Sabine Barbisch

Vom Leben in London zur soziologischen Arbeit

Juli 2020

Den „immensen Lernhunger“, der in ihm im Gymnasium geweckt wurde, hat Matthias Benzer über das Studium und erste berufliche Erfahrungen hinaus aufrechterhalten und darauf eine wissenschaftliche Karriere gebaut. Seit über zehn Jahren ist er Dozent für theoretische Soziologie in England – an einer der renommiertesten Universitäten der Welt.

Vor über zehn Jahren begann Matthias Benzer als Dozent in theoretischer Soziologie an der Universität Manchester zu arbeiten, zwei Jahre später widmete er sich demselben Gebiet an der Universität Sheffield – wo er auch heute noch tätig ist: „Meine Tätigkeit besteht aus soziologischer Forschung und Lehre. Die Arbeit in der Lehre besteht aus Vorlesungen für zwischen 100 und 200 Studentinnen und Studenten, kleineren Seminaren mit circa zehn bis 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, der Betreuung von Abschlussarbeiten in den soziologischen Bachelor- und Masterstudiengängen und der Betreuung von Dissertationen im PhD-Programm.“ Benzers Lehre konzentriert sich einerseits auf soziologische Theorien und Gesellschaftstheorien des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts; vor allem auf Kritiken des Kapitalismus, der Industrie­gesellschaft und des Rassismus. „Und andererseits kommen in meinen Lehrveranstaltungen theoretische Schlüsselinterventionen des zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhunderts zur Sprache: Zum Beispiel kritische Theorie, postmoderne Theorie und feministische Interventionen. Meine Forschungstätigkeit hat sich bisher auf kritische und postmoderne Gesellschaftstheorie konzentriert, wobei anfangs auch methodologische und im engeren Sinn soziologisch-theoretische Fragen eine Rolle spielten. Des Weiteren beinhaltet sie kleinere Arbeiten zu den gesellschaftlichen Konsequenzen der Ressourcenverteilung im britischen Gesundheitssystem.“

„Typische“ Kindheit und die Frage der „autonomen Entscheidung“

Seine Kindheit in Feldkirch beschreibt der Soziologe als „materiell sehr komfortable und auch sonst für Vorarlberg in den 1980er- und 1990er-Jahren wohl ziemlich typische Kindheit.“ Dabei erinnert sich der 40-Jährige gerne an seine Zeit als Gymnasiast zurück: „Ich wurde von einigen sehr kompetenten Professorinnen und Professoren unterrichtet, die sowohl fachlich bestachen als auch in ihrem Umgang mit uns die Umrisse einer äußerst geistigen und gleichzeitig im relevantesten Sinn kritischen Haltung skizzierten. Zudem brachten sie es zustande, in mir, einem eigentlich talentlosen Jugendlichen, zumindest einen immensen Lernhunger zu wecken und ihn über die Jahre hinweg aufrecht zu erhalten.“ Nach der Matura ging der Feldkircher an die „London School of Economics and Political Science“. Alle, die der Teenager damals von seinen Auslandsplänen überzeugen musste, bekamen detaillierte Ausbildungs- und Berufspläne vorgelegt; mit dem Argument, dass deren Verwirklichung vollends von einem Studium an dieser Universität abhängen würde. „Aber realiter wollte ich hauptsächlich in London leben. Das Universitätsstudium war anfangs strikt ein Mittel zu diesem Zweck. So schlitterte ich in den ersten Wochen an der Universität ins Soziologiestudium, anstatt dass ich mich sehr bewusst dafür entschieden hätte.“ Gemeinsam mit seiner englischen Mitbewohnerin besuchte Benzer eine Vorlesung in Gesellschaftstheorie: „Nach dieser Vorlesung und einigen Seiten dazugehöriger Lektüre in der Bibliothek war meine Tätigkeit bis auf weiteres entschieden, ohne dass ich mich selbst hätte um die Entscheidung groß kümmern müssen. Die Fähigkeit der Kategorie der autonomen Entscheidung, ausschlaggebende Momente des menschlichen Lebens zu erfassen, wird ja auch gerade in der Soziologie mit Recht weitgehend bezweifelt.“

