Thomas Klagian

Stadtarchivar von Bregenz. Studium der Geschichte und der klassischen Philologie in Innsbruck. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte der Stadt Bregenz.

Karl Tizian Bürgermeister von Bregenz, Bildungsbürger und Theaterenthusiast

Juli 2016

Karl Tizian war ein Vorarlberger ÖVP-Politiker besonderen Zuschnitts: weltoffen und modern, zupackend, beharrlich und prinzipientreu, tief religiös, aber nicht bigott, ein österreichischer Patriot, der seine Wurzeln im großen altösterreichischen Kulturraum der Monarchie sah. Dass Bregenz heute vor allem als Kulturstadt wirkt und wahrgenommen wird, ist das bleibende Verdienst Karl Tizians. Die Frage, wie die Autobahn im Raum Bregenz zu führen sei, sollte 1970 seine Wiederwahl zum Bürgermeister verhindern. Die von ihm letztlich mitgetragene Variante, die Unterflurtrasse am See, war trotz aller Überzeugungsarbeit nicht mehrheitsfähig.

Nachdem französische Truppen Bregenz am 1. Mai 1945 von der nationalsozialistischen Herrschaft befreit hatten, ging es zum einen um die Wiedererrichtung politischer Strukturen. Dafür sorgte die französische Militärregierung. Sie setzte einen Bürgermeister und einen provisorischen Stadtrat ein. Zum anderen ging es um den Wiederaufbau der teilweise zerstörten Stadt. Denn der Befreiung vorausgegangen waren Bombardement und Beschießung, weil Bregenz, im Gegensatz zu Lindau, von den nationalsozialistischen Militärbehörden nicht zur offenen Stadt erklärt worden war. Rund 80 Häuser standen nicht mehr oder waren durch Bombentreffer und Brände schwer beschädigt.

Nach der Verabschiedung einer neuen Gemeindewahlordnung schrieb die Landesregierung für den 23. April 1950 Gemeindevertretungswahlen aus – die ersten freien Kommunalwahlen seit 1929, nach 21 Jahren. Spitzenkandidat der ÖVP war der damals bereits 67-jährige Emil Schneider, der angesichts des für die ÖVP enttäuschenden Ergebnisses dieser Gemeindewahl schließlich Karl Tizian – einen jungen Hoffnungsträger der ÖVP und seit 1949 Landtagsabgeordneter – bat, sich in der Stadtvertretung der Bürgermeisterwahl zu stellen. Und so wurde Tizian, obwohl nicht als Spitzenkandidat der ÖVP zur Wahl angetreten, bei der konstituierenden Sitzung der Stadtvertretung am 13. Mai 1950 zum Bürgermeister gewählt.

Der erst 35-jährige Tizian konnte sich als dynamischer Bürgermeister profilieren. Er investierte in den Bau von Schulen, Kindergärten und Tagesheimstätten – den ersten in Vorarlberg. Um die Wohnungsnot zu lindern, forcierte Tizian den sozialen Wohnbau. In den Jahren 1950 bis 1952 wurde das Stadtspital modernisiert und vergrößert. Tizian ging auch das Problem der Kanalisierung, der Abwasserreinigung und damit des Gewässerschutzes an. 1968 konnte die erste moderne Kläranlage Vorarlbergs in Betrieb genommen werden, ein Meilenstein für den Umweltschutz in Vorarlberg.

Karl Tizians Vision war die Etablierung von Bregenz als Kulturstadt, und diese Vision umzusetzen war sein Herzensanliegen. Dementsprechend war Tizian der unermüdliche Promotor der Interessen der 1946 gegründeten Bregenzer Festspiele, um deren Finanzierung er sich mit Nachdruck kümmerte. Es war seinen Bemühungen zu verdanken, dass sich Bund, Land und Stadt nach langen Verhandlungen grundsätzlich darauf einigten, die jährlichen Festspielabgänge nach einem fixen Schlüssel zu übernehmen. Den Ressentiments, die vonseiten der Landesregierung und mancher Abgeordneter des Landtags – auch aus den eigenen Reihen – gegenüber den Festspielen bestanden, trat Tizian stets resolut entgegen. Er wies immer wieder darauf hin, dass keine andere Institution eine vergleichbare Werbewirkung für Bregenz und das ganze Land entfalte.

