Herbert Motter

Amazon und der Schweizer Widerstand

März 2021

Aus Sicht des Giganten Amazon muss unser Nachbar wie eine Festung wirken. Umgeben von eroberten Märkten, in denen der Online-Händler erfolgreich den Vertriebskanal Internet dominiert, trotzt die Schweiz den Angriffen des Konzerns.

Im Jahr 1994 von Jeff Bezos gegründet, ist das US-amerikanische Unternehmen Amazon mittlerweile einer der größten Online-Versandhändler weltweit. Das Angebot des E-Commerce-Giganten mit Hauptgeschäftssitz in Seattle ist dabei ebenso groß wie vielfältig: Neben Büchern, Elektrogeräten und Bekleidung vertreibt das Unternehmen über seine E-Commerce-Plattform auch Lebensmittel, Drogerie- und Baumarktartikel sowie Spielzeug, Sport- und Freizeitartikel. Allein im Jahr 2020 erzielte der Konzern einen Gesamtumsatz in Höhe von 386 Milliarden US-Dollar (plus 38 Prozent).
Wir befinden uns im Jahre 2021 nach Christus. Ganz Europa ist von Amazon erobert… Ganz Europa? Nein! Ein unbeugsames Land namens Schweiz hört nicht auf, dem Online-Giganten Widerstand zu leisten. 

Vielschichtige Gründe

Die Gründe dafür sind vielschichtig, wie die Schweizer E-Commerce-Expertin Alexandra Scherrer weiß: „Zum einen ist die Schweiz ein verhältnismäßig kleiner Markt, dafür aber relativ kompliziert mit seiner Mehrsprachigkeit und der eigenen Währung. Zum anderen sah sich Amazon beim Markteintritt dominanten Playern gegenüber.“
Digitec, Microspot, die zu Migros und Coop gehören, sowie Brack.ch beherrschen bei unserem Nachbarn den Markt. Auf die immer wieder gestarteten Versuche eines schleichenden Markteintrittes stellen sich die Platzhirsche gut ein, unter anderem mit kontinuierlichen Investitionen in Innovationen. Daher konnte Amazon seine Pionierrolle nie wirklich ausspielen. Weil es noch keine namhafte Konkurrenz gab und der Markteintritt auf einen Schlag erfolgte, hatte Amazon in den 90er-Jahren in den USA, Grossbritannien und Deutschland leichtes Spiel. In der Schweiz hingegen sind die Felder traditionell längst besetzt.
Auch die Neuregelung des Mehrwertsteuersystems, nach der ausländische Händler seit Anfang 2019 für Schweizer Umsätze ab 100.000 Franken Mehrwertsteuer in der Schweiz abführen müssen, missfiel dem Online-Marktplatz. Amazon wollte die Neuregelung nicht mitgehen und versendet seither nicht mehr in die Schweiz. Kunden wurden auf den französischen und deutschen Marktplatz verwiesen. Die dadurch entstandene Einschränkung beim Sortiment nehmen die anspruchsvollen Schweizer Konsumenten dem E-Commerce-Riesen allerdings übel. 
Ebenfalls verantwortlich für die fehlende Dominanz Amazons in der Schweiz ist ein steuerliches Relikt aus dem späten 19. Jahrhundert: Die Schweiz ist weltweit die einzige Handelsnation, in der importierte Waren nicht nach Wert, sondern nach Gewicht verzollt werden müssen. „Das heißt, jeder Turnschuh, jede Gürtelschnalle, jeder Hometrainer, der in die Schweiz importiert wird, muss beim ausländischen Händler erst einmal auf die Waage“, erklärt der Schweizer Ökonom und Wirtschaftsinformatiker Thomas Lang gegenüber der „Zeit“. Das braucht Zeit und kostet Geld. Zwei Dinge, die es im schnelllebigen und kleinmargigen Online-Handel nicht gibt.
Lange Zeit hinkten die Eidgenossen im E-Commerce hinter her. Länger, als es im Ausland der Fall war, kauften die Kunden bevorzugt in richtigen Läden ein. Zu einer Trendumkehr kam es erst, als der wirtschaftliche Druck auf den Detailhandel aber immer mehr zunahm und immer mehr Filialen im Bereich Non-Food schließen mussten. Vergleichsweise loyal sind die Schweizer, wenn es ums Einkaufen geht. Nicht umsonst heißt es, man werde als Migros- oder Coop-Kind geboren.
Der Online-Handel in der Schweiz ist im vergangenen Jahr um 35 Prozent gestiegen, besonders aufgrund des pandemiebedingten Lockdowns. Amazon will weiter sein Stück vom Kuchen haben und wird weiter versuchen, den Schweizer Markt zu erobern. Doch dafür benötigt man eine eigene Infrastruktur und eigene Angestellte. Allerdings sind die Lohnkosten in der Schweiz hoch. Das schreckt ab.

In die Schranken gewiesen

Anders als in Deutschland und Österreich, wo er die Umsatz-Rangliste mit riesigem Abstand anführt, ist der amerikanische Gigant in der Schweiz lediglich die Nummer drei. Er machte 2019 einen geschätzten Umsatz von 700 Millionen Franken. In Deutschland setzte Amazon im Gesamtjahr 2020 24,7 Milliarden Euro um und konnte somit seinen Umsatz im Vergleich zum Vorjahr um rund 33 Prozent steigern. Rund ein Viertel des gesamten österreichischen Umsätze im Online-Handel gehen laut einer Studie zum „E-Commerce-Markt Österreich 2020“ an den US-Riesen. In absoluten Zahlen sind das etwa 880 Millionen Euro. 
In Österreich wächst das Bewusstsein bei den Betrieben, wie wichtig ein digitaler Weg direkt zu den Kunden ist. Das täuscht allerdings nicht darüber hinweg, dass die Branche hierzulande in zwei Lager gespalten ist: in jene Unternehmen, die E-Commerce und Kundenorientierung ernst nehmen und in die, die zwar erkannt haben dass ein digitaler Vertriebsweg wichtig wäre, aber immer noch nicht wahrhaben wollen, dass Know-how und gute Mitarbeiter Geld kosten.
Um die Online-Fitness der Händler zu stärken, braucht es ein entsprechendes Angebot. Das Vorarlberger Projekt Handel.Lokal.Digital – mit einem wMix an Maßnahmen, vom kombinierten Beratungs- und Schulungssystem bis hin zur Förderung – ist ein erster Schritt im digitalen Ausbau der Handelsbranche. Und letztendlich sind da die Kunden, die entscheiden.
Die Schweiz zeigt jedenfalls, wie man einem scheinbar übermächtigen Gegner die Stirn bietet.

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.