Sabine Barbisch

Martin Nägeles Mission in Kirgistan

März 2018

Nach einer Zimmermannslehre, seinem Studium an renommierten Universitäten und spannenden Jobs auf der ganzen Welt, hat sich Martin Nägele vor vier Jahren in Kirgistan niedergelassen. Was den Feldkircher in den gebirgigen Staat zwischen Kasachstan, China, Tadschikistan und Usbekistan geführt hat, wie sich das Leben in der Hauptstadt Bischkek gestaltet und warum er eine bestimmte Mission verfolgt, berichtet er hier.

Kirgistan ist ein von Gebirgen und Steppe geprägter Binnenstaat in Zentralasien. Im Norden grenzt das Land an Kasachstan, im Osten an China, im Süden an Tadschikistan und im Westen an Usbekistan. Seit 2014 lebt Martin Nägele, 1974 geboren und in Feldkirch aufgewachsen, in Bischkek, der Hauptstadt Kirgistans. „Kirgistan verfügt über wunderschöne Landschaften, mächtige Gebirge und vielfältige Ressourcen – von Landwirtschaft über Wasserkraft bis Gold – und stellt das progressivste politische System in der Region dar. Ich lebe mit meiner kleinen Tochter in der Hauptstadt Bischkek, die 800 Meter über dem Meeresspiegel liegt und am nördlichen Rand des bis zu 4875 Meter hohen Ala-Too-Gebirges liegt. Das ergibt eine imposante Kulisse, im Sommer stehen die schneebedeckten Gipfel direkt über der Stadt“, beschreibt Nägele seinen Wohnort. Das zentralasiatische Klima ist kontinental, mit Höchsttemperaturen über 40 und Tiefsttemperaturen unter -30 Grad. Unweigerlich fragt man sich, was einen Vorarlberger in dieses den meisten wohl nur vom Namen bekannte Land gebracht hat. Nägele ist der Leiter des kirgisischen Landesbüros der „International Finance Corporation“ (IFC), einem Mitglied der Weltbankgruppe. „Die IFC ist die mit Abstand größte und älteste Entwicklungsbank mit einem ausschließlichen Fokus auf die Förderung der Privatwirtschaft. In Kirgistan sind wir seit über 20 Jahren aktiv und investieren in lokale Banken und Mikrofinanzinstitute sowie ausgewählte Firmen. Darüber hinaus bieten wir Beratungsleistungen an, um die Rolle der Unternehmen in der Wertschöpfung des Landes und der Arbeitsplatzschaffung zu verstärken.“ Seine Mission: „State-of-the-art-Projekte in der Privatwirtschaft zu realisieren, die zum Maßstab für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung vor Ort werden.“

Sprachentalent in der Entwicklungsbank

Um dieses Ziele zu erreichen, arbeiten Martin Nägele und seine 30 Mitarbeiter Tag für Tag: „Es gibt viele Meetings und Aktivitäten vor Ort wie auch virtuell mit Kollegen in der Region und in Washington. Wegen des Zeitunterschiedes bedeutet das lange Abende mit Konferenzschaltungen und ein volles Postfach am frühen Morgen.“ Die internationale Zusammensetzung seiner Kollegenschaft und deren herausragende praktische und akademische Erfahrungen sowie gemeinsame Ziele motivieren ihn. Und Nägeles umfangreiche Sprachkenntnisse erleichtern ihm die Kommunikation: „Neben Deutsch, Russisch und Englisch spreche ich Französisch. Chinesisch kommt als nächstes dran – und der Vorarlberger Dialekt ist ohnehin Ehrensache.“

Als Leiter der Entwicklungsbank will er in Kirgistan viel bewegen: „Manche Arbeitstage enden mit dem großartigen Gefühl ähnlich wie beim Zimmern, am Abend den frisch aufgestellten Dachstuhl vor sich zu haben.“ Warum er genau diesen Vergleich wählt, lässt sich mit dem Anfang seiner beruflichen Karriere in Vorarlberg erklären: Weil er sich nach der Matura in der Berufswelt beweisen und „ordentlich anpacken“ wollte, absolvierte er eine Zimmererlehre bei Holzbau Mayer in Götzis. „Das ist ein faszinierender und abwechslungsreicher Beruf – physisch fordernd und intellektuell stimulierend.“ Für die „Herausforderung Studium“ fühlte er sich erst nach der Berufsausbildung bestens vorbereitet, seine Wahl auf Rechtswissenschaften sowie Philosophie plus einer Fächerkombination aus Geschichte und Politikwissenschaften an der Universität Wien. „Über Letzteres ist es mir mehrfach gelungen, ins Ausland zu gelangen. Unter anderem an die Kaderschmiede Sciences Po Paris, wo ich viel Inspiration und Orientierung für meinen weiteren Studien- und Berufsweg fand.“ Als einem der wenigen deutschsprachigen Studierenden ist es Martin Nägele danach auch gelungen, ein Stipendium für die Harvard University zu bekommen. „Dabei habe ich mich nicht von bürokratischen Hürden abhalten lassen und mich lange darauf vorbereitet, in dem ich die meisten anderen Dinge konsequent unterordnete.“ Sein Jus-Studium hat er etwa in Regelstudienzeit abgeschlossen, Ferien blieben ihm trotzdem keine, weil er diese zwecks Studienfinanzierung auf Dachstühlen und Baustellen verbrachte.

Internationale Karriere

Sein Engagement und sein Ehrgeiz brachten ihm auch die Möglichkeit von Praktika im Kabinett von Kommissar Fischler, beim Weltwirtschaftsforum in Davos sowie bei den Vereinten Nationen ein. Danach war er eineinhalb Jahre bei George Soros‘ „Open Society Institute“ beschäftigt, bevor Nägele für sechs Jahre am Hauptsitz des Weltwirtschaftsforums in Genf arbeitete: „Das ist eine nicht-profitorientierte Organisation mit über 500 Mitarbeitern auf der ganzen Welt und mit einer ganzen Bandbreite an Veranstaltungen und Aktivitäten. Eine sehr interessante Organisation, bei der ich viel Verantwortung übertragen bekam und mich beruflich sehr stark weiterentwickeln konnte.“ Heimatbesuche in Vorarlberg machte Martin Nägele während seiner spannenden beruflichen Stationen in „mehr oder weniger regelmäßigen“ Abständen. Seit er vor vier Jahren nach Bischkek gezogen ist, versucht er mit seiner kleinen Tochter zweimal im Jahr nach Vorarlberg zu kommen. Dann genießt er die Zeit am liebsten „im schönen Brand“ oder auf ausgedehnten Wanderungen und Skitouren im Rätikon. Die Rückkehr zu seinem Ursprung kann er sich „eines Tages“ nicht nur geografisch, sondern auch beruflich vorstellen: „Vielleicht mache ich mich beizeiten ja im Handwerk selbstständig. Da bietet Vorarlberg und Mitteleuropa ganz ausgezeichnete Perspektiven – gerade auch, was Innovation anbelangt.“ Wir sind gespannt!

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