Roland Gozzi

Präsident Rotes Kreuz Vorarlberg

Notwendiger Umbruch in der Patientenversorgung

Mai 2015

Der Rettungsdienst wird immer öfter zu Bagatellverletzungen gerufen, die Arztpraxen werden in den Abendstunden überschwemmt und die Ambulanzen an den Wochenenden überflutet. Der Grund sind nicht etwa mehr schwere Erkrankungen oder ein erhöhtes Unfallaufkommen, sondern Entwicklungen, die ich mit folgenden drei Schlagworten beschreiben möchte: Egoismus: Dieser wirkt sich insofern aus, als der Einzelne der Meinung ist, alle Gesundheitsdienstanbieter hätten ihm jederzeit rund um die Uhr zur Verfügung zu stehen. Schließlich bezahlt er seine Sozialversicherungsbeiträge.

„Doktor Google“: Beim kleinsten Wehwehchen wird im Internet recherchiert, und nachdem dort zu jedem Symptom eine ganze Reihe von möglichen ernsten Erkrankungen aufgelistet sind, müssen gleich alle verfügbaren Ressourcen ausgeschöpft werden.

Ärzteschwund: Die Verfügbarkeit von frei praktizierenden Ärzten und Notärzten zu jeder Tages- und Nachtzeit hat sich weiter verringert. Das ist absolut kein Vorarlberger Phänomen, sondern eine mit etwas Zeitverzögerung auch uns treffende Tatsache. Dabei gibt es nicht wirklich einen Ärztemangel, sondern eine Verschiebung aus Gründen der fachlichen Ausrichtung sowie anderer Lebensplanungen der heutigen Generation.
Um dieser Entwicklung gegenzusteuern, ist ein Umbruch in der Patientenversorgung dringend notwendig. Es braucht eine Erstkontaktstelle, die vom Patienten aufzusuchen bzw. anzusprechen ist. Erst dann soll der Patient – kostenfrei – in die für ihn zielführende Versorgungsstruktur Einlass finden („best point of Service“). Das erfordert Mut von der Politik, und von jedem Bürger Verständnis … ein Verständnis, das sich langfristig bezahlt macht, denn nur so kann unser hochwertiges Gesundheitssystem weiterhin Spitzenleistungen erbringen.