„Ein falsches Wort und man ist raus“
Die Publizistin Pauline Voss (31) übt im Interview scharfe Kritik an der jungen woken Generation. Der gehe es nur darum, die Deutungshoheit über den gesamten Diskurs zu erlangen, sagt Voss: „Die Idee, das Politische ließe sich in Gut und Böse aufteilen, ist der totalitäre Kern des woken Denkens. Diese Idee stammt aus Diktaturen.“ Ein Gespräch über Sprachtabus, politische Instrumentalisierung – und die „Generation Krokodilstränen“, die sie in ihrem aktuellen Buch scharf kritisiert.
Frau Voss, wie kommt es, dass Sie, Jahrgang 1993, derart scharfe Kritik an der jungen Generation üben? Respektive an dem Teil, der sich selbst woke nennt?
Das ist den Erfahrungen geschuldet, die ich mit dieser Generation gemacht habe. Ich bin ein Mensch, der gerne kritisch hinterfragt, was andere sagen, der sich aber auch gerne selbst kritisieren lässt. Ein Mensch, der an den eigenen Annahmen zweifelt. Ein Mensch, der sehr gerne diskutiert. Aber mit meiner Generation ist das sehr schwierig. Man stößt auf heftigen Widerstand, wenn man versucht, Glaubenssätze zu hinterfragen. Gerade, wenn es sich um Glaubenssätze handelt, die vom links-grünen Lager verfochten werden.
Sie sagen, Wokeness sei: Repression.
Die woke Welt sagt von sich, sie sei eine Freiheitsbewegung und eine Bewegung, die Minderheitenrechte stärken will. Dagegen wäre ja nichts einzuwenden. Aber darauf läuft die Wokeness ja nicht wirklich hinaus. Im Grunde geht es denen doch nur darum, eine Deutungshoheit über den gesamten Diskurs zu erlangen, und bestimmte Meinungen unmöglich zu machen. In der Migrationsdebatte wird das beispielsweise deutlich.
Inwiefern?
Es wäre doch dringend zu diskutieren, wie wir die Migrationspolitik künftig gestalten wollen. Aber wir kommen nicht einmal mehr in eine solche politische Diskussion: Weil die Woken die Sache inhaltlich gar nicht diskutieren wollen, sondern sofort vor Diskriminierung und Rassismus warnen. Die wollen die eigene Meinung durchsetzen, die wollen keinen abweichenden Gedanken, keine Alternativen zulassen. Eine politische Debatte kommt dadurch gar nicht mehr zustande. Das hat doch mit politischer Freiheit nichts zu tun.
Wokeness und Meinungsfreiheit sind in Ihren Augen also gegensätzliche Begriffe.
Genau. So würde ich das definieren.
Sie schreiben in Ihrem Buch: „Viele der Tränen, die meine Generation öffentlich weint, sind Krokodilstränen.“ Ist diese Formulierung nicht zu hart?
Der Satz beschreibt genau, um was es geht. Da wird ein Schmerz simuliert, der gar nicht vorhanden ist. Nicht jeder, der öffentlich weint, ist ein Verwundeter. Schauen Sie doch nur, worüber sich die woken Vertreter meiner Generation beklagen: Beispielsweise darüber, dass jemand mit dem falschen Pronomen angesprochen wird. Oder darüber, dass jemand nach seiner Herkunft gefragt wird. Und das sollen die schlimmsten Erfahrungen meiner Generation sein? Wenn die sagen, das seien die zentralen gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit, dann sage ich: Ich nehme Euch nicht ab, dass das ein echter Schmerz ist! Das ist ein erfundener und politisch instrumentalisierter Schmerz, der auf den Diskurs einwirken soll. Und da kommt noch etwas dazu.
Was denn?
Dass sich meine Generation Problemen umso dringlicher widmet, je weiter diese entfernt sind. Je näher Probleme aber an der eigenen Realität sind, desto weniger wollen die Woken sie wahrnehmen.
Wie ist das zu verstehen?
Schauen wir uns eines der tatsächlichen Probleme an, mit denen wir konfrontiert sind: Die zunehmende Einwanderung aus muslimischen Ländern. Und der Einfluss, den der Islam in meiner Generation schon hat, auf die Männer- und Frauenbilder. Auch auf die innere Sicherheit hat die Migration massiven Einfluss. Viele Feministinnen sprechen aber lieber über die Diskriminierung, die männliche Migranten angeblich erleiden, als über die Diskriminierung, die von ebendiesen ausgeht. Dass man heute als Frau Angst haben muss, wenn man in bestimmten Gegenden am Abend raus geht, das ist ein reales Problem, das in der woken Debatte überhaupt nicht vorkommt. Das wird komplett ausgeblendet.
Wie überhaupt alles ausgeblendet wird, was dem eigenen woken Weltbild nicht entspricht.
Genau. Und stattdessen sucht man sich irgendwelche Ersatzprobleme und Ersatzhandlungen, die nicht die eigenen Interessen widerspiegeln, sondern nur dem linksgrünen Weltbild von Erwachsenen entspringen. Und das plappern die Jungen einfach nach. Und fühlen sich dann auch noch revolutionär. Da muss man denen doch sagen: Das ist doch nicht euer Kampf, den ihr da führt! Das ist der Kampf der linksgrünen Erwachsenen!
