Sabine Barbisch

„Ein Entwurf ist ein Traum, die Wirklichkeit kann so viel besser sein“

Juli 2016

Aufgewachsen ist die gebürtige Bregenzerin Carolin Lerch in einer kunst- und kulturaffinen Familie, mit einem multikulturellen Bekanntenkreis. Im Modedesign kann sie all ihre Interessen und Fähigkeiten vereinen. „Mir war aber schon früh klar, dass man für progressive Mode ein internationales Umfeld braucht“, sagt Lerch und berichtet von den 21 Jahren, die sie schon in Antwerpen lebt, und ihrem Modelabel „pelican avenue“, das seit 2004 besteht.

"2016 ist mein 21. Jahr hier in Antwerpen. Ich lebe damit schon länger in Belgien als in Österreich.“ Carolin Lerch scheint selbst ein wenig überrascht, wie schnell die Zeit vergangen ist, seit sie als 19-Jährige nach Antwerpen zog. „Heute bin ich vierzig und natürlich auf allen Ebenen anders“, meint sie und fügt lachend hinzu: „Aber das wäre hoffentlich überall passiert.“ Lerch bezeichnet sich selbst als „klassisches Produkt meiner Eltern“ – die Mutter hatte den ersten Vintage-Laden in Bregenz und der Vater eine Textilagentur. „Ich habe meine Kindheit zwischen Stoffproben verbracht und meine Jugend auf Flohmärkten.“ Gepaart mit der großen Affinität für Kunst und Kultur bei Familie Lerch „war Mode irgendwie die logische Schlussfolgerung aller Elemente“, bringt es Carolin Lerch auf den Punkt. Die Selbstverständlichkeit, über die Grenzen Vorarlbergs und Österreichs hinauszudenken, prägt Lerch seit ihrer Kindheit: „Meine Eltern hatten einen multikulturellen Bekanntenkreis. Die Athleten und Trainer, die uns aus aller Welt besuchten, weil mein Vater das Götzner Leichtathletikmeeting gründete, waren immer ein Highlight.“

Internationales Umfeld

Bald sollte das internationale Umfeld aber nicht nur in Lerchs Privatleben, sondern auch in beruflicher Hinsicht eine wichtige Rolle einnehmen. Nach einem Jahr an der Modeschule in Hetzendorf wechselte sie an die renommierte Königliche Akademie der Schönen Künste nach Antwerpen. Und war überwältigt: „Ich war aufgeregt und stolz – und überzeugt, alles schaffen zu können.“ Umgebung und Sprache waren für Lerch komplett neu, und auch kurze Phasen mit Heimweh gab es, „aber die Schule und die anderen Studenten waren zu spannend, um wirklich traurig zu sein“. Und das machte sich bezahlt, denn Carolin Lerch schloss die Akademie im Jahr 1999 erfolgreich ab, was nur wenigen gelingt: „Ich hatte als Ausländerin den Vorteil, dass ich mich zu 100 Prozent aufs Studium konzentrieren konnte; meine belgischen Mitstudenten waren sozial und familiär viel mehr eingespannt.“ Ihr Erfolgsrezept war eine „Mischung aus jugendlicher Naivität und Leidenschaft fürs Fach, um das Studium ernst genug zu nehmen und alles dafür zu geben“. Gleich nach ihrem Abschluss, im Jahr 2000, wurde sie für das Festival Hyeres nominiert und arbeitete dann als Assistentin von Bernhard Willhelm, einem der mutigsten deutschen Designer.

