Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Vielmehr neigt der Mensch zur Anpassung“

April 2024

Weil sich die Frankfurter Universitäts-Professorin Susanne Schröter (66) weigerte, in ihrer Forschung und in ihren Aussagen den Islamismus zu beschönigen, forderten woke Aktivisten mit einer Social-Media-Kampagne und in offenen Briefen vehement die Entlassung der Islam-Expertin. Doch die Ethnologin hielt der Intrige stand. In ihrem neuen Buch lässt sie die Ereignisse Revue passieren, im Interview sagt die Wissenschaftlerin: „Die Woken üben systemischen Gesinnungsterror aus.“ Ein Gespräch über eine neue totalitäre Ideologie, immer stärker werdende Rechtspopulisten – und fehlende Zivilcourage.

Frau Professorin, Sie rechnen in Ihrem Buch „Der neue Kulturkampf“ mit den Woken ab. Was ärgert Sie denn so an den Woken und an deren Agieren? 
Woke bedeutet, aus dem US-amerikanischen kommend: Wach sein gegenüber Rassismus. Das ist ein ehrenhaftes Anliegen. Aber Wokismus ist keine Theorie der Gerechtigkeit, sondern genau das Gegenteil. Woken Aktivisten geht es um Einschränkung, um Verengung von Debatten-Räumen, um Verengung von Forschungsräumen an den Universitäten und um Verengung von Meinungsfreiheit in der Öffentlichkeit. Realität wird dort auf Ausschnitte des Erwünschten reduziert, das gleichzeitig als einzig moralisch Akzeptables präsentiert wird. Und deswegen ist dieses Versprechen, man handle im Namen der Gerechtigkeit und möchte die Welt zu einem besseren, offeneren Ort machen, lediglich ein hohler Spruch. 

Das sind harte Worte …
Aber das ist die Realität. Woken Protagonisten geht es um die Durchsetzung einer totalitären Ideologie. Sie zielen auf eine vollkommene Umgestaltung der Gesellschaft ab, sie üben systemischen Gesinnungsterror aus, und das in einer absoluten Verdrehung der Sprache. Im Rahmen der gendergerechten Sprache wird beispielsweise automatisch alles als nicht gerecht abqualifiziert, was nicht gendert. Und das ohne Rücksicht auf die große Mehrheit der Bevölkerung, die davon überhaupt nichts hält. Aber wenn, wie in Deutschland, der Begriff der Mutter im Behördendeutsch zum Teil bereits durch den Begriff „gebärende Person“ ersetzt worden ist, dann ist das doch in Wahrheit eine Unsichtbarmachung von Frauen. Das richtet sich also tatsächlich gegen Frauen! Das ist weder gerecht noch akzeptabel. Und doch wird das durchgesetzt mit dem ultimativen Anspruch, man habe die Wahrheit gepachtet; und in der Annahme, man müsse das einer widerspenstigen Bevölkerung mit unterschiedlichen Zwangsmaßnahmen aufoktroyieren. 

Aber es ist nicht jeder, der sich um eine gendergerechte Sprache bemüht, automatisch auch ein Woker.
Nein, selbstverständlich nicht. Es gibt Menschen, die freiwillig gendern, es gibt Menschen, die das machen, weil es alle anderen machen, es gibt Menschen, die gendern müssen, weil es beispielsweise an Universitäten bereits so vorgeschrieben ist. Aber diejenigen, die das Gendern auf Teufel komm raus durchsetzen wollen, das sind die Woken.

Wer gegen diese aufoktroyierten Meinungen verstößt, hat es schwer, vor allem an den Universitäten. Sie schildern das in Ihrem Buch.
An den Universitäten hat das alles begonnen, dort ist man der Ansicht, man könne die Gesellschaft verändern, indem man die Sprache verändert. Und wer dagegen verstößt, der hat es in der Tat sehr schwer. Vor allem junge Wissenschaftler sind aufgrund ihrer prekären Beschäftigung in vielfacher Hinsicht stark abhängig, sie brauchen Unterstützung, ihre Projekte müssen bewilligt werden. Also verhält man sich, wie man sich in woken Augen eben verhalten sollte. Alles andere bedeutet das rasche Ende der Karriere. Aber der Hang zur Unterwerfung ist ja nicht nur auf die Personengruppen beschränkt, die tatsächlich Grund zur Anpassung haben, weil sie vulnerabel und gefährdet sind. Der ist auch bei den Beamten, bei den Festangestellten genauso sichtbar. Auch die passen sich an … 

Obwohl sie gar nicht müssten …
Man will nicht durch übermäßige Zivilcourage aus der Masse derjenigen herausstechen, die sich im Schweigen verbarrikadiert haben. Wir reden immer von Zivilcourage, und tun immer so, als ob das einer unserer großen Werte wäre. Aber tatsächlich können wir nicht davon ausgehen, dass der Mensch grundsätzlich Zivilcourage hat. Das viel beschworene eigenständig denkende und handelnde Individuum, das sich jedem Unrecht widersetzt, ist ein Sonderfall, der in der Realität selten auftritt. Vielmehr neigt der Mensch zur Anpassung. Die Mehrheit fügt sich. Aber das hat auch evolutionäre Gründe.

