Herbert Motter
Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Der Mensch in der Technik

September 2021

Technik prägt uns in unseren alltäglichen Handlungen, ist Triebkraft für Innovation und Garant für Wohlstand: Über den Stellenwert und die Bedeutung von Technik in Vorarlberg.

Starten wir mit einem Zitat des Soziologen Werner Rammert? „Wenn wir einkaufen, rechnet und registriert die Kasse, informieren uns Preisschilder, benutzen wir Einkaufswagen und Kofferraum; wenn wir uns verabreden, vermittelt das Handy die Nachricht, bewegen Zug und Bus die Körper im Raum und synchronisiert die Armbanduhr die Zeiten der Akteure. Kauf und Verkauf in der Wirtschaft beruhen auf Verkehrsnetzen, wie Straßen, Schienen und Luftwegen. Kochen, Fernsehen und Verabreden bedürfen der Kraftwerke, Leitungsnetze und Stationen jenseits der Steckdose und des Kabelanschlusses.“ Kaum ein Bereich unseres Lebens ist von technischen Entwicklungen unberührt, unsere alltäglichen Handlungen sind maßgeblich von der Technik beeinflusst. „In materieller und lebensalltäglicher Hinsicht ist unsere Welt heute wie von keiner anderen Kraft vom wissenschaftlich-technologischen Fortschritt geprägt“, schreibt der Schweizer Physiker und Philosoph Lars Jaeger. 

Dabei ist Technik eine entscheidende Triebkraft für Innovation und zugleich Garant für Wohlstand. Sie hat das Potenzial, zur Lösung globaler Herausforderungen beizutragen. Technik verändert aber auch auf grundlegende Weise, wie wir wohnen, lernen, arbeiten, konsumieren, kommunizieren und uns fortbewegen, kurz: wie wir leben.
Angesichts der neuen organisatorischen, ökonomischen und technischen Entwicklungen wie Globalisierung, Ökonomisierung, Bevölkerungswachstum, ökologischer Krise, Nord-Süd-Konflikt, weltweiter Kommunikationstechniken und Informationsverteilung sind neue Antworten gefragt. So verweist die Frage: „Haben wir die Technik, die wir brauchen und brauchen wir die Technik, die wir haben?“ auf Zusammenhänge, die letztlich jede und jeden in seiner alltäglichen technisch bestimmten Lebenswelt berühren. 