Junge woke Menschen verstehen nicht, dass man sie kritisiert. Weil woke zu sein, in deren Augen heißt: Gut zu sein. Und wer kann schon gegen Gutes sein …
Die Idee, das Politische ließe sich in Gut und Böse aufteilen, ist der totalitäre Kern des woken Denkens. Diese Idee stammt aus Diktaturen. Eine politische Debatte speist sich daraus, dass Menschen unterschiedliche Wertvorstellungen haben. Der eine sagt, ihm sei die Nation wichtiger. Der andere sagt, ihm sei Europa wichtiger. Der eine sagt, ihm sei Sicherheit wichtiger. Und der andere sagt, ihm sei Freiheit wichtiger. Und dann diskutiert man. Dann ringt man um Lösungen. Aber ein Woker sagt nur: „Ich bin der Gute. Der andere ist der Böse.“ Und dadurch wird ein Gespräch unmöglich. Es gibt beispielsweise, was Transsexualität betrifft, einen regelrechten Hype unter Jugendlichen. Aber trauen Sie sich, das auch zu sagen? Ich hab das einmal gemacht. Da war die Diskussion schon beendet, bevor sie überhaupt angefangen hat. Ich musste mir 20 Minuten lang anhören, dass ich komplett falsch liege. Man hatte überhaupt kein Interesse an meiner Sicht der Dinge, an meinen Argumenten. Die wollten nur festhalten, dass sie recht haben. Und ich unrecht.
Und Meinungen wie diese werden – ungefragt und ungebeten – in die Welt getragen.
Ich finde es ja an sich gut, wenn die Menschen ihre Meinungen in die Welt tragen. Auch ungefragt. Weil daraus ja erst eine lebendige Demokratie entsteht, wenn man sagt, was man zu sagen hat, und das nicht erst auf Aufforderung tut. Und ich finde es auch gut, wenn man sich für die eigenen Interessen einsetzt. Aber gerade die Woken wollen eben nicht jedem die Beteiligung an einer Diskussion zugestehen. Die wollen entscheiden, wer sprechen darf und wer nicht. Ein falsches Wort und man ist raus aus der Diskussion. Und so geht es nun wirklich nicht!
Wokes Gedankengut engt gedanklich und argumentativ ein. Warum beteiligen sich dennoch so viele junge Menschen freiwillig an dieser Einengung?
Ich glaube, das hat mehrere Gründe. Zum einen: Wokeness füllt eine innere Leere aus. Eine Leere, die durch das Ende anderer Ideologien entstanden ist, aber auch durch das Wegbrechen einst traditioneller Bindungen, wie sie früher beispielsweise von der Kirche ausgegangen sind. Und zum anderen: Wenn man heutzutage etwa an einer Universität oder im Kulturbetrieb vorankommen will, ist es sehr nützlich, in seiner Forschung oder in seiner Kunst woke Denkfiguren aufzunehmen. Weil dadurch sofort die Türen aufgehen. Für eine gebildetere Schicht sind diese woken Themen sehr günstig. Und deswegen sieht man so viel Wokeness unter Studenten, unter Akademikern, dort ist dieses Denken viel verbreiteter als unter quasi ‚einfachen‘ Menschen, die einem alltäglichen Job nachgehen.
Wird der Einfluss – um nicht zu sagen: die Macht –, die von woken Zirkeln auf die öffentliche Diskussion ausgeübt wird, eigentlich unterschätzt?
Es gibt einen erheblichen Anteil von Leuten, die diese Macht nicht mehr unterschätzen; es gibt mittlerweile ja ein großes Feld an Kritikern der Wokeness. Aber es gibt halt immer noch eine große Gemeinschaft von Menschen, die diese Macht komplett leugnen wollen. Die sagen ja, es gebe überhaupt keine Cancel Culture, es werde überhaupt niemand aus der Diskussion ausgeschlossen; und solange diese Menschen einen großen Einfluss haben auf die Politik und auf die öffentliche Diskussion, kann sich die Wokeness weiter ausbreiten.
Und Nutznießer des von der Sprach- und Moralpolizei verordneten korrekten Verhaltens sind die AfD in Deutschland und die FPÖ in Österreich.
Der Aufstieg der rechten Parteien hängt natürlich damit zusammen. Wobei sich dieser Aufstieg leichter stoppen ließe, wenn die konservativen Parteien mutig genug wären, sich einfach konsequent gegen die Wokeness zu stellen. Stattdessen lässt man all diese relevanten Themen, von der Migrations- bis zur Energiewendepolitik, einfach offen. Und dann muss man sich nicht wundern, wenn radikalere Parteien diese offenen Themen für sich ausnützen. Es liegt an der Verantwortung der anderen Parteien, ob sie den Rechtspopulisten das Feld überlassen.
Sollten mehr junge Menschen den Mut haben, der Wokeness zu trotzen?
Ich wundere mich oft darüber, wie wenig frech meine Generation ist. Nicht die abweichende, sondern die angepasste Meinung wird sozial honoriert.
Sie zitieren in Ihrem Buch eingangs Nitzsche, den Philosophen …
Genau, er schreibt in ,Morgenröte‘: „In Gegenwart der Moral soll eben, wie angesichts jeder Autorität, nicht gedacht, noch weniger geredet werden: hier wird – gehorcht!“
Vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person
Pauline Voss * 1993 in Frankfurt am Main, arbeitete als Redakteurin im Auslandressort der Neuen Zürcher Zeitung. Seit Mai 2024 ist sie als Chefreporterin Debatte beim Nachrichtenportal NIUS tätig. Pauline Voss lebt in Berlin.
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