Brigitta Soraperra

Regisseurin und Kulturarbeiterin

Nicht relevant fürs System?

Mai 2021

Dieser winzig kleine Virus, der sich nicht und nicht von uns unterkriegen lassen will, hat so ziemlich alles auf den Kopf gestellt, was unsere Vorstellungen von Welt und Wertigkeiten ausgemacht hat. Wir haben im vergangenen Frühjahr «gelernt», welches die «wahrhaft wichtigen», die «absolut notwendigen», weil «systemrelevanten» Berufe und Bereiche in unserer Gesellschaft sind. Wir haben «gelernt», dass wir Menschen reine Grundbedürfnismaschinen sind, die einzig arbeiten, essen und aufs Klo gehen müssen.
Wir haben aber auch gelernt, dass unser System nicht bereit ist, diese von ihm selbst ausgerufene Relevanz mit angemessenen Löhnen zu honorieren (aber das steht auf einem anderen Blatt). Und dann kamen Lockdown 2 und 3, und all die grundbedürfnisbefriedigten Menschen sind eingegangen wie Primeln, die zu viel Wasser abbekommen haben. Denn es wurde bei aller Relevanz übersehen, dass wir Menschen nicht nur Nahrung für den Körper, sondern auch für Geist und Seele benötigen, so wie Primeln nun mal auch von der Sonne abhängig sind. Dass wir kreative Impulse und unkonventionelle Lösungsansätze brauchen, um Zuversicht für die Zukunft gewinnen und gesund bleiben zu können. Dass wir kritische Korrektive brauchen, um der systemimmanenten Hybris zu entkommen, die ignoriert, dass Mensch und Natur in direkter Beziehung stehen und voneinander abhängig sind. Und dass wir ab und zu einfach auch mal in Traumwelten flüchten können müssen, um Geduld und Ausdauer für den Pandemiemarathon aufzubringen.
Da stellt sich plötzlich erneut die Frage, was denn relevant fürs System ist. Ich wünsche diesem System die Lernfähigkeit zu erkennen, wie relevant Kunst und Kultur gerade in Zeiten einer Pandemie sind, denn sie bilden die Basis für ein gutes Miteinander und die Zukunft danach.