Von London nach High Peak 

Nach der Promotion 2008 arbeitete der Wissenschaftler für zwei Jahre als Dozent in Soziologie am Institut für Soziologie an der Universität Manchester, um dann an die London School of Economics zurückzukehren und die folgenden zwei Jahre als Forscher im Centre for Analysis of Risk and Regulation tätig zu sein. Seit rund acht Jahren ist Benzer Soziologie-Dozent am Institut für Soziologische Studien an der Universität Sheffield, die international zu den renommiertesten Universitäten zählt – sie gehört zu dem einen Prozent der besten Universitäten der Welt und zu den 20 renommiertesten Einrichtungen in Europa. 
Privat lebte Matthias Benzer von 1999 bis 2012 in London, die meiste Zeit im Stadtteil Islington, den er als sein Zuhause empfand, dazwischen war er auch mehr als ein Jahr beruflich in Manchester tätig. Seit 2012 lebt er nun im High Peak: „Das ist eine sehr ländliche, durch den Peak District National Park bekannte Gegend in Nordengland.“ Abseits der Bibliothek, der Lehrveranstaltung und des Schreibtisches praktiziert Benzer „fell running“, eine Art Berglauf, die vor allem in Nordengland praktiziert wird: „Das ist für mich erholsam, und ich finde die Beschäftigung mit meiner sehr energetischen fünfjährigen Tochter Alice ausgesprochen unterhaltsam.“
Mit seiner Familie besucht er mindestens einmal im Jahr Familie und Freunde in Vorarlberg, nur heuer könnte es sich aus gesundheitspolitischen Gründen im Zusammenhang mit dem Corona-Virus nicht mehr ausgehen. Den Umstand, dass Vorarlberg keine Universität hat, bedauert der Soziologe in „kultureller, politischer und gesellschaftlicher Hinsicht. Es ist mir fast nicht möglich, nach Vorarlberg auch durch meine Arbeit Beziehungen zu unterhalten. Eine der wenigen Ausnahmen war die Gelegenheit, die sich vor zwei Jahren bot, bei den Montforter Zwischentönen in Feldkirch Soziologieseminare abzuhalten: Die Diskussionen im Rahmen dieser Veranstaltung waren für mich bemerkenswert. Vor allem schien mir unter den Anwesenden ein großes Interesse an universitärer Forschung im Allgemeinen und kritischer soziologischer Forschung im Besonderen zu herrschen.“

Lebenslauf

Matthias Benzer wurde am 13. Februar 1980 geboren und ist in Feldkirch aufgewachsen. Ab 1999 hat er Soziologie an der London School of Econmics studiert, promoviert hat er 2008. Die folgenden zwei Jahre arbeitete Benzer als Dozent für Soziologie am Institut für Soziologie an der Universität Manchester. Zwei Jahre am Centre for Analysis of Risk and Regulation an der London School of Economics folgten. Seit acht Jahren ist er Dozent der Soziologie an der Universität Sheffield. Matthias Benzer ist mit Jennifer verheiratet, die gemeinsame Tochter
Alice ist fünf Jahre alt.

„Mein Ziel wird es bleiben, zum besseren kritischen Verständnis gesellschaftlicher Beziehungen beizutragen“

Interview

Der in Feldkirch geborene Matthias Benzer lebt seit rund zwanzig Jahren in England. Er ist  Dozent in Soziologie am Institut für Soziologische Studien an der Universität Sheffield. Im  Interview mit „Thema Vorarlberg“ analysiert Benzer die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Österreich und England und erklärt, welche Auswirkungen die COVID-19-Krise auf seine Forschung hat.

Gibt es besondere Erlebnisse bzw. Erkenntnisse im Rahmen Ihrer Tätigkeit als Soziologie-Dozent?