Ein eigenes Label

Fünf Jahre nach ihrem Abschluss an der Königlichen Akademie der Schönen Künste in Antwerpen und vielen Erfahrungen im Kunst- und Modebereich hob Carolin Lerch im Jahr 2004 ihr eigenes Label „pelican avenue“ aus der Taufe. „Zeitlosigkeit durch eine starke Identität“ ist für die Designerin die oberste Prämisse, oder anders gesagt: „Designs von pelican avenue sind auffallend und subtil zugleich.“ Der Anspruch, bereits Bestehendes zu überdenken, begleitet Lerch durch den gesamten kreativen Prozess: „Das kann sowohl die Technik als auch die Ästhetik oder das Material betreffen. Denn zu bestätigen, was es schon gibt, finde ich uninteressant.“ In ihrer vielfältigen Tätigkeit als Modedesignerin ist für Carolin Lerch eine Begegnung besonders wichtig: „Ich schätze die Zusammenarbeit mit den Herstellern, den Fachkräften ungemein. Wenn eine Idee durch die Umsetzung noch besser wird, als man es sich erhofft hatte. Ein Entwurf ist ein Traum, die Wirklichkeit kann so viel besser sein.“ Trotz der Fülle an Kleidungsstücken, die Lerch in ihrer Karriere schon selbst designt hat, fällt ihre Antwort auf die Frage nach dem wichtigsten Kleidungsstück kurz aus: „Im Winter eine Bomberjacke und im Sommer ein Badeanzug“ – wie gut, dass sie seit zwei Jahren auch eine Bademodenkollektion führt. Lachend fügt sich noch hinzu, dass „in Antwerpen ein Regenmantel auch ganz wichtig ist“.

Antwerpen – eine perfekte Stadt

Und trotzdem liebt sie diese Stadt, in der sie schon 21 Jahre lebt – aktuell mit ihrem Partner und ihrer kleinen Tochter in einem Wohn- und Arbeitsmix mitten in Antwerpen. „Die Stadt ist relativ klein, aber es passieren hier ständig kulturell spannende Dinge, was wiederum interessante Menschen anzieht.“ Für Aufträge ist Carolin Lerch aber auch regelmäßig unterwegs: „Die Lage Antwerpens ist der ideale Standort für pelican avenue, ich pendle für Aufträge manchmal nur für einen Tag nach London.“ Seit diesem Frühjahr ist die Modedesignerin auch öfters in Berlin anzutreffen, weil sie eine Gastprofessur an der Universität der Künste innehat. Das Unterrichten liegt ihr, schon 2012 war sie Gastprofessorin, damals in den USA an der School of the Art Institute of Chicago: „Für mich war es toll, Amerika von innen heraus kennenzulernen und besser zu verstehen. Aber auch wenn die Architektur und die Musikgeschichte der Stadt beeindruckend sind, fühlte ich mich, was gegenwärtige Kunst und Mode betrifft, eher isoliert.“ Der Kontakt mit Gleichgesinnten, die sich gegenseitig zu Neuem antreiben, fehlte ihr: „Ich hatte wenig, worin ich mich hätte spiegeln können.“ In Antwerpen hat sie all das gefunden: „Hier in Belgien ist man stolz auf seine Kreativschaffenden und kauft auch die Produkte.“ Generell empfindet Lerch den belgischen Charakter auf vielen Ebenen dem Vorarlberger ähnlich: „Auch in Vorarlberg hat man eine positive Haltung zum Leben. Bodenständigkeit, Bescheidenheit und Fleiß prägen beide Regionen.“ Gründe zurückzukehren? „Die Lebensqualität ist schon sehr reizvoll, mir würde – zumindest im Moment – die Herausforderung einer größeren Stadt fehlen. Aber ich hätte gerne mehr Gründe, um öfter nach Vorarlberg zu kommen. Auch beruflich wäre es interessant, mehr mit lokalen Textilfirmen zusammenzuarbeiten.“
 

Lebenslauf
Am 2. Dezember 1975 wurde Carolin Lerch in Bregenz geboren, wo sie auch aufgewachsen ist. Nach einem Jahr an der Modeschule Hetzendorf besuchte sie vier Jahre die Königliche Akademie für Schöne Künste in Antwerpen. Ihr eigenes Modelabel „pelican avenue“ hat sie im Jahr 2004 gegründet. 2012 hatte Carolin Lerch eine Gastprofessur am SAIC Chicago inne. Seit 2013 führt „pelican anvenue“ auch Badebekleidung. Aktuell ist Lerch Gastprofessorin an der UDK Berlin. Mit ihrem Partner und ihrer Tochter lebt sie in Antwerpen.

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