Herbert Motter

Wenn Mut sich lohnt

Oktober 2015

Unternehmensgründungen haben wirtschaftlich wie gesellschaftlich eine hohe Relevanz für den Standort und viel mit der Verwirklichung von Träumen zu tun. Ein Plädoyer für unternehmerisches Denken und mehr Risikobereitschaft.

One day, baby, when we’ll be old and think of all the stories that we could have told – eines Tages, Baby, werden wir alt sein und an all die Geschichten denken die wir hätten erzählen können.“ Karin Prantner, propella – der Laden für Kinder in Feldkirch, hat diesen Gedanken der Poetry-Slamerin Julia Engelmann verinnerlicht. Er war sozusagen die Triebfeder für ihren Schritt vom Angestelltenverhältnis in die Selbstständigkeit.

„Ich wollte nicht zu den Menschen gehören, die ein Leben lang über Träume sprechen, sie aber nie realisieren.“ Prantner war zeit ihres Berufslebens im Einzelhandel tätig und wurde von einer großen Unzufriedenheit begleitet, da „ich nie die Möglichkeit bekam, alle Bereiche miteinsehen zu dürfen“. Sie wollte unternehmerisch denken,  sprich mitentscheiden. „Mir war klar, dass dann einige Stolpersteine und Rückschläge auf mich warten.“ Doch der Wunsch, selbst gestalten zu können, thronte über allem. Mit „propella“ hat Karin Prantner ihren Lebens­traum vor gut eineinhalb Jahren Realität werden lassen.

„War es das schon, oder gibt es da noch mehr?“ Gerade einmal 35 Lenze zählte Christoph Kleboth, als er sich die altbekannte Sinnfrage mit Blick auf seine berufliche Karriere stellte, damals, im Jahr 2006. Die Antwort sollte er sich schon kurz darauf selbst geben. Und zwar mit der Gründung seines eigenen Unternehmens, mit dem Bau-Profi Kleboth. „Wenn jemand eine gute Idee und den richtigen Spirit mitbringt und – inklusive Partner – voll und ganz hinter dem Projekt stehen kann, so jemandem kann ich nur Mut zur Selbstständigkeit machen.“ Die Beratung beim Gründerservice der Wirtschaftskammer Vorarlberg ist dem Bau-Profi noch heute in bester Erinnerung. Kleboth: „Da sind wirklich sehr engagierte Menschen am Werk, da bekommt man eigentlich jede Hilfe, die man benötigt.“

Blick zurück

Wirft man einen Blick zurück, etwa in die 1970er-Jahre, waren es andere Tätigkeitsbereiche als heute, die zur Selbstständigkeit führten. Mit den Jahren hat sich einiges aufgesplittert, neue Dienstleistungen und damit neue Berufe sind entstanden, nachdem in den klassischen Berufen gesättigte Märkte vorgefunden wurden. Das heißt, Berufe müssen sich ständig neu erfinden, um den vielen kreativen Ideen Platz zu bieten. Die Regelungen für die Selbstständigkeit waren klar vorgegeben. Ausbildung, Berufserfahrung, Meisterprüfung und bestimmte Altersvoraussetzungen kennzeichneten den Weg. Ohne Meister- oder Befähigungsprüfung war auch bei entsprechender Berufserfahrung unter einem Alter von 45 Jahren in vielen Berufen eine selbstständige Tätigkeit nicht möglich.

Längst sind durch die rasante Entwicklung neuer Berufe, durch neue Technologien und das Anbieten von Teiltätigkeiten in klassischen Berufen alternative Befähigungsnachweise relevanter und der Zugang zu vielen Berufen leichter geworden.

Mitte der 1990er-Jahre setzte aufgrund der damaligen Liberalisierung der Gewerbeordnung ein Boom ein.

„Ein Schritt in die richtige Richtung. Berechtigung hat die Gewerbeordnung mit entsprechenden Zugangsvoraussetzungen nach wie vor dann, wenn es um Berufe geht, die mit Leib und Leben zu tun haben und es um den Schutz für den Konsumenten geht“, betont Christoph Mathis, Leiter des Gründerservices der Wirtschaftskammer Vorarlberg. Doch auch er plädiert aus Erfahrung für ein Überbordschmeißen von absurden Regelungen und einen offenen und vernünftigen Zugang, wie er etwa in der Schweiz praktiziert wird. Für den Gründerberater gehören neben den fachlichen Voraussetzungen in erster Linie die unternehmerischen Grundkenntnisse verpflichtend festgestellt. „In den Beratungen merken wir immer wieder, dass zu viel auf das Fachliche Wert gelegt wird, ohne jegliche Ahnung von Unternehmensführung.“ Es brauche eine gute, gesunde Mischung aus beidem.