Ich halte die Formulierungen der Grundzüge der Soziologie, die man in der kritischen Theorie des letzten Jahrhunderts – speziell bei Theodor Adorno – finden kann, immer noch für verlässlich. Demnach ist eine charakteristische Eigenschaft soziologischer Erkenntnis die Einsicht in soziale Beziehungen. Soziologie geht auf solche Verhältnisse zwischen Menschen, kurz gesagt auf Gesellschaft. Soziale Beziehungen und Verhältnisse bestimmen das menschliche Leben, sind aber weder den Menschen unmittelbar einsichtig noch rein empirisch festzustellen. Das macht die soziologische Forschung schwierig. Die soziologischen Methoden und Begriffe erlauben es, jenen Beziehungen und Verhältnissen auf die Spur zu kommen, sie kritisch zu durchleuchten und vielleicht sogar sie den Menschen bewusster zu machen. In einer Arbeit versuchte ich neulich zu zeigen, wie durch die Art und Weise, auf die im Britischen Gesundheitsdienst Entscheidungen darüber getroffen werden, ob in gewisse Behandlungen investiert wird oder nicht, eine problematische Form der Konkurrenzbeziehung zwischen Gruppen von Patientinnen und Patienten kultiviert wird. Dieser Versuch kann also als ein spezifisch soziologischer bezeichnet werden.

Oder anders gefragt: Gibt es eine Geschichte, die „nur in Ihrem Beruf passieren kann“ oder eine persönliche Anekdote?

Ob Geschichten oder Anekdoten im Register soziologischer Verfahrensweisen ihre Stellen haben können, ist eine methodologische Frage. Auf den ersten Blick gehören sie – vor allem Anekdoten, insofern diese ja typischerweise humorvoll sein sollen – wohl in andere Gebiete. Aber soziologische Erkenntnis wird von verschiedensten Verfahren unterstützt. Von einer sehr bekannten Perspektive aus, nämlich jener Jean-François Lyotards auf Sprachspiele, die aus Aussagen als Spielzügen bestehen, welche durch veränderbare Regeln definiert werden, kann man sich durchaus vorstellen, dass in der soziologischen Methode Geschichten und Anekdoten eine permanentere Funktion für die Erkenntnis einnehmen. In der Tat gab und gibt es soziologische Arbeiten, in denen Aussagen, die man mit etwas Großzügigkeit als Geschichten oder Anekdoten bezeichnen kann, ihre Rolle spielen. Meine eigenen Versuche beinhalten solche Komponenten aber bisher nicht.

Sie leben seit rund zwanzig Jahren in England, was sind für Sie die größten Unterschiede oder Gemeinsamkeiten zwischen Österreich und England?

Ich kenne das gegenwärtige Österreich zu wenig, um es detailliert und aufschlussreich mit England vergleichen zu können. Aber ein für Ihre Frage vielleicht relevantes Phänomen habe ich in den letzten Jahren ganz unsystematisch beobachtet. Was nämlich bestimmte Bereiche des politischen Diskurses und des Diskurses in der Tagespresse in England einerseits mit Teilen des medialen Diskurses in Österreich andererseits tatsächlich gemeinsam zu haben scheinen, ist die – zugegeben nicht immer sehr genaue oder profunde – Herausstellung Großbritanniens als Besonderheit im Verhältnis zu Kontinentaleuropa. Das mag vor dem Hintergrund der politischen Situation der letzten fünf bis sechs Jahre auf dieser Seite des Ärmelkanals wenig überraschen. Aber es ist bemerkenswert, wie häufig in Österreich, für das Großbritannien und sein EU-Austritt ja auf entscheidenden Ebenen von relativ überschaubarer Wichtigkeit sind, über dieses Land berichtet wird und verschiedenste Facetten des Lebens hier kommentiert werden. Dabei fällt auf, dass auch in Österreich immer wieder die Besonderheit Großbritanniens angedeutet wird, und zwar oft indem man es irgendwo zwischen einem Kuriosum und einer kollektiven Niederlage einordnet. 
Und was nun, sei es in Großbritannien, sei es in Österreich, wichtig wäre, sich zu vergegenwärtigen, ist, dass solche Kontrastierungen den Leserinnen und Lesern nicht nur zu verstehen geben, die Zustände im jeweils anderen Land seien bestenfalls komisch und wahrscheinlich völlig beschädigt, sondern auch suggerieren, die Verhältnisse im eigenen Land seien vernünftig eingerichtet und tadellos. Dass das die Menschen dazu anhalten könnte, selbst durchaus legitime Einwände gegen die Umstände in ihrem eigenen Land bereits gedanklich, das heißt, bevor sie sie überhaupt erst anmelden, fallen zu lassen oder herunterzuspielen, und dass sie so schließlich potenziell besser bei der Stange gehalten werden, ist, glaube ich, einsichtig. 