Auf Tizians Theaterleidenschaft war es zurückzuführen, dass die bereits seit Jahrzehnten bestehenden Pläne für den Umbau des Kornhauses in ein Theater wieder aus der Schublade gezogen wurden. In der unmittelbaren Nachkriegszeit, als der Wiederaufbau der Stadt noch nicht abgeschlossen war und es noch Lebensmittelmarken gab, war es sicher nicht leicht, einen millionenteuren Kulturbau zu rechtfertigen. Erst nachdem Tizian die Finanzierung sichergestellt hatte, beschloss die Stadtvertretung im Dezember 1953 den Umbau. Das ehemalige Kornhaus wurde von Grund auf renoviert, seeseitig um einen Bühnenturm erweitert und mit Foyer, Zuschauerraum, einer modernen Bühne und einem Orchestergraben versehen. Das am 17. Juli 1955 eröffnete Theater am Kornmarkt bot nicht nur dem Theater für Vorarlberg, der Landesbühne, endlich ein Heim, sondern ermöglichte es den Festspielen, ihr Programm durch die Darbietung selten gehörter Meisterwerke der italienischen Spieloper zu erweitern.

Da private Mäzene kaum mehr in Erscheinung traten, sah es Tizian als kommunale Aufgabe an, die heimischen Kulturschaffenden zu unterstützen und zu fördern. So wurden bei öffentlichen Bauten im Rahmen von einem bis zwei Prozent der Bausumme künstlerische Aufträge vergeben und regelmäßig Werke der bildenden Kunst angekauft. Auch der 1957 gestiftete „Hugo-von-Montfort-Preis“ für Dichtung, Wissenschaft, Malerei und Plastik diente dem Zweck der Kulturförderung. Im Jahr 1953 überließ die Stadt der „Berufsvereinigung der bildenden Künstler“ das Palais Thurn und Taxis, das im Folgejahr renoviert wurde. Im fortan „Künstlerhaus“ genannten Gebäude konnten die Mitglieder der Berufsvereinigung ihre Werke ausstellen und der Öffentlichkeit präsentieren. Das Palais war zudem Schauplatz zahlreicher städtischer Großausstellungen, zum Beispiel der drei großen Barockausstellungen der Jahre 1962 bis 1964. Bregenz hatte als erste Stadt des Landes seit 1955 ein eigenes und innovatives Kulturamt, das unter der Leitung von Oscar Sandner unter anderem Jazzkonzerte veranstaltete und modernes Theater nach Bregenz brachte.

Bregenz ist, gemessen an Größe und Einwohnerzahl, eine Kleinstadt. Aber auf gewisse Weise ist es eine Großstadt – wenn man das kulturelle Angebot zum Maßstab nimmt. Die Kulturstadt Bregenz, das „Mehr am See“, ist heute eine Marke, die weit über den Bodenseeraum hinaus bekannt ist. Wenn der Ruf von Bregenz als Kulturstadt mit Recht auf Institutionen wie den Festspielen, dem Vorarlberg Museum (dem früheren Vorarlberger Landesmuseum), dem Vorarlberger Landestheater, dem 1997 eröffneten Kunsthaus sowie auf einer lebendigen Kulturszene gründet, dann muss Karl Tizian das Verdienst zugesprochen werden, den Grundstein hierfür gelegt zu haben.

 

Buchpräsentation

17. Juli 2016, 11 Uhr, T-Café, Vlbg. Landestheater
Anlässlich des 100. Geburtstags von Karl Tizian erscheint das Buch: Karl Tizian Bürgermeister von Bregenz 1950 bis 1970
Hrsg. vom Amt der Landeshauptstadt Bregenz
Hardcover im Format 16,5 x 24 cm, 188 Seiten,
98 Abbildungen, 22 Euro, ISBN 978-3-903023-10-9, Bertolini-Verlag, Bregenz

Inhalt
Thomas Klagian Die Ära Karl Tizian
Thomas Klagian Weichenstellungen
Leo Haffner „Hilfe kommt aus Bregenz.“
Meinrad Pichler Die Bregenzer Autobahnfrage
Johann Marte Religion und Politik
Boris Marte und Bernhard Tschofen Ein Homo politicus im Gebirge

Karl Tizian
Geb. 12. April 1915 in Bregenz, Gest. 9. Februar 1985 in Lech
Bürgermeister von Bregenz von 1950 bis 1970
Landtagsabgeordneter von 1949 bis 1974
Landtagspräsident von 1964 bis 1974

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