Harter Start

Doch selbst dann kann die Anfangszeit hart sein, wie Karin Prantner schildert: „Für mich bedeutete es eine große finanzielle Herausforderung, verbunden mit vielen schlaflosen Nächten.“ Die Wirtschaftskammer habe sie als gute Partnerin erlebt. „Die Antworten waren professionelle, allerdings sollte man sich vorher auch die richtigen, konkreten Fragen überlegen.“ Auch Udo Filzmaier, Gründer und CEO von S.I.E. System Industrie Electronic in Lustenau, weiß von einem schwierigen Beginn vor 20 Jahren zu berichten: „Finanziell war es ein sehr mutiger Schritt, das kleine Polster bald aufgebraucht. Für meinen ersten Kundenbesuch musste ich mir 500 Schilling von meiner Frau ausleihen, damit ich das Benzin für die Fahrt nach Tirol bezahlen konnte.“ Filzmaier wie Prantner konnten auf die wertvolle Unterstützung in der Familie und im Freundeskreis zählen.

Auf den Grund für das Wagnis angesprochen, meint Filzmaier schlicht: „Ich kam mit meinem damaligen Chef übers Kreuz und habe fristlos gekündigt. Da ich keine passende Anstellung gefunden habe, machte ich mich selbstständig.“ Wie erfolgreich dieser so einfach klingende Schritt werden sollte, war zwar keineswegs abzusehen, aber in seiner Gedankenwelt stets vorhanden. 1995, bei einem Jungunternehmerseminar, formulierte der Lustenauer seine Ziele und erntete dafür Gelächter. Zumindest in einem hatten die Seminarkollegen von damals recht: Es kam nicht so, denn statt der erwarteten 150 Mitarbeiter beschäftigt Filzmaier heute 230, auch die Umsatzzahlen haben die erhofften und damals belustigten Ziele längst übertroffen. Für Filzmaier stellte sich die Entscheidung als goldrichtig heraus, da „ich von der Denkstruktur ein Unternehmer bin und ich machen kann, was ich machen will. Und wenn es Spaß macht, kommt auch der Erfolg.“

Ulli Natter, vor vier Jahren Gründerin der Elfenküche Suppenmanufaktur in Dornbirn, sieht das ebenso. Für sie war es eine sehr intuitive Geschichte, die ihr allerdings viel Skepsis einbrachte. „Ich folgte einem starken inneren Impuls und wusste, da bin ich daheim, da ist mein Herz. Alles, was man mit Herz und Leidenschaft tut, funktioniert. Man sollte sich viel mehr trauen, dem nachzugehen, was man tun will, was zu einem passt“, ist Natter überzeugt.

Herausforderung Unternehmensentwicklung

Der Schritt in die Selbstständigkeit setzt sich aus drei wesentlichen Phasen zusammen. In der Vorgründungs­phase fällt die definitive Entscheidung und die Vorbereitungen werden getroffen, danach folgen in der eigentlichen Gründungsphase das erstmalige Aktivwerden am Markt und der Aufbau einer überlebensfähigen Organisation. Phase drei ist die kritischste, denn nun geht es um Wachstum und damit den Fortbestand über Jahre hinaus. „Wachstum und Unternehmensentwicklung sind existenzielle Komponenten. Das habe ich damals völlig unterschätzt. Die größte Herausforderung in unserer Branche ist die schwer planbare Dynamik moderner Technologien. Dadurch werden Mitarbeiter benötigt, die mit stetigem Wandel gut umgehen können“, sagt Filzmaier. Christoph Mathis ergänzt: „Viele wollen gründen, aber oft nichts in die betriebswirtschaftliche und unternehmerische Qualifikation investieren.“ Dadurch habe die Qualität der Neugründungen im Laufe der Jahre eher abgenommen. Die Beratungsleistungen werden aufwendiger, zu oft fehlen die Grundvoraussetzungen. Etwa 550 Beratungen hat das Gründerservice im ersten Halbjahr 2015 durchgeführt.

„Wir raten niemandem ab, zeigen aber die Auswirkungen klar auf. Schon bei der Berechnung des Mindestumsatzes wird einigen klar, das geht sich nicht aus. Zwei Drittel, die zu uns kommen, machen sich dann auch selbstständig. Viele Gründer sind erfolgreich. Es ist dann schön, mitzuverfolgen, wie aus einer vagen Gründungsidee ein erfolgreiches Unternehmen entsteht.“ Etwa 1000 Personen sind es pro Jahr, die in Vorarlberg den Schritt wagen – eine fast schon magische Kon­stante seit beinahe 20 Jahren. Österreichweit sind es jährlich rund 30.000 Neugründungen, eine ebenfalls seit Jahren in etwa gleich bleibende Zahl. Warum das so ist, sei schwer erklärbar, meint Mathis, offensichtlich ist damit der jährliche Plafond  erreicht. Steige die Zahl massiv an, bestehe auch immer die Gefahr einer Qualitätsminderung der Gründungen.

Im Laufe seiner Tätigkeit als Leiter des Gründerservice hat er vor allem eines festgestellt: „Geld steht bei den Neugründerinnen und Neugründern nicht so sehr im Vordergrund, vielmehr geht es um die Selbstverwirklichung. So ist auch nach wie vor die Zahl derer, die aus einer Arbeitslosigkeit heraus gründen, vergleichsweise gering. Die Motive haben sich über die Jahre kaum verändert. Eigene Entscheidungen treffen zu können und eine flexiblere Zeit- und Lebensgestaltung stellen nach wie vor die häufigsten Beweggründe dar.

Viel Arbeit liegt noch vor uns

Auch wenn in der Vergangenheit Verbesserungen erzielt wurden, gibt es bei den Rahmenbedingungen für die Neugründer noch viel zu tun. Geht es nach der Jungen Wirtschaft, ist die Fahrtrichtung klar: Der Unternehmergeist soll in möglichst jungen Jahren geweckt und das unternehmerische Denken im Bildungsweg unterstützt werden. Das müsse schon in der Schule beginnen. Zudem macht sich die Junge Wirtschaft für eine Bewusstseinsbildung für das Unternehmertum und dessen Stellenwert in der Gesellschaft stark.

Denn Gründer besitzen ein riesiges Beschäftigungspotenzial. Neu gegründete Unternehmen schaffen bereits im ersten Betriebsjahr durchschnittlich 2,4 Arbeitsplätze. Sie tragen damit maßgeblich zur Weiterentwicklung des Wirtschaftssystems bei und kurbeln den Arbeitsmarkt an. Um den technologischen Wandel aber als Chance nützen zu können und aktiv zu gestalten, brauche es eine neue Gründerzeit mit einem unterstützenden Umfeld. Dieses Umfeld soll eine Strategie mit 40 Maßnahmen in den Bereichen Innovation, Finanzierung, Netzwerke, Infrastruktur und Bewusstseinsbildung schaffen. Ziel sind bis 2020 50.000 neue Unternehmen und damit 100.000 neue Jobs für Österreich.

Abfedern, was verloren geht

Gerald Mathis vom Institut für Standort-, Regional- und Kommunalentwicklung in Dornbirn hält Neugründungen und damit den Mut zum Risiko für eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit: „Uns muss bewusst werden, dass durch die Technologisierung und Automatisierung Arbeitsplätze wegfallen. Die müssen wir wieder schaffen – am besten durch die Entstehung endogener – sprich in der Region verwurzelter – Unternehmungen.“ Dazu brauche es eine Stärkung des ländlichen Raums, denn das Thema Abwanderung spiele eine wesentliche Rolle. „Die jungen Leute hältst du dort, wo es Arbeit gibt, das ist eine Frage der Standortpolitik, sonst bricht das gesellschaftliche Gefüge weg. Vor- und nachgelagert schaffen Selbstständige Arbeitsplätze und halten damit das Rad am Laufen“, betont der Standortmanager.

Die Gründer-Initiative ist längst notwendig, denn in Österreich ist immer noch ein Strukturdefizit in Form vergleichsweise geringer Spezialisierung auf dynamische und technologieorientierte Branchen festzustellen. Dazu kommt eine nicht leicht durchschaubare Förderlandschaft. Steuer- und Abgabenlast setzen noch eines drauf.

International hinkt man hinterher. Die Gründungsrate – das Verhältnis zwischen Unternehmensgründungen und aktiven Unternehmen – liegt bei 6,2 Prozent. Europäische Spitzenreiter wie Litauen und Lettland kommen auf 25 bzw. 17 Prozent. Auch bei der Selbstständigenquote liegt Österreich mit 8,8 Prozent europaweit im letzten Drittel. Und noch ein wesentlicher Aspekt findet hierzulande kaum Berücksichtigung: Es gibt keine Kultur des Scheiterns. Was fehlt, ist die Anerkennung durch Gesellschaft und Politik. Erst das Wertschätzen von Risikobereitschaft und unternehmerischem Engagement motiviert Menschen, ihre innovativen Ideen zu verwirklichen.  So ist es in den USA völlig normal, ein Unternehmen zu gründen und damit eventuell nicht nachhaltig erfolgreich zu sein. Man lernt aus Fehlern, kommt wieder auf die Beine und versucht es erneut. Oft ist ja nicht die Geschäftsidee schlecht, sondern lediglich die Umsetzung