Vorarlberg, „ein Multitalent“

Welch‘ immense Bedeutung Technik für den Wirtschaftsstandort Vorarlberg hat, das zeigt ein Blick auf Daten des „Techniklandes Vorarlberg“: Die im Verbund der Vorarlberger Elektro- und Metallindustrie (VEM) zusammengefassten über 120 Unternehmen leisten 65 Prozent der industriellen Wertschöpfung des Landes. In diesen Unternehmen stellen über 20.000 Arbeitnehmer Waren im Wert von über vier Milliarden Euro her, ein jeder einzelne Mitarbeiter erbringt damit, statistisch gerechnet, rund 250.000 Euro Wertschöpfung. Zudem bildet die Vorarlberger Elektro- und Metallindustrie aktuell 1626 Lehrlinge aus, wobei sich dort die Hälfte für den Lehrberuf der Metalltechnik und etwa ein Fünftel für Elektrotechnik entscheidet, Kunststofftechnik und Mechatronik folgen auf den Plätzen. 
Vorarlberg, sagt Professor Ronald Mihala, sei ein technisch-wirtschaftliches Multitalent: „Technische Kompetenz ist der zentrale Faktor für den Wirtschaftsstandort. Technik ist der Wegbereiter für Innovationen und unser Industriestandort braucht innovative Technik.“ Mehr noch: Dem Fachbereichsleiter Technik an der FH Vorarlberg zufolge ist die heimische exportorientierte Industrie, „um wettbewerbsfähig bleiben zu können, auf technische Innovationen angewiesen, ohne sie würde unser Industriestandort nicht funktionieren.“
Folglich ist eine technische Ausbildung auf hohem Niveau unerlässlich. Mihala erklärt: „Es ist unser primärer Auftrag, gute Fachkräfte für Gegenwart und Zukunft auszubilden, die das richtige Wissen und das richtige Mindset mitbringen.“ Wie aber bildet man angesichts der rasanten Entwicklung in diesem Bereich am Puls der Zeit aus? „Eine gute Frage“, sagt der Professor. Man sei ständig damit beschäftigt, zu recherchieren, zu monitoren, zu observieren. Auch um neue Technologien, die einen nachhaltigen Impact auf Wirtschaft und Gesellschaft haben werden, herausfiltern und in die Ausbildung integrieren zu können: „Und da ist es eine zentrale Herausforderung, zwischen erfolgversprechenden Trends und bloßen Hypes zu unterscheiden, eine Herausforderung auch angesichts der Tatsache, dass sich im technologischen Bereich das Wissen alle drei bis fünf Jahre nahezu verdoppelt.“
Starke Nachfrage
Technische Berufe ändern sich, wie kaum ein anderer Bereich am Arbeitsmarkt. Sie wandeln sich, sagt Mihala und doch sei der Bereich äußerst zukunftsträchtig: „Wer eine gute technische Ausbildung hat, in einem Studium oder in einem guten technischen Lehrberuf, der wird immer Arbeit haben, davon ist auszugehen.“ Wobei zwei Bereiche die Zukunft besonders prägen würden: „Alles, was entweder mit dem Thema Digitalisierung zu tun hat – oder mit Nachhaltigkeit, Umwelt und Energie im Sinne von Klimaschutz.“ 
Aber eigentlich haben alle technischen Bereiche eine vielversprechende Zukunft vor sich, heißt es in einer AMS-Publikation. Insbesondere jene Bereiche, die sich mit den Problemen der Zukunft auseinandersetzen, würden wichtiger: „Energietechnik, speziell alternative Energieformen, Medizin-, Gesundheits-, und Rehabilitationstechnik, Telekommunikation und Datenverarbeitung.“ Dabei wird der Elektrotechnik und dem Maschinenbau eine ebenso zentrale Rolle zugeschrieben wie der Mikromechanik. 
Wie es heißt, signalisieren gegenwärtig rund acht von zehn Industrieunternehmen Rekrutierungsprobleme in den Bereichen Technik und Produktion sowie Forschung und Entwicklung. Mehr als jedes zweite Unternehmen mit Nachfrage nach Personen aus dem Bereich MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) hätte mehr Jobs zu vergeben, scheitert jedoch an zu wenig geeigneten Bewerbern und Bewerberinnen. Der Bedarf nach entsprechenden Fachkräften ist groß – und wird immer größer.

Technik wird in ihrer Wirkung auch erfahrbar, wenn sie fehlt oder wenn sie nicht funktioniert. Springt das Auto nicht an oder fällt gar der Strom für längere Zeit aus, dann werden Routinen in kleinen Alltagswelten gestört, Rationalitäten in größeren Arbeitswelten unterbrochen. Technik hat erwünschte Folgen und weniger erwünschte Nebenwirkungen. „Die Folgen sind nicht durch die Technik direkt determiniert, sondern durch die Gestalt, die wir ihr geben, die Weise, wie wir sie institutionell einbetten, und den Stil, wie wir mit ihr umgehen“, schrieb Soziologe Rammert in seiner Abhandlung „Technik, Handeln und Sozialstruktur: eine Einführung in die Soziologie der Technik“.

Ein Blick in die Geschichte

Die Betrachtung der Geschichte zeigt, wie sich der Begriff der Technik im Laufe der Jahrhunderte gewandelt hat. In der Antike wurde unter „techne“ eine Kunst des Machens verstanden, die sich vom politischen Handeln und vom Arbeiten darin unterschied, dass mit Kunstfertigkeit etwas hergestellt wird, was nützliche Wirkung erzielt. Rammert: „Von den sich selbst bewegenden Prozessen der Natur unterscheiden sich die technischen Prozesse dadurch, dass sie künstlich und mit „ingenium“ („Ingenieur“) gemacht und in Gang gebracht sind. Ein historisch aufgeklärter Blick auf die moderne Industriegesellschaft lässt die Verschiebung des Akzents von der Technik des Machens zur Technik der Sachen erkennen.“
Zwei zentrale Standpunkte haben sich im Laufe der Zeit heraus entwickelt: Technikdeterminismus und Sozialkonstruktivismus. Ersterer geht davon aus, dass die vorhandene Technik die Gesellschaft prägt und somit sozialen Wandel vorantreibt. Die unterschiedlichen Ausprägungen des Technikdeterminismus sehen Technik einerseits als Möglichkeit des Fortschrittes, andererseits aber auch als Gefahr für die Gesellschaft. Der Sozialkonstruktivismus hingegen sieht Technik als eine Art Mittel zur Realisierung sozialer Zwecke. Vertreter dieses Standpunktes betonen, dass Technik nicht ohne den Menschen existieren kann, da sie eingerichtet und gepflegt werden muss. Technik wird also nicht mehr als künstliches Instrument einer Zweck-Mittel-Verbindung gesehen, sondern als eine Art Lebensform.

