Herbert Motter

Lebendige, vielfältige Ortsteile anstatt monofunktionaler, isolierter und autistischer Blöcke!

Dezember 2019

Architekt Roland Gnaiger (68) im Interview über den aktuellen Wohnbau in Vorarlberg, geänderte Gesellschafts­strukturen – und Herausforderungen der Zukunft.

Herr Gn​aiger, mal ehrlich, fehlt es uns an einem qualitativ hochwertigen Wohnbau im Land?

Ja, die wenigen Ausnahmen bestätigen diese Regel: Der aktuelle Wohnbau Vorarlbergs ist uninspiriert, nicht nachhaltig und geht an den realen Bedürfnissen vorbei. Das sich ständig wiederholende Muster der Blöcke fördert die Zersiedlung, generiert nicht die so dringend gebrauchte Raum-, Siedlungs- oder Ensemblegüte und bringt keine Lebensqualität. Wir sind zwar etwas ökologischer und designbewusster, sonst aber dort, wo wir 1980 schon einmal waren.
  
Kann es sein, dass uns der Profitgedanke zu sehr im Weg steht?

Wenn sich Wohnbau nur noch als Geschäftsfeld darstellt, dann kommen uns in der Tat Inhalte, soziale Verantwortung und Schönheit abhanden.  
 
Das Schlüsselwort Nachverdichtung ist derzeit in aller Munde.

Alle haben Angst vor ihr. Derweil beweisen Vorarlbergs schönste Beispiele der Architektur und des historischen Städtebaus (Feldkirch, Hohenems, ...), dass sie alle viel dichter sind als unser Siedlungsbrei. Mit historischer Nachverdichtung ließe sich nicht nur viel an Grund und Boden sparen, sondern auch eine Reparatur desaströser Strukturen einleiten.  
 
Gibt es neue Wohnformen, die Sie für nachhaltig und intelligent halten?

Bedauerlicherweise sind nachhaltige und intelligentere Wohnformen nicht neu.
Die alte und jüngere Baugeschichte wäre voll von besseren Beispielen. 
 
Die Gesellschaftsstrukturen haben sich verändert, wir erleben zum einen eine Urbanisierung in bestimmten Gegenden (Rheintal) und zum anderen eine Ausdünnung mancher Talschaften, das Anspruchsdenken hat sich im Laufe der Jahrzehnte massiv verändert – hat das Bauwesen/der Wohnbau diesen Veränderungen Rechnung getragen? 

Wir dürfen hier im Lande nicht übertrieben klagen. Dieser Trend ist international schlimmer. Vorarlbergs Kleinheit, der bessere öffentliche Verkehr und die Unterstützung finanzschwacher Gemeinden verhindern das Schlimmste. Aber wir haben auf diesen Trend nie vorausschauend und strategisch reagiert, er ist einfach irgendwie und ungeordnet passiert. Man muss nur genau an die Ortsränder und ins Land schauen. 

Worin sehen Sie die größte Herausforderung in Vorarlberg, wenn wir vom Wohnen in der Zukunft reden?

Dass wir uns „zusammensetzen“ und endlich gründlich und lösungsorientiert über das Thema reden: aus der Routine ausscheren, über „Tellerränder“ und Parzellengrenzen hinaus denken und ein längst vorhandenes Wissen umsetzen. Wir sollten jedenfalls wieder lebendige, vielfältige Ortsteile bauen anstatt monofunktionaler, isolierter und autistischer Blöcke! 
 
Vielen Dank für das Gespräch!

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