Thomas Summer

Psychologe und Psychotherapeut

Unmittelbar

September 2019

Cybermobbing ist eine Ausgeburt der digitalen Gesellschaft. Die Macht der Cybermobber rührt von ihrer Anonymität im Netz, der Größe des Publikums, der Hilflosigkeit ihrer Opfer und der Hemmungslosigkeit des Sprach- und Bildgebrauchs. Und beeindruckend ist: So wie uns eine liebevolle SMS oder eine gut gemeinte WhatsApp stärken können, so niederschmetternd, nachhaltig und verletzend wirken Blossstellungen, Anfeindungen und Ausgrenzungen, auch wenn sie mittelbar digital gesendet werden.
Eine 14-jährige Patientin erzählt, wie ihr wiederholter Ausschluss aus der WhatsApp-Gruppe der Mitschüler schmerzhaft und beschämend ist. Eine Kollegin berichtet, wie lange sie über einen Vorwurf eines Mitarbeiters in einer Mail an das ganze Team gebrütet hat. Ein Gymnasiast kündigt einen Suizid an, nachdem seine frühere Freundin intime Aufnahmen an ihre Mitschülerinnen geschickt hat und diese dann in der gesamten Schule kursieren. 
Die meisten kennen mittlerweile Fälle von Cybermobbing, manche haben es schon am eigenen Leib erfahren; die mittelbare Botschaft wirkt unmittelbar kränkend.
Wirksame Hilfe ist auch unmittelbar: Die Patientin vertraut sich mit ihren Gefühlen einer Nachbarin an, aus den häufiger werdenden Treffen wird eine Freundschaft, die direkt und spürbar ist. Meine Kollegin erfuhr, dass der Mitarbeiter Mails mit mehreren Empfängern schon öfters als Blitzableiter verwendet hat, um Frust abzubauen und Kollegen zu beschuldigen. Auf Initiative der Lehrerschaft und einer Fachärztin wurde das Verbreiten herabwürdigender Bilder in der Schule angezeigt. Das Unrecht wird geahndet werden. Digitale Kommunikation braucht die Balance des Respekts und der Menschlichkeit. Mitmenschlichkeit ist unmittelbar.