Vermissen Sie etwas am Leben im Ausland?

Ich verstehe mein Leben hier eigentlich nicht mehr als Leben im Ausland. Auch bezweifle ich, dass es das Vorarlberg, das ich aufgrund eigener Erfahrungen realistisch vermissen könnte, das Vorarlberg der Neunziger, noch in einem Maß gibt, das einem etwaigen Vermissen viel praktischen Sinn verleihen würde.

Die Lage ist aufgrund des Corona-Virus auch in England herausfordernd, wie erleben und empfinden Sie die Situation? Und wie ist die „Stimmung“ im Land? 

Ihre Frage nach der „Stimmung“ wäre eine passende Forschungsfrage für eine – wahrscheinlich zeitintensive – soziologische Studie. Aus dem Stehgreif ist eine stichhaltige Antwort kaum zu geben. Zudem wäre ein derartiges Projekt momentan vor methodologische Schwierigkeiten gestellt. Die soziale Distanzierung beschränkt gewissermaßen per definitionem die empirische Sozialforschung, etwa Interviews oder diverse Mittel der ethnographischen Forschung. Das vorausgeschickt – und wenn man „Stimmung“ eher in Richtung öffentliche Meinung als in Richtung Emotion versteht – lassen sich vielleicht für spezifische Aspekte der gegenwärtigen Stimmungslage gewisse Indizien, an die die Forschung wiederum anknüpfen könnte, bereits ausmachen.

Ein Beispiel dafür wäre...

Nehmen Sie die Diskussion im Königreich, nachdem der Begriff der Herdenimmunitätsstrategie ins Spiel gebracht wurde. Für eine Analyse der Machtverhältnisse und Machtausübung wäre es von großer Bedeutung herauszufinden, ob diese Strategie jemals ausgereift war, ob die Regierung tatsächlich mit ihr Ernst machen wollte, ob es wirklich darum gehen sollte, mit einer derartigen Strategie die Wirtschaft zu schützen, auch wenn dabei viele Pensionistinnen und Pensionisten stürben, welche Strategie stattdessen verfolgt wird, aus welchen Gründen – um nur einige wenige Themen zu nennen.
Auf die von Ihnen gestellte Frage nach der Stimmung aber wäre herauszufinden, wie auf diesen Begriff der Herdenimmunitätsstrategie reagiert wurde oder wird. Denn in dieser Diskussion über die Herdenimmunitätsstrategie drückt sich ein viel weiter reichendes Problem aus, das sich schon sehr viel länger stellt als jenes der Corona-Virus-Pandemie.

Und zwar? 

Dass der Hauptzweck der gesellschaftlichen Tätigkeit die Produktionssteigerung als solche sei, wird in der Soziologie – beispielsweise der französischen Soziologie spätestens seit Marcel Mauss, aber auch beispielsweise in der ganze Diskussion, die sich in Amerika und anderswo an John Kenneth Galbraiths Interventionen anschloss – längst sehr kritisch betrachtet. Gleichzeitig wird das in vielen anderen Bereichen keineswegs hinterfragt. Im Zuge der Debatte zur Herdenimmunität könnte man nun fragen, wie den Menschen in Großbritannien bei der Vorstellung, dass um der Produktion Willen in ihrem Namen tausende Menschenleben geopfert – im flachsten Sinne des Wortes „geopfert“ – würden oder zumindest tausende Menschen mit der ständigen Angst davor, ernsthaft krank zu werden, leben müssten, zumute wäre. Und dies würde dann darauf hindeuten, ob jene Vorstellung des Zwecks der gesellschaftlichen Tätigkeit unter den Menschen tatsächlich selbstverständlich ist. Das hätte durchaus Implikationen für die Frage letztendlich, ob die gegenwärtige Ordnung der gesellschaftlichen Beziehungen adäquat ist, beziehungsweise ob eine Rückkehr zur Normalität in diesem gesellschaftlichen Sinn ein adäquates Ziel sein kann. Jedenfalls hätte man damit einen wichtigen der besonderen Aspekte der Stimmung gegenwärtig schärfer im Auge. Aber das lässt sich alles nicht vorentscheiden. Ich wollte nur – ziemlich improvisiert – veranschaulichen, welche Themen man im Zusammenhang mit der Debatte um die Herdenimmunitätsstrategie bezüglich der „Stimmung im Land“ zur Sprache bringen könnte. 