Sie schreiben: „Dass mir heute das Etikett eines antimuslimischen Rassismus angehängt wird, hat seine Ursprünge in meiner Verweigerung, den Islamismus zu beschönigen.“ 
Ich hab mich in meiner Forschung und auch als Leiterin eines Forschungsinstitutes mit allen Formen des Islam beschäftigt. Fakt ist: Der Islamismus neigt zur Expansion, er will die politische Herrschaft übernehmen, das können wir in vielen Staaten der muslimisch geprägten Welt sehen. Und er ist in seinem jihadistischen Zweig extrem gewalttätig. Doch musste ich feststellen, dass fast alle meiner Kollegen dazu neigen, selbst die rigidesten Formen des Islamismus zu beschönigen und zu verschleiern.

Wie ist das zu verstehen?
Diese Beschöniger sprechen auch bei salafistischen Akteuren und Einrichtungen von Frömmigkeit. Von Frömmigkeit! Was für ein Euphemismus! Was in langen Kämpfen erreicht worden ist, und was auch die westlichen Werte ausmacht, wird vom Islamismus negiert: Frauen, Homosexuelle und Nichtmuslime haben nicht die gleichen Rechte, es gibt keine Trennung zwischen Politik und Religion, das Mittel der Gewalt wird begrüßt. Ich habe da nicht mitgemacht bei dieser Beschönigung. Und als ich dann begonnen habe, mit meinen Mitarbeitern auch in Deutschland zu forschen, nicht nur bei Salafisten, sondern auch bei Verbands-Muslimen, die in ganz starkem Maße auslandsabhängig sind – vom Iran, von Katar, von der Türkei – und mich auch dort weigerte, die rosarote Brille aufzusetzen, da wurde ich immer stärker isoliert. Ich wurde zu einer Umstrittenen, weil der Islamismus eben eines dieser Felder ist, in dem der Wokismus seine Pflöcke eingeschlagen hat.

Aufgrund Ihrer Forschung wurden Sie also zur Umstrittenen.
Weil ich eben nicht in dasselbe Horn gestoßen habe, in das alle anderen stießen. Und dass ich nicht nur muslimische Organisationen, sondern auch bestimmte Formen der Einwanderungspolitik, die ich für naiv halte, kritisiert habe, das hat man mir dann endgültig und tatsächlich erhebliche Feindschaft eingebracht.

Ihre Feinde machten mobil, starteten Kampagnen, forderten ihre Entlassung.
Ja. Immer wieder. Das erste Mal so richtig massiv, als ich eine Konferenz mit dem Titel „Das islamische Kopftuch, Symbol der Würde oder der Unterdrückung?“ einberufen habe. Da hatte ich Referentinnen und Referenten eingeladen, die unterschiedliche Positionen vertreten haben, wobei zwei der Referentinnen und auch meine moderierende Mitarbeiterin selbst Kopftuch tragen. Trotzdem hat man mir da antimuslimischen Rassismus vorgeworfen. Es war eine Verschwörung auf der digitalen Hintertreppe, eine Gruppe hat im Internet unter dem Hashtag „Schroeter raus“ massiv meine Entlassung gefordert, „Schröter raus aus der Uni“, hieß es. Doch der Allgemeine Studentenausschuss und die Universitätspräsidenten waren auf meiner Seite, Medien hatten mich breit unterstützt. Also dachte ich, es sei vorbei.

Aber?
Aber da ging es erst richtig los. Ich wurde an Universitäten erst eingeladen, dann wieder ausgeladen, es gab ständig Protest. Und eine zweite Konferenz, die ich einberufen habe, unter dem Titel „Migration steuern, Pluralität gestalten“, die hätte mir dann beruflich gesehen fast das Genick gebrochen. Mit offenen Briefen wurde gegen mich protestiert, gegen diese Rassistin, ein Antrag, den ich auf eine zweijährige Forschungsprofessur nach meiner Pensionierung gestellt habe, wurde liegengelassen, es sah so aus, als ließe man mich fallen. Aber ich hatte Glück: Medien unterstützen mich, Wissenschaftler unterstützen mich, in einem offenen Brief wurde ich von 900 Unterzeichnern verteidigt, prominente Politiker, Wissenschaftler und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens solidarisierten sich mit mir. Ich habe sehr viel Unterstützung bekommen. Und das macht meinen Fall besonders. Denn andere Kollegen haben das nicht, die verschwinden einfach sang- und klanglos von der Bühne.

