Werner Böhler

Schein–Manöver

April 2016

Wir haben es wieder einmal geschafft: Anlässlich der Attentate von Paris und Brüssel überlegt die EU-Kommission, durch Abschaffung des 500-Euro-Scheins Terroristen und Geldwäschern in Europa das Leben schwer zu machen. Diesem Ansinnen kann man ja durchaus etwas abgewinnen. Dass daraus aber nun eine Diskussion über die generelle Abschaffung des Bargelds entstanden ist, schadet mehr, als es nützt.

Laut Angaben der Europäischen Zentralbank waren 2015 insgesamt 614 Millionen Fünfhunderter-Scheine im Umlauf. Statistisch entfallen damit 1,8 Scheine auf jeden Bürger im Euroraum – auch wenn die meisten davon einen Fünfhunderter noch nie in Händen gehalten haben. Peter Bofinger, einer der fünf deutschen Wirtschaftsweisen, ist überzeugt, dass die größte Euro-Banknote ohnehin nur „lichtscheuen Gestalten“ zur Abwicklung ihrer Geschäfte diene. Tatsächlich würde der Verzicht auf den 500-Euro-Schein Kriminellen ein schlichtes Mengenproblem bescheren: So wiegen eine Million Euro in Fünfhundertern etwa 2,2 Kilogramm, die sich noch komfortabel in einer Aktentasche transportieren lassen. Für denselben Betrag in Fünfzigern braucht es schon Muskelkraft, immerhin beläuft sich das Gewicht in diesem Fall auf 22 Kilogramm.

Selbstverständlich dürfen wir nichts unversucht lassen, um Betrug, Korruption, Drogenhandel und Terrorismus einzudämmen. Gleichzeitig wissen wir aber jetzt schon, dass diese finsteren Machenschaften auch digital mit Bitcoins oder mit Diamanten abgewickelt werden können. Viel wirksamer wäre deshalb die Ausweitung der Geldwäscherichtlinien, vor allem in jenen Ländern, wo man es nicht so genau nimmt. Blickt man in die USA, wird eines schnell klar: Auch die Tatsache, dass die Weltleitwährung Dollar mit einem Hunderter als höchster Banknote auskommt, verhindert illegale Bargeldtransaktionen nicht.

Aber auch die kleinen Kupfermünzen sorgen für Gesprächsstoff: Mittlerweile kostet die Herstellung einer Ein-Cent-Münze mehr als sie wert ist. Bei den Zwei- und Fünf-Cent-Münzen liegen die Kosten nur knapp unter dem Wert. Seit letztem Jahr muss deshalb in Irland – wie schon länger in Belgien, Finnland und den Niederlanden – auf fünf Cent auf- oder abgerundet werden. Spricht das für die generelle Abschaffung der kleinen Münzen? Nein, denn das käme einer staatlich verordneten Geldentwertung gleich. Genügend Haushalte müssen jeden Cent zweimal umdrehen – getreu dem Motto: „Wer den Groschen nicht ehrt, ist des Schillings nicht wert.“

Überhaupt tappen gerade Menschen, die im Umgang mit Geld leicht den Überblick verlieren, ohne Bargeld viel schneller in die Schuldenfalle. Für sie bleibt der virtuelle Geldfluss zu ab­strakt. Davon können auch die Schuldnerberater ein Lied singen, ebenso Kinder und Jugendliche, die erst in die Wirtschaftswelt einsteigen. Sie können mit Bargeld leichter die Kontrolle über ihre Ausgaben behalten. US-Forscher bestätigen unsere Erfahrungen: Zahlen mit Bargeld aktiviert das Schmerzzentrum im Gehirn. Wir überlegen uns deshalb meist genau, ob und von wie vielen Scheinen und Münzen wir uns wirklich trennen wollen. Nicht so aber bei der Kartenzahlung.
Die Diskussion rund um die Bargeldabschaffung kommt zu Unzeiten. Gerade eben hat sich die Republik als eifrige und unerbittliche Steuereintreiberin deklariert und will mit Registrierkassenzwang Abgabenhinterziehung vorbeugen. Und das nimmt bei Kleinbeträgen groteske Züge an. Gäbe es nun gar kein Bargeld mehr, was würde aus den Sonntagskollekten in der Kirche oder den Haussammlungen für Hilfsorganisationen werden? Bräuchten unsere Enkel ein Kartenterminal, wenn wir ihnen mal zwischendurch einen Zwanziger zustecken wollen?

Ein wesentliches Argument, das verständlicherweise Angst erzeugt, ist nicht von der Hand zu weisen: Durch die Abschaffung des Bargelds ist jede unserer Transaktionen überwachbar. Jede! Wir werden tatsächlich zum gläsernen Menschen. Alle unsere Vorlieben, unsere Motive, wären für eifrige Datensammler transparent. Sie müssten nur zugreifen und sie für ihre Zwecke verwenden. Und auch die Negativzinsen für die Einlagen Privater wären von der EZB leichter durchsetzbar. Banken gegenüber ist das ja schon gängige Praxis. Solange wir zumindest theoretisch unser Geld auch zu Hause verwahren könnten, ist dies nicht möglich.

Was in der Abschaffung größerer Euro-Banknoten seinen Anfang nimmt, könnte mit der totalen gesellschaftlichen Gleichschaltung aller Bürgerinnen und Bürger enden. Wir würden wieder ein Stück unserer freien Wahlmöglichkeit verlieren. Ich bin erleichtert, dass sich Österreichs Politikerinnen und Politiker in seltener Einmütigkeit unverzüglich für die Beibehaltung des Bargelds ausgesprochen haben, es sogar in den Verfassungsrang hieven wollen. Überflüssig wie ein Kropf erhitzt die aktuelle Diskussion nicht nur unnötig die Gemüter und lenkt von den wirklich wichtigen Dingen ab. Sie schadet darüber hinaus auch dem Stellenwert unserer gemeinsamen Währung: Denn (Bar-)Geld ist eben Vertrauenssache.

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.