Hat die COVID-19-Krise auch einen Einfluss auf Ihre Forschungen? 

Die nächste Studie hier soll herausfinden, wie Protokolle für Entscheidungen, die die Behandlung von Corona-Virus-Patientinnen und -Patienten im Britischen Gesundheitsdienst betreffen, gesellschaftliche Beziehungen mitformen. Daraus kann ich noch nichts berichten. Aber es stellt sich mit Covid-19 ganz allgmein die Frage an die Soziologie, wie die Krise und die Antworten oder Reaktionen auf sie sich auf das gesellschaftliche Gefüge auswirken. Das ist momentan schwer zu sagen. Man kann gewisse Konstellationen, die sich ergeben haben oder sich zu formieren beginnen, ausmachen, die gar nicht so verschieden sind von solchen, die man in der Soziologie schon in anderen Zusammenhängen analysiert hat. Das ist nicht überraschend. Andererseits wollen manche aus der soziologischen Perspektive heraus zumindest das Potenzial oder die Möglichkeit erkennen, dass sich nach Covid-19 für die Gegenwart grundlegende gesellschaftliche Verhältnisse in eine Konfiguration entfalten, die in entscheidenden Eigenschaften von der bisher herrschenden Ordnung abweicht. Aber ausschlaggebend wird sein, ob man das schlussendlich für wirklich grundlegende Verhältnisse wird sagen können – wie Machtverhältnisse, Eigentumsverhältnisse, strukturelle Ungleichheiten, Diskriminierung, die das Leben und die Arbeit der Menschen bestimmenden sozialen Bedingungen.
Vielleicht ist charakteristisch erst einmal – und ich meine wirklich in diesem Augenblick, also sagen wir der Konkretheit halber für den Augenblick dieses Frühlings und des kommenden Sommers – eben diese Spannung. Sie scheint sich ja auch in der englischen Formulierung des „new normal“ und der österreichischen der „neuen Normalität“ auszudrücken. Diese Formulierung ist selbst nicht gerade unproblematisch; es zeichnet auch sie eine gewisse Spannung aus. Jedenfalls ist es, wenn man beispielsweise in Richtung der Arbeiten Michel Foucaults schaut, die die Analysen dieser Situation in vielerlei Hinsicht orientieren werden und eigentlich jetzt schon orientieren, einfacher, sich unter einer neuen Norm etwas vorzustellen als unter einer neuen Normalität.
Zusätzlich ist aber vielleicht gerade in diesem Augenblick, in dem es zumindest so scheint, als ob sich eine gewisse Spannung, eine gewisse gesellschaftliche Unentschiedenheit vorübergehend einstellt, besonders augenfällig, dass die Aufgabe der Soziologie sich nicht darin erschöpfen kann, dass man wartet, was passiert, und dann die gesellschaftlichen Konsequenzen der Pandemie und der Antworten auf sie nachzeichnet. Vielmehr wird sich die soziologische Forschung zum Ziel setzen, durch kritische Analyse und gezielte Provokation innerhalb der Diskussion über diesen Augenblick seinen Ausgang mitzubeeinflussen, anstatt, um auf Ihre Frage zurückzukommen, sich lediglich von der Krise beeinflussen zu lassen.

Zum Schluss, was sind Ihre nächsten Projekte, wovon träumen Sie? 

Mein Ziel wird es bleiben, in dem bescheidenen Rahmen, in dem mir das möglich ist, zunächst vor allem mit der eben genannten Studie sowie in meinen Lehrveranstaltungen, zum besseren kritischen Verständnis gesellschaftlicher Beziehungen beizutragen und andere für diese Aufgabe zu gewinnen und vorzubereiten. 
An meine Träume der vergangenen Nacht kann ich mich am jeweiligen Morgen danach nie erinnern. Ohnehin bin ich als Soziologe nicht in der besten Position, mich an Traumprotokollen, geschweige denn an der Traumdeutung, zu versuchen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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