Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Eine bestimmte Form der Resignation“

April 2023

Barbara Prainsack (48), Professorin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien, sagt mit Blick auf die jüngere Generation: „Es stimmt nicht, dass die Jungen nicht arbeiten wollen, sie wollen nur anders arbeiten.“ Die Politikwissenschaftlerin sagt im Interview auch: „Faulheit ist wirklich nicht das Problem, das wir im Moment haben.“

Frau Professorin, Sie fordern das bedingungslose Grundeinkommen. Starten wir also mit einer für Sie vermutlich provokanten Frage: Würde ein solches Modell nicht zu einer Entwertung von Arbeit führen? 
Ich möchte dieses Argument nicht einfach so vom Tisch weisen, weil es in den USA einige Vorschläge zum bedingungslosen Grundeinkommen gibt, die tatsächlich zu einer Entwertung von Arbeit führen würden. Elon Musk und andere aus dem Silicon Valley wollen jenen, die durch Automatisierung oder andere Entwicklungen ihre Jobs verlieren, Geld zuteilen, damit diese Menschen weiterhin konsumieren können, ruhig bleiben und sich nicht gegen die Reichen erheben. Aber die Ansätze, die heute in Österreich, in Deutschland und in der Schweiz diskutiert werden, die werden ganz anders gedacht: Hierzulande wird ein bedingungsloses Grundeinkommen eben nicht als Alternative zur Erwerbsarbeit verstanden: Es wären alle Menschen abgesichert, aber eine Erwerbsgesellschaft würde bleiben. 

Ist das Ganze nicht eine gesellschafts­politische Utopie? 
Eine Utopie? Wer Umverteilung generell schlecht findet, der muss das Grundeinkommen in dieser Form auch schlecht finden. Für alle anderen wäre es „nur“ eine neue Art, soziale Sicherheit zu denken. Es gibt in unserer Gesellschaft ohnehin bereits das Bekenntnis, dass niemand zu wenig zum Leben haben darf. Die Frage ist nur, wie man das umsetzt. Mit dem jetzigen System, das nicht treffsicher ist und das man beantragen muss? Obwohl wir wissen, dass es 30 Prozent der Bezugsberechtigten gar nicht beantragen, weil es demütigend ist und zu kompliziert? Das bedingungslose Grundeinkommen müsste man nicht beantragen, es würde für alle ab der Geburt gelten und mit dem Tod erlöschen. Und diejenigen, die ein solches Grundeinkommen finanziell nicht brauchen, weil sie ein hohes Einkommen oder ein großes Vermögen haben, würden über Einkommenssteuern oder über vermögensbezogene Steuern mehr beitragen als sie bekommen. Solche Steuern müssten dann nachjustiert beziehungsweise eingeführt werden. 

Aber realisiert wird es ohnehin nicht.
Der politische Wille bei den Parteien ist derzeit nicht da. Trotzdem glaube ich: Wir werden das in unserer Lebenszeit noch sehen. Aber es wird wahrscheinlich nicht unter dem Namen ‚bedingungsloses Grundeinkommen‘ eingeführt werden. Meine Vermutung ist, dass am Beginn eine Kindergrundsicherung stehen wird. Weil es ja hoffentlich niemanden gibt, der sagt, Kinder, die zu wenig zum Leben haben und in Armut leben müssen, seien selbst schuld. Also: Es wird nicht übermorgen passieren, aber es geht in diese Richtung, es wird mit den Kindern beginnen, und auf die Erwachsenen übergehen. Es wird eine prinzipielle, grundlegende, bedingungslose Absicherung geben.

Von der Zukunft in die Gegenwart. Ein deutscher Arbeitgebervertreter hatte vor kurzem in typisch deutschem Idiom ‚Wir brauchen mehr Bock auf Arbeit!‘ gefordert – und dafür einen offenbar gewaltigen Shitstorm geerntet. Was aber ist so falsch an seiner Forderung?
Dieser Satz ist an sich nicht falsch, aber er ist sehr patschert formuliert, weil man das so lesen könnte, als mangle es nur an der Lust. Und das hört man leider zu häufig im Moment. Wo den Jungen nachgesagt wird, sie hätten eben keine Lust mehr auf Arbeit, sondern nur noch Lust, in der Hängematte zu liegen oder in Urlaub zu fahren. Auf einige wenige trifft das ja zu, aber es ist insgesamt eine sehr starke Verkürzung einer viel komplexeren Realität. Die Aussage hat also ein bisschen den Geruch, die Leute der Faulheit zu bezichtigen. Und Faulheit ist nun wirklich nicht das Problem, das wir im Moment haben. Gegen diese Aussage verwehre ich mich. 

Trotzdem sagen viele mit Blick auf den Arbeitsmarkt: ‚Immer mehr Menschen, vor allem Junge, verlieren die Lust am Arbeiten.‘
Dieser Aussage widerspreche ich! Die Menschen verlieren nicht die Lust am Arbeiten, sondern – wenn schon – die Lust an bestimmten Formaten der Erwerbsarbeit. Man müsste das nuancierter betrachten. Die Jungen, die heute weniger Erwerbsarbeit oder zumindest eine kürzere Erwerbsarbeit möchten, sagen zum einen: Mir sind andere Dinge im Leben wichtig. Und zum anderen sagen sie: Ich kann mir auch mit Vollzeitarbeit nicht das leisten, was ich mir wünsche, also arbeite ich gleich schon in Teilzeit. Immer mehr erkennen, dass die Aussage, Leistung lohne sich, zu einer Mär geworden ist. Man muss nur brav arbeiten und hat dann ein weitestgehend sorgenfreies Leben? Dieser Satz gilt heutzutage doch für die meisten nicht mehr. Ich würde also nicht sagen, dass die Jungen keine Lust mehr haben, …

Sondern?
Ich würde eher von einer bestimmten Form der Resignation sprechen. Das heißt aber nicht, dass sie nicht arbeiten wollen, sie wollen nur anders arbeiten. Es gibt tatsächlich einen Wertewandel bei den Jungen. Die wollen nicht mehr in bestimmten Hierarchien arbeiten, die wollen mehr Flexibilität, mehr Wertschätzung, eine sinnstiftende Arbeit. In der Pandemie hat dieser Wandel auch Teile höherer Altersgruppen erfasst. Bedingt durch die Unterbrechung bisheriger Routinen haben sich viele Menschen erstmals gefragt, ob sie das, was sie bisher gemacht haben, auch in Zukunft so fortsetzen wollen. Im Übrigen: Wenn man etwa als alleinerziehende Mutter in Teilzeit arbeitet, und dann ständig gesagt bekommt, man arbeite zu wenig, dann bekommt man ja einen Grant auf ‚die Gesellschaft‘, ‚die Arbeitgeber‘ oder die ‚Politik‘. Diese Vorwürfe frustrieren …

Trotzdem: Eine Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich, mehr Teilzeit, generell mehr Work-Life-Balance; diese Forderungen dominieren die Debatte. Wo aber bleiben da die Unternehmer? Zumal unsere Gegenwart von multiplen Krisen, von großen Herausforderungen geprägt ist?
Die Prämisse der Frage stimmt nicht.

Warum?
Weil den Unternehmen die derzeitige Situation ja auch nicht nützt. Wir haben den Arbeitskräftemangel. Und warum haben wir den? 

Aus Gründen der Demografie.
Die Alterung der Gesellschaft im globalen Norden, die bereits als „demografische Dürre“ bezeichnet wird, ist ein wichtiger Grund: Jedes Jahr gehen mehr Menschen in Pension als in den Arbeitsmarkt eintreten. Wir haben den Arbeitskräftemangel aber auch, weil sich allein in Österreich eine Million der Erwerbsarbeitenden sagt, sie können sich nicht vorstellen, unter den gegebenen Bedingungen bis zu ihrer Pensionierung weiterzuarbeiten. Wir haben das zuvor diskutiert: Das sind zum Teil die Arbeitsbedingungen, die eine an sich gern getane Arbeit problematisch machen, oder eine schlechte Atmosphäre am Arbeitsplatz, und zum Teil ist es auch die Intensivierung der Arbeit, die viele Branchen betrifft. Aus all diesen Gründen sagen sich immer mehr: Ich schaffe die Vollzeitarbeit nicht mehr, ich gehe „freiwillig“ in die Teilzeit. Für die Arbeitnehmer ist das schlecht, weil sie dann am Ende des Monats weniger bekommen und auch niedrigere Pensionen haben. Aber es ist auch schlecht für die Arbeitgeber. Denn die ideale Situation für die Arbeitgeber wäre eine andere: dass ihre Arbeitskräfte gut und zufrieden arbeiten, weniger kündigen, weniger Fehlstunden haben, und – dort, wo es Vollzeitarbeitsplätze gibt – eben nicht in Teilzeit gehen. Das heißt: Die jetzige Situation nutzt weder den Arbeitnehmern noch den Arbeitgebern.

Wird in der Debatte nicht vollkommen die Tatsache ignoriert, dass es in weiten Teilen der Wirtschaft, beispielsweise in Vorarlberg, sehr verantwortungsvolle Unternehmer gibt, die ihre Arbeitskräfte wertschätzen und entsprechend gute Jobs bieten?
Ich habe nicht den Eindruck, dass das ignoriert wird. Und das wäre auch nicht meine Message. Gerade kleine und mittlere Unternehmen brauchen Hilfen, Unterstützungen und Lösungen. Es braucht in diesem Strukturwandel in der Arbeit allerdings Lösungen, die sowohl die Probleme der Arbeitnehmer als auch der verantwortungsvollen Arbeitgeber lösen. Und es gibt tatsächlich Lösungen, die beiden Seiten guttun würden, die also nicht entweder die Situation der Arbeitnehmer verschlechtern oder für die Arbeitgeber unleistbar sind. Wir müssen eine Situation finden, die dazu führt, dass Arbeitnehmer länger in der Erwerbsarbeit – und wenn es gut läuft, auch bei einem Arbeitgeber – bleiben wollen und dort zufrieden und gut arbeiten. Dieses ‚länger‘ bezieht sich aber auf das Lebensalter und nicht auf eine längere Normal­arbeitszeit. Denn die längere Normalarbeitszeit hat dazu beigetragen, dass wir in diesem Schlamassel gelandet sind. 

Das ist eine recht drastische Diagnose.
Der vielgelobte Norden Europas hat niedrigere Normalarbeitszeiten. Ich möchte jetzt nicht behaupten, dass die Kürzung der Normalarbeitszeit – also eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich – alle Probleme auf einen Schlag lösen würde. Ich sage nur: Es muss ganz und gar nicht so sein, dass Verbesserungen für die Arbeitnehmer automatisch immer Kosten für den Arbeitgeber bedeuten. Man darf die Sache nicht als Nullsummenspiel betrachten; es gibt eben Lösungsvorschläge, die beiden Seiten nützen.

Sie zitieren in Ihrem aktuellen Buch ,Wofür wir arbeiten‘ unter anderem auch den ‚Economist‘, laut dem die nächsten Jahre zur Ära einer Workers World werden. Das zeichnet sich ab?
Eine kurze Antwort auf diese Frage wäre: Ja. Unternehmen werden in den nächsten Jahren um einen immer kleiner werdenden Pool von Arbeitskräften konkurrieren, und damit auch vermehrt auf deren Wünsche und Präferenzen eingehen müssen. Das Machtverhältnis wird sich in vielen Branchen verschieben. Mit einer Einschränkung: Die Workers World wird es nicht in allen Branchen geben. Denn in den Branchen, in denen die Arbeitskräfte leichter austauschbar sind, wird die Verhandlungsposition der Menschen schlechter bleiben. In den Bereichen, in denen es aber bereits einen Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel gibt und in denen die angeforderten Fähigkeiten auch nicht so leicht ersetzbar sind, dort ist es bereits eine Workers World.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person
Barbara Prainsack , * 1975 in Klagenfurt, ist Professorin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Die Poli­tikwissenschaftlerin, die zuvor Professorin am King’s College London war, ist Vorsitzende der Ethik-Kommission der Europäischen Kommission, und unter anderem auch gewähltes korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Von der Buchautorin unter anderem erschienen: „Vom Wert des Menschen. Warum wir ein bedingungsloses Grundeinkommen brauchen“, Brandstätter Verlag, Wien 2020.

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