Ein Zitat von Ihnen lautet: „Nichts löst bei woken Linken einen solchen Hass aus wie Vorschläge zur Steuerung der Migration oder Kritik an den Schattenseiten der Einwanderung.“ Es ist aber klar, dass derart Angesprochene solche Sätze nicht begrüßen …
Nein, natürlich nicht. Ich erwarte ja auch nicht, dass das begrüßt wird, sondern ich hoffe darauf, dass man sich ertappt fühlt. Es ist ja evident, dass es auch Schattenseiten der Zuwanderung gibt. Aber diese woken Akteure tun nach außen hin so, als hätten sie noch nie etwas von Gewalt im Namen der Ehre, von Clan-Kriminalität, von der Unterdrückung von Frauen oder anderem gehört. Die wollen das komplett unter der Decke halten. Sie wollen nicht, dass Migration auch nur irgendwie mit einem Problem in Verbindung gebracht wird. Weil dann möglicherweise eine Begrenzung der Migration stattfindet. Das aber ist in diesen Kreisen nicht gewollt; in diesen Kreisen, die ja ohnehin davon ausgehen, dass weite Teile der einheimischen Bevölkerung latent rechts, latent rassistisch sind.

Ihre Kritiker werfen Ihnen vor, Wasser auf rechtspopulistische Mühlen zu gießen …
Genau. Das werfen die mir vor. Aber da muss ich jetzt mal scharf zurückschießen. Also der Ansatz, alles zu tabuisieren, damit Rechtspopulisten nicht stärker werden, der ist ja nun krachend gescheitert. Von Jahr zu Jahr erhält die AfD bessere Zustimmungswerte in Umfragen. Da muss man sich vielleicht einmal überlegen, ob die Tabuisierung die richtige Methode ist. Im Übrigen: Wenn alles jenseits eines woken Weltbildes rassistisch oder rechtsradikal ist, dann verschwimmen die Grenzen zu wirklichen Rassisten und Rechtsradikalen….

Das heißt, dass von dieser Weigerung, Probleme offen anzusprechen, letztendlich nur die AfD in Deutschland und die FPÖ in Österreich profitieren?
Genau. Das wäre meine These. Wie soll man sich sonst erklären, dass Rechtspopulisten immer stärker werden? Die Bevölkerung ist ja nicht von einem Virus befallen. Die Bevölkerung reagiert nur auf das, was sie sieht, und sie sieht auch, dass andere Parteien wegsehen. Also würde ich diesen anderen Parteien raten, mal schleunigst die Probleme zu benennen, zu diskutieren und zu lösen. Das kann man auch von Politikern erwarten. Die sollten ja nicht für sich selbst, sondern nur als Repräsentanten ihrer Wähler regieren. 

Die Medien spielen da eine gewichtige Rolle, indem sich einige – es sind Ihre Worte – „als Erzieher der Nation“ verstehen.
In dem Moment, in dem sich Journalismus als Haltungsjournalismus versteht, wird es problematisch. Dann wird nicht mehr die ausgewogene Berichterstattung, sondern nur noch die subjektive – in diesem Fall: woke – Botschaft an den Leser, Hörer und Zuschauer gebracht.

„Die freie Gesellschaft ist nicht verloren, solange es Menschen gibt, die sie verteidigen.“ So lautet der Schlusssatz in Ihrem Buch, ist das zugleich auch das Fazit unseres Gesprächs?
Ja. Ich hoffe darauf, dass es genügend Menschen gibt, die sich nicht weiter bevormunden lassen möchten. Ich hoffe sehr, dass wir auf einen Peek zulaufen, der dann auch wieder eine Korrektur möglich macht. Wobei ich da durchaus optimistisch bin: Viele Menschen sehen mittlerweile, dass das alles wirklich zu weit geht.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person

Susanne Schröter , * 1957 in Nienburg/Weser, lehrte und forschte unter anderem an der University of Chicago, der Yale University und an der Universität Passau. 2008 wurde sie auf die Professur für „Ethnologie kolonialer und postkolonialer Ordnungen“ an die Goethe-Universität Frankfurt berufen. Dort leitet die Ethnologin seit 2014 das „Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam“. Sie hat Anthropologie, Soziologie, Kultur- und Politikwissenschaften sowie Pädagogik studiert. Von Schröter sind mehrere Bücher erschienen. Das Interview beruht auf ihrem aktuellen Buch „Der neue Kulturkampf. Wie eine woke Linke Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft bedroht“, Herder, Freiburg im Breisgau, 2024.

Kommentare

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Gratuliere zum nachdenklichen Interview! Dass ich so mutige Worte bei uns im Lande noch erleben darf, empfinde ich als Sensation.