Die Techniksoziologie

Da Technik sich nicht isoliert begreifen lässt, sondern nur in Einbindung in einen sozialen Kontext, gibt es bereits seit der industriellen Revolution einen historischen Zusammenhang zwischen dem Aufkommen der Soziologie und technischem Fortschritt. Verdeutlicht wird dies durch eine eigene Wissenschaft: Die Techniksoziologie.
Der deutsche Soziologe und Professor für Techniksoziologie an der Technischen Universität Dortmund Johannes Weyer schreibt im Blog „Die Netzdebatte“: „Techniksoziologie lenkt den Blick auf die sozialen Prozesse der Technikkonstruktion und trägt so zu einem vertieften Verständnis der Wechselwirkung von Technik und Gesellschaft bei. Zudem zeigt sie Gestaltungsoptionen auf. Es macht Sinn, bereits im frühen Stadium technischer Innovationen intensiv über mögliche gesellschaftliche Folgen von Technik nachzudenken. Hier setzt die Technikfolgenabschätzung an: Sie entwickelt – unter Beteiligung von Experten und Laien – Zukunftsszenarien und versucht, mögliche Chancen und Risiken neuer Technik zu antizipieren.“ Mit den Auswirkungen neuer Technologien auf Gesellschaft, Umwelt und Wirtschaft beschäftigt sich übrigens, das sei an dieser Stelle erwähnt, das Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Wie umfassend die Technik als industrielle Anwendung eines entdeckten Verfahrens den Alltag beeinflusst hat, sieht man an der Dampfmaschine. Durch sie entstanden die Fabriken, der Arbeitstag und eine darauf bezogene Zeitstruktur in der Welt, neue regionale und städtische Viertel tauchten auf und schließlich kam die Eisenbahn dazu, die neue räumliche Strukturen schaffte. Nach ein paar Jahrzehnten Dampfmaschine hat die Welt anders ausgesehen. Und der Mensch? Der musste sich an völlig andere räumliche und zeitliche Strukturen anpassen. 

Über Ängste

Doch schon zu Beginn der Industrialisierung wehrten sich Menschen gegen die Durchdringung ihrer Lebenswelten durch Technik. „Die Maschinenstürmer des 19. Jahrhunderts fürchteten die sozialen Folgen der Technisierung von Fabriken. Heute schürt die Digitalisierung unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ ähnliche Ängste wie einst die Einführung des mechanisierten Webstuhls“, betont Rafaela Hillerbrand, Professorin für Technikethik und Wissenschaftsphilosophie am Karlsruher Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS), in ihrem Beitrag „Mensch und Technik - Wer beherrscht wen?“
Es soll nochmals Lars Jaeger, der Physiker und Philosoph zitiert sein, demzufolge ein erstaunlicher Widerspruch unsere Zeit präge: „Uns beherrscht eine bequeme, aber blinde Technikgläubigkeit, wir genießen den Luxus von Autos, Computertomografie und automatischer Abwasserentsorgung, vertrauen auf das Funktionieren von Smartphone, digitaler Datenkommunikation und Antibiotika, zugleich fürchten und verteufeln wir die technologische Zukunft.“

Neue Technologien

Apropos Zukunft. Werden uns neue Technologien denn im Kampf gegen den Klimawandel helfen? Die sogenannten Ökomodernisten sehen die Lösung für die globalen Risiken wie den Treibhauseffekt in einem Mehr an Technik: „Durch den sinnvollen Einsatz von Technologie sollen der Wohlstandszuwachs und die Umweltbelastung voneinander entkoppelt werden. Das ökomodernistische Manifest verspricht eine (nahe) Zukunft, in der wir und unsere (Kindes-)Kinder unberührte Natur genießen können und zugleich unsere ökonomischen Bedürfnisse auf eine effiziente Art und Weise erfüllt werden“, schreibt Hillerbrand.
Technik alleine sei zu wenig, es brauche die goldene Mitte, erklärt wiederum Ronald Mihala: „Es wird eine Mischkulanz zwischen einem bewussteren Leben und einer verbesserten, optimierten Technologie brauchen.“ Doch um Akzeptanz zu schaffen und auch Ängste zu nehmen, habe man die Menschen gut an neue Technologien heranzuführen, habe man die Chancen und den Mehrwert neuer Technologien darzustellen: „Es wird auf jeden Fall eine gewisse Technologieoffenheit brauchen; denn je mehr wir verstehen und umso sinnvoller wir die Technik einsetzen, umso mehr lässt sich das, was dem Klima schadet, zu einem gewissen Grad minimieren. Und dass wir etwas tun müssen, das ist klar. Denn der Klimawandel ist, entgegen der Annahme von Skeptikern kein Fake, der ist Fakt.“
Wie zwiespältig dieser Eingriff in die Natur sein kann, zeige ein Blick eben auf das Klima. Hillerbrand formuliert es folgendermaßen: „Macht und Ohnmacht des Menschen werden hier gleichermaßen deutlich. Wir sehen uns heute mit den weitreichenden Folgen des Treibhausgasausstoßes konfrontiert, der die Lebensgrundlage zukünftiger Generationen gefährdet. Während noch bis in die 1970er-Jahre Optimismus vorherrschte, dass sich das Klima zum Wohle der Menschheit gestalten lasse, zeigt sich heute, dass der Mensch das Klima nicht steuern und seine Eingriffe nicht ungeschehen machen kann.“
Oder doch? Mit dem sogenannten climate engineering scheint eine neue Technik verfügbar, die gezielt die Atmosphäre kühlen oder Treibhausgase, wie zum Beispiel Kohlendioxid, aus der Atmosphäre entfernen kann. Sowohl der Nutzen als auch die unerwünschten Nebeneffekte von climate engineering sind zurzeit umstritten. Hillerbrand, die Professorin für Technikethik, konstatiert: „Trotz großer Erfolge bei der Technikfolgenforschung und den Risikoanalysen sowie eines besseren Verständnisses im Umgang mit dem technologischen Fortschritt bleiben immer Unsicherheiten bei der technischen Umgestaltung der Lebenswelt. Diese Ungewissheiten gilt es zu berücksichtigen, wenn wir uns für oder gegen eine Technik entscheiden.“
Uwe Gackstatter, führender Manager der Robert Bosch GmbH, forderte jüngst in einem Interview: „Wir brauchen Technologie- und Anwendungsoffenheit. Ich plädiere: Gebt den Ingenieuren Freiräume, damit sie die besten Lösungen finden können! Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass wir auf diesem Planeten die große Herausforderung des Klimawandels in den Griff bekommen, indem wir den Ingenieuren vorschreiben, welche Technologien sie zu entwickeln haben.“

Das Technikland Vorarlberg

  • Über 120 Technikland Vorarlberg-Betriebe.
  • Über 30 verschiedene Lehrberufe.
  • Aktuell 1626 Lehrlinge in Ausbildung.
  • Die Elektro- und Metallindustrie ist der stärkste Wirtschaftsfaktor in Vorarlberg, die Exportrate liegt bei 95 Prozent.
  • Die Unternehmen im Technikland 
  • Vorarlberg leisten 65 Prozent der industriellen Wertschöpfung des Landes.
  • 20.000 Menschen im Technikland 
  • Vorarlberg stellen Waren im Wert von über vier Millionen Euro her.
  • Jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin erbringt 250.000 Euro Wertschöpfung in den Technikland-Betrieben.

 

Weiterlesen! 

Im Schwerpunkt werden zitiert: https://larsjaeger.ch/; AMS, Berufswahl Technik (www.berufs-infos.at/download/technik.pdf); Johannes Weyer in https://www.bpb.de/dialog/netzdebatte/; Werner Rammert: „Technik, Handeln und Sozialstruktur: eine Einführung in die Soziologie der Technik“; Rafaela Hillerbrand in „Mensch und Technik – Wer beherrscht wen?“; Uwe Gackstatter: Bosch-Manager: Technologieoffenheit bei Antrieben der Zukunft

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