Herbert Motter

Nichtstun verursacht hohe Kosten

April 2023

Ohne Gegenmaßnahmen fehlen im Jahr 2040 in den österreichischen Bundesländern zwischen 10.000 und 80.000 Beschäftigte. Auch das Bruttoinlandsprodukt würde deutlich geringer ausfallen.

Noch nie gab es so viele offene Stellen in Österreich wie heute: Lag die Zahl 2019 noch bei etwa 128.000, waren es im Jahr 2022 über 200.000. Allein gegenüber dem Jahr 2021 nahm die Zahl der offenen Stellen um gut 41 Prozent zu. Und dass sich dieser Trend ohne konkrete Gegenmaßnahmen bis 2040 unvermindert fortsetzen wird, das zeigen nun aktuelle Berechnungen der Wiener Synthesis Forschung GmbH. Demzufolge könnten in 17 Jahren rund 360.000 Stellen in den heimischen Betrieben nicht besetzt werden. Allein für Vorarlberg wird der Personalbedarf auf 15.920 Stellen ausgewiesen; immer vorausgesetzt, es wird nicht gegengesteuert.
Auf die einzelnen Branchen heruntergebrochen, heißt das: In der Produktion fehlen bis 2040 rund 60.000 Beschäftigte, im Handel 53.000, im Gesundheitswesen 28.000 und in den Bereichen Erziehung sowie Unterricht über 10.000. Letzteres sei besonders problematisch, erklärt WKÖ-Präsident Harald Mahrer, „weil dort die Weichen für die Zukunft gestellt werden“. 

Lücke kommt uns teuer zu stehen
Die Warnung der Wirtschaftskammer Österreich ist daher mehr als deutlich: Wird nicht rasch und effektiv gehandelt, um das Arbeitskräfteangebot zu erhöhen, wird uns diese zusätzliche Lücke zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt teuer zu stehen kommen. Berechnungen des Synthesis Instituts, kombiniert mit Zahlen der Statistik Austria, des WIFO und eigenen Berechnungen der WKÖ zeigen bis 2040 einen österreichweiten BIP-Verlust von rund neun Prozent oder in absoluten Zahlen ausgedrückt von rund 50 Milliarden Euro (zu aktuellen Preisen), als ohne die prognostizierte Lücke am Arbeitsmarkt. Und auch der Staat verliert laut WKÖ-Berechnungen von 2023 bis 2040 in Summe rund 150 Milliarden Euro (ebenfalls zu aktuellen Preisen) an Steuereinnahmen und Sozialversicherungsbeiträgen. Auf Vorarl­berg bezogen wäre das ein Rückgang um 2,5 Milliarden Euro, davon würden gemäß Ertragsanteilen im Rahmen Finanzausgleich die steuerlichen Mindereinnahmen 1,2 Milliarden Euro ausmachen.
„Tun wir nichts, droht eine Spirale abwärts: Weniger Wertschöpfung, weniger Wohlstand, weniger Steuereinnahmen – gleichzeitig steigen die Kosten für Pensionen, Gesundheit und Pflege rasant. Die Spirale führt entweder zu Abstrichen im Sozialstaat oder eben zu immer höheren Steuern“, warnt Rolf Gleißner, Leiter der Abteilung für Sozialpolitik in der WKÖ. Er erklärt: „Obwohl die Beschäftigung in den vergangenen Jahren zugenommen hat, nimmt das durchschnittliche Arbeitsvolumen je Beschäftigungsverhältnis ab, was zu einem erhöhten Bedarf an zusätzlichen Arbeits- und Fachkräften führt. Die Österreicher arbeiten heute im Schnitt um zwei Stunden pro Woche weniger als vor Covid-19 und drei Stunden weniger als vor zehn Jahren.“ Es spreche vieles dafür, Leistungsanreize zu stärken, um Menschen in Beschäftigung zu bringen beziehungsweise jene, die schon in Beschäftigung sind, aber noch nicht Vollzeit arbeiten, dazu zu bringen, ihr Arbeitsvolumen zu erhöhen. 
„Aus meiner Sicht muss sich das Mindset zur Arbeit wieder verbessern: Arbeit ist etwas Schönes, dass man gerne tut, wo man gerne hingeht, etwas gestalten kann, etwas das sich auch lohnt“, betont Verena Eugster, Vorsitzende der Jungen Wirtschaft Vorarlberg. Leistung, das sei Wirtschaft und das bedeute am Ende des Tages Wohlstand. „Wenn wir alle oder viele nichts mehr leisten wollen, etwas gestalten und weiterbringen, dann wird es irgendwann wirtschaftlich spannend; wahrscheinlich nicht für meine, aber die Generationen danach“, sagt Eugster.

Maßnahmenpaket
Die Wirtschaftskammerorganisation hat ein Bündel von Maßnahmen gegen den Fach- und Arbeitskräftemangel auf den Tisch gelegt und fordert eine rasche Umsetzung. „Es braucht etwa für Teilzeitbeschäftigte, ältere Mitarbeiter und Arbeitslose deutliche Arbeitsanreize (damit sich Vollzeitarbeit sowie längeres Arbeiten wieder auszahlen), eine höhere Steuerbegünstigung für Überstunden sowie eine optimierte Kinderbetreuung. Für Pensionisten muss freiwillige Mehrarbeit lukrativer werden beziehungsweise ist eine Ausweitung der Rot-Weiß-Rot-Card ein Gebot der Stunde (RWR-Karte für Lehrlinge 18+), wenn man zukünftig – anders als bisher – auf qualifizierte Zuwanderung setzen will“, führt der Präsident der Wirtschaftskammer Vorarlberg Wilfried Hopfner aus.
Die Wirtschaftskammer Vorarlberg verfolgt aktuell mit einem konkreten Projekt das Ziel, mehr Frauen für den Arbeitsmarkt zu gewinnen. In einem ersten Schritt wurde dazu eine Studie durch das Wirtschaftsforschungsinstitut Economica (quantitativ) und die FH Vorarl­berg in Auftrag gegeben. Erhoben wurde der Status quo, welche (ungenutzten) Potenziale vorhanden sind und welche Hemmnisse einer verstärkten weibliche Partizipation am Arbeitsmarkt entgegenstehen. „Aus den Erkenntnissen dieser Auswertung wollen wir dann Maßnahmen und Lösungen entwickeln, aber auch konkrete Forderungen an die Politik aufstellen, um die Position und das Potenzial von Frauen in der Arbeitswelt zu stärken“, erklärt der Wirtschaftskammer-Präsident Hopfner. Auf der Studie soll in weiterer Folge aufgebaut werden, es folgen Szenarien-Berechnungen, was etwa eine Hebung der Erwerbsquoten für den heimischen Arbeitsmarkt bedeuten könnte, und eine Befragung von circa 1000 Frauen, um das tatsächliche Potenzial sowie wichtige und notwendige Maßnahmen zu eruieren.
Die Verdoppelung der steuerfreien Überstundenzuschläge von zehn auf 20 Stunden pro Monat ist ebenfalls eine aktuelle Forderung der Wirtschaft. Eine Market-Umfrage unter 1000 Unternehmen und 2000 Österreichern gibt der Ideen nach einer Steuerbefreiung für Überstunden recht: Rund jeder zweite Befragte sieht in dieser Maßnahme eine Motivation, Überstunden zu machen. Bei Jüngeren (16 bis 29 Jahre) ist diese Bereitschaft mit 70 Prozent sogar noch höher. Laut Arbeitsminister Martin Kocher werden der bestehende Arbeitskräftebedarf und die hohe Anzahl unbesetzter Stellen aktuell unter anderem durch Überstunden abgefedert. Allein im Jahr 2021 wurden laut Statistik Austria 190,6 Millionen Überstunden geleistet. Das entspricht in etwa 100.000 Jahresvollzeitäquivalenten, die dem Arbeitsmarkt sonst zusätzlich zum bereits bestehenden Arbeits- und Fachkräftebedarf fehlen würden. Länger arbeiten würden darüber hinaus mehr als drei Viertel (77 Prozent), wenn man ab dem gesetzlichen Pensionsantrittsalter abgabenfrei zur Pension dazuverdienen könnte. Unter den befragten Firmen können sich 74 Prozent vorstellen, Pensionisten zu beschäftigen.

Qualifizierte Zuwanderung
Beim Thema Arbeitskräfte aus dem Ausland sieht WKÖ-Präsident Mahrer Österreich im Wettbewerb mit anderen Ländern, er fordert deshalb eine Strategie für qualifizierte Zuwanderung. Man wolle die Leute ins Land holen, die arbeiten wollen und die sich nicht auf die Parkbank setzen und den anderen beim Arbeiten zusehen. „Wenn wir nicht umdenken, wird das zum größten Problem der Republik“, betont Mahrer abschließend und weist darauf hin, dass Lösungen im Kampf gegen Arbeitskräftemangel auch helfen, die Inflation einzudämmen.

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