Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Aber welche Erwartungshaltung?“

April 2023

In den Augen der Menschen sollten Politiker volksnah, unabhängig und in ihren Zuständigkeiten hochkompetent sein: Warum sich derartige Erwartungshaltungen in der politischen Realität allerdings nicht unbedingt erfüllen lassen, das erklärte Politologe Peter Filzmaier nun bei einem Referat in Götzis.

Ist die Erwartungshaltung der Bürger an die Politik gerechtfertigt oder überzogen? Unter anderem zu dieser Frage nahm Peter Filzmaier Mitte Monat in Götzis Stellung; eingeladen von der Wirtschaftskammer Vorarlberg und im Rahmen eines „Treffpunkts Wirtschaft“ sprach der renommierte Politikwissenschaftler über „Unternehmer und die liebe Politik“. Wobei Filzmaier gleich zu Beginn quasi vorsorglich vor falschen Erwartungshaltungen warnte: „Es ist allzu leicht in einer Demokratie, mit Politik-Bashing schenkelklopfende Lacher zu ernten. Doch ist Politik-Bashing nicht nur nicht nobel, es ist auch Teil des Problems.“ Denn in den Augen einer Mehrheit, sagte der Professor in der Aula des Dorfinstallateurs, könne die Politik die Alltagssorgen der Menschen überhaupt nicht mehr verstehen. Das Vertrauen in die Lösungskompetenz der Politik sinke seit Jahren: „Und das ist ein großes Dilemma.“ In der Tat: Wie der Politikwissenschaftler später in seinem Referat erklärte, gebe es in Österreich mittlerweile eine Situation, in der es ausreiche, nur irgendwie anders zu sein, um politische Erfolge erzielen zu können: „Weil das Misstrauen gegenüber der etablierten Politik bereits so groß ist. Ich meine das bitter­ernst: Jede neue Gruppierung, so absurd sie auch ist, hat eine Chance. Weil die anderen so negativ gesehen werden.“ 

Fünf Forderungen
Apropos. Studien, berichtete Filzmaier, würden zeigen, wie man sich Politiker wünsche; fünf Forderungen gebe es nicht nur von Unternehmern, sondern auch generell von der Bevölkerung. Demnach sollten Politiker unabhängig sein, sowie bürgernah und charismatisch, sie sollten Fachkenntnisse haben und Verlässlichkeit beweisen. Rhetorische Frage des Professors an das Publikum: „Würde irgendjemand von Ihnen da energisch widersprechen, also sagen: Ich will abhängige, fremdgesteuerte Politiker, die völlig volksfern agieren, sich nirgendwo auskennen, keine Persönlichkeit haben und noch dazu lügen wie gedruckt?“ Die Frage sei, ob man sich eine solche Aussage vorstellen könne, nicht, ob es solche Politiker tatsächlich gebe, sagte Filzmaier unter dem Gelächter des Publikums. Und wurde gleich wieder ernst: „Aber welche Erwartungshaltung richten wir denn an politische Akteure? Und sind diese Erwartungen wirklich so einfach zu erfüllen? 

Anspruch und Realität
Was ist beispielsweise mit der Forderung, Politiker sollten unabhängig sein?
Laut dem Politologen wird im US-amerikanischen Parlament, dem Kongress, mit dem Ausdruck „Maverick“ jemand beschrieben, der, für alle überraschend, regelmäßig und unberechenbar, gegen die eigene Parteilinie stimmt. In Filmen – es gibt einen gleichnamigen Streifen mit Mel Gibson in der Hauptrolle – gelte das zwar als sympathisch. Aber in der Realität? „Erwarten Sie da nicht, dass die von Ihnen gewählten Abgeordneten konsequent entlang der jeweiligen Parteilinie abstimmen? Dass sich Grüne konsequent für Klimaschutz einsetzen, und Blaue gegen Zuwanderung, nur um Beispiele zu nennen?“ Soll heißen: Politisch unabhängig von der Parteilinie zu agieren, hieße politisch unberechenbar zu sein. „Und das will die jeweilige Wählerschaft nicht, sie erwartet von der gewählten Partei und deren Mandataren eine gewisse Berechenbarkeit.“
Was aber ist mit der Erwartung, Politiker sollten bürgernah und nicht volksfern agieren? Wer derlei fordere, und beispielsweise wesentlich mehr direkte Demokratie einfordere, der könne nicht gleichzeitig auch nach entscheidungsstarken Politikern rufen, sagte Filzmaier: „Ich argumentiere gewiss nicht für mehr Volksferne. Aber: Wer entscheidungsstarke Politiker will, erwartet auch Mut zu unpopulären Entscheidungen. Und wer mehr Volksnähe durch eine absolute direkte Demokratie fordert, muss berücksichtigen, dass auch dieses Modell seine Schwächen hat.“ Ein Beispiel? Wäre eine Pensionsreform. „Wenn ein Drittel der Wahlberechtigten bereits in Pension ist, dann würde es mit einer Abstimmung schwierig werden, große Reformen voranzutreiben.“ 

Die Sache mit dem Wunderwuzzi
Und was ist mit den Fachkenntnissen, die Politiker in den Augen der Bürger zwingend haben sollten? Er sei Wissenschaftler, vertrete also nicht die Auffassung, es solle in der Politik statt kompetenter Leute „nur Trotteln“ geben, sagte Filzmaier mit dem ihm eigenen Humor: „Aber sind wir doch fair gegenüber den Politikern! Wer von Ihnen kennt sich denn im Tischtennis, mit dem Beamten-Dienstrecht und mit Staatsopern gleichermaßen gut aus?“ Wer da den Kopf schüttle, müsse erst gar nicht versuchen, Werner Kogler als Vizekanzler abzulösen: „Denn in seinen Zuständigkeitsbereich fallen der gesamte Sport, die gesamte Kultur und die öffentlich Bediensteten. Den Wunderwuzzi, der sich da überall gleich gut auskennt, wird man nicht finden.“ Politiker bräuchten andere Kompetenzen, beispielsweise im Management: „Der jetzige Wissenschaftsminister ist für über 100.000 Menschen zuständig. Praktisch in jedem Ressort gibt es ein Milliardenbudget zu managen. Und dann gibt es noch die Aufgabe der öffentlichen Kommunikation.“ Der Politiker, die Politikerin, sie könnten also bestenfalls Generalisten, niemals aber Spezialisten in all ihren Zuständigkeiten sein: „Das mit der Sachkenntnis muss man also relativieren.“ Und wie steht es mit der Forderung, Politiker sollten verlässlich, also keine Lügner sein? „Ja“, sagte Filzmaier, „und Sie alle haben in Ihrem Leben noch kein einziges Mal gelogen, noch nie etwas verheimlicht, noch nie etwas nicht gesagt – oder noch nie geblufft.“ Das mit den Erwartungshaltungen sei also so eine Sache, schloss der Politikwissenschaftler: „Es ist nicht immer so einfach. Aber ich habe sie gewarnt, ich habe gesagt, dass ich kein einseitiges Politik-Bashing mache.“

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