
Populismus zeichnet sich durch Schlichtheit im prozessualen Denken, Lautstärke, Grobheit und den Willen zur Selbstbehauptung aus. Das trifft auf Trump und auf andere uns bekannte Populisten zu.
Populisten sind auf dem Vormarsch, weltweit. Sorgt Sie dieser Trend?
Ja. Das macht mir Sorgen. Der Weg vom Populismus zur Volksverhetzung ist nämlich ein schmaler Grat. Aus Populisten, den Meistern der künstlichen Empörung, können sehr rasch Demagogen werden, die den Rechtsstaat beugen. Und deswegen können wir den weltweiten Vormarsch der Populisten gar nicht kritisch genug bewerten.
Sie nennen in Ihrem Buch Populisten „Seelenfänger in eigener Sache“.
Ja, weil sie auch eine gewisse Eitelkeit, eine gewisse Selbstverliebtheit genauso wie Selbstbehauptung auszeichnet. Sucht ein Populist politischen Erfolg, braucht er keine Argumente, er braucht Seelen. Der Populist von heute gleicht den barocken Predigern von damals. Nicht erst seit Abraham a Sancta Clara weiß man, dass der feurigste Prediger die meisten Seelen fängt. Deswegen sind die selbstverliebten Populisten Meister der emotionalen Ergreifung. Sie überzeugen auf ihrem Weg zur Macht nicht mit Konzepten zu komplexen gesellschaftlichen Problemen.
Präzisieren wir an dieser Stelle: Im allgemeinen Sprachgebrauch wird meist nur der Rechtspopulist benannt, dabei ist Populismus nicht an eine bestimmte politische Richtung gebunden. Es gibt sie rechts wie links und auch in der Mitte.
Ihre Mechanismen sind dieselben, strukturell und anthropologisch unterscheiden sie sich nicht. Sie alle operieren mit verkürzten Argumenten, mit Emotion, mit verbalem Feuer. Wobei man schon eines sagen muss: Es gibt, zumindest in unseren Breiten, wesentlich mehr Rechtspopulisten.
Sind die schnellen, einfachen Antworten der Populisten auch dem Tempo der Gegenwart geschuldet und der immer kürzer werdenden Aufmerksamkeitsspanne der Menschen?
Das ist sicher so, aber nicht nur. Seriöse Politik müsste den Menschen die oft vielschichtigen politischen Sachverhalte erklären. Die einen können es oft nicht erklären, die anderen wollen es nicht hören. Das Tempo der Gegenwart verkürzt die Aufmerksamkeitsspanne und die innere Geduld der Menschen. Wir haben uns also dem digitalen Rhythmus von Informationstranfers angepasst. Aber Populisten gab es schon vor dem digitalen Zeitalter.
Sachpolitik wird jedenfalls zum lästigen Beiwerk.
In einer komplexen Welt mit multiplen Krisen wird Sachpolitik zur Mühsal. Und sie wird deswegen zur Mühsal, weil wir zuhören und dann über das Gehörte auch nachdenken, uns kundig machen müssten. Wer ist bereit dafür? Da sind die Meister der einfachen Lehre, die Meister der einfachen Antworten willkommener Trost. Irrigerweise nimmt man an, das Aufeinandertreffen bloßer Schlagworte sei bereits eine inhaltliche Auseinandersetzung. Dies ist sicher dem Phänomen der Fernseh-Tratsch-und-Quatsch-Kultur geschuldet. In Talkshows zeigt sich, dass es heute nur mehr darum geht, den knackigsten Satz zu sagen. Wer das schafft, hat schon gewonnen. Man redet um des Redens willen. Es wird nur mehr in Phrasen und Blocksätzen gesprochen. Aber diese von Kommunikationsberatern geschaffenen und von Politikern aller Parteien verwendeten Wort- und Satzkeulen verunmöglichen von vornherein jede inhaltliche Diskussion, denn sie sind bloßer Selbstzweck.
In populistischen Augen soll Zorn die Menschen einen. Sprechen wir ergo über Zorn?
Zorn ist ein Merkmal des Populismus. Er ist kein Resultat nüchternen Nachdenkens. Besonders Rechtspopulisten sind Dramaturgen des Zorns. Denken Sie nur an Kickl, an Marine Le Pen, oder an Italiens Ministerpräsidentin Meloni. Haben Sie einmal gesehen, wie Meloni mit hochrotem Kopf brüllt, wenn sie vor ihren Postfaschisten auftritt? Auch Alice Weidel ist der personifizierte Zorn. Der politische Zorn ist ein Übertragungszorn, man ist im Zorn vereint, da sind politische Konzepte im Weg.
Ein Einwand. Die Tabuisierung gewisser von Rechtspopulisten verwendeten Themen nutzt den Parteien der Mitte nichts. Im Gegenteil. Erst das Verschweigen macht die Ränder stark.
Sie denken an das Ausländer-Thema? Das war und ist schon auch eine Schwäche, an der die Parteien der Mitte leiden. Das Thema hätte auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise EU-übergreifend besser gemanagt gehört, das haben die demokratischen Parteien verabsäumt. Politische Probleme lassen sich nicht mit Klatschen oder Willkommensgrüßen lösen.
Nun wird der Ausdruck Populismus vielfach unreflektiert, vielfach willkürlich auch zur bloßen Diskreditierung des politischen Gegners verwendet …
Ja, das ist dann so, wenn jemand keine Lust an einer tiefer gehenden Debatte hat. Wird der Vorwurf fahrlässig erhoben, diskreditiert man den Angesprochenen, aber man diskreditiert sich damit auch selbst. Wir sollten uns also ganz genau anschauen, mit welchen Mitteln jemand agiert und welche Ziele er damit verfolgt. Und was das Wort etymologisch überhaupt bedeutet! Der Ursprung liegt im lateinischen populus, hat aber in den romanischen Kulturen ideengeschichtlich eine andere Entwicklung genommen. Auf gut Deutsch gesagt ist der Populist also ein ‚Volkist‘. Ein deutscher ‚Volkist‘ ist jemand, der eine Idealvorstellung von einem Volk hat. Nicht umsonst habe ich im Buch dem Thema Raum gegeben, denn sprachlich hat „das Volk“ einen anderes „Gschmäckle“ als il popolo oder le peuple.
Nennen wir an dieser Stelle Beispiele aus Österreich? Wer ist denn ein wahrer Populist?
Kickl ist für mich der gekrönte Populist an der Grenze zur Demagogie. Sebastian Kurz war und ist ein gefährlicher Chichi-Populist, soll heißen: Gekünstelt, affektiert, stylish. Jörg Haider war Österreichs erster Populist. Auch Andreas Babler hatte im Wahlkampf und in seinen Anfängen linkspopulistische Phrasen benutzt, wie beispielsweise den emotionalisierenden Satz „Besteuert die Reichen!“ Er hatte eindeutig kurze linkspopulistische Momente. Inzwischen zeigt er sich von einer angenehm integren Mitte-Links-Seite.
Ist der Sozialist mit Regierungseintritt also quasi katholisch geworden?
In unserer Tiroler und Vorarlberger Diktion ist er wirklich katholisch geworden (lacht).
Eines ist gut beobachtbar in der Politik: Dass der Verlierer den Gewinner stets einen Populisten nennt.
Man sollte das dringend unterlassen. Das ist eine Unart in der politischen Kultur. Es verroht ja auch die politische Kultur zunehmend. Werden Begriffe inflationär verwendet, verlieren sie ihre tatsächliche Wirkung und ihren Wert. Das Inflationäre verliert seine logische Stringenz und seinen eigentlichen Charakter. Das weiß man auch aus der Wirtschaft. Was es im Überfluss gibt, ist nichts Besonderes mehr. Es verliert an Wert. Das ist durchaus im marktwirtschaftlichen Sinn zu verstehen; das gilt ganz generell fürs Leben.
Was also trennt seriöse Politik von Populismus?
Erinnern Sie sich noch an Trumps Versprechen, mit ihm als Präsident gebe es in 24 Stunden Frieden in der Ukraine? Da zeigt sich: Der Populist gewinnt mit schnellen Sprüchen und hat am Ende keine Lösung. Die populistische Politik unterscheidet sich von seriöser Politik dadurch, dass sie nur auf eine kurze Wirksamkeit abzielt. Sie hat nicht die mittlere oder längere Frist im Auge. Sie verfolgt nur das kurze Ziel, den Wahlerfolg. Wahlen werden mit kurzen Phrasen, groben Sprüche, schnellen Lösungen, schnellen Versprechen gewonnen. Und hat der Populist dieses Ziel erreicht, muss er fast schon folgerichtig zum Demagogen werden, um sich selbst an der Macht zu halten. Dann beginnt er als Demagoge, den Rechtsstaat in seinem Sinne umzugestalten und zu demontieren, um ihn kontrollieren zu können. Bei Trump, bei Orban, bei Meloni sieht man das bestens.
Kickl sagte ja unverhohlen, das Recht habe der Politik zu folgen.
Das ist dieser berühmte Satz. Man müsste den Staatsbürgern dringend erklären, warum in einer Demokratie das genaue Gegenteil zu gelten hat. Das positive Recht, das in einem Parlament demokratisch beschlossen wird, hat für alle im Staate zu gelten. Dem hat sich auch eine Regierung zu unterwerfen. Denn auch sie braucht ein Korrektiv. Folglich muss es heißen: Die Politik hat dem Recht zu folgen! In einer Demokratie hat das außer Frage zu stehen.
Was ist das Band, das Volk und Volksführer verbindet? Sie stellen in Ihrem Buch diese Frage, wie lautet die Antwort?
Es sind der Eros von Macht, es sind Gefühle: Der Zorn, die Begeisterung, kurzum die Emotionen. Es ist ein Kribbeln zwischen den Mächtigen und den Ohnmächtigen. Es ist das Begehren, adoriert zu werden oder jemanden adorieren zu können. Es ist etwas transzendent Metaphysisches, das in jedem von uns zumindest ein bisschen steckt, und das sich über Jahrtausende hinweg erhalten hat. Es ist also auch etwas Archaisches, das Volk und Volksführer verbindet und das wir nur unter Anwendung von Vernunft überwinden können.
Zum Nachdenken, noch ein Zitat von Ihnen, als Fazit? „Wir sind es, die die Mächtigen zu dem ermächtigen, was sie am Ende sind.“
Und deswegen appelliere ich an jeden Menschen, sich stets zu verinnerlichen, was das Wunderbare an einer Demokratie ist: Die Möglichkeit, Mächtige auch wieder abwählen zu können. Wir ermächtigen sie. Aber wir können sie auch wieder entmächtigen. Je besser wir diesen an sich einfachen Satz verstehen, desto höher werden wir den Wert der Demokratie zu schätzen wissen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person
Elsbeth Wallnöfer, * 1963 in Laas, Südtirol, ist eine Südtiroler Volkskundlerin und Autorin. Wallnöfer studierte Volkskunde und Philosophie an der Universität Wien, sie forscht zu dem Begriff Heimat, publiziert über Brauchtum und Traditionen und beanstandet regelmäßig Heimattümeleien. Von ihr sind mehrere Bücher erschienen, unter anderem das im Interview thematisierte Buch „Politik der Verführung – von „Volkskanzlern und politischen Illusionen“, Michael Wagner Verlag, Innsbruck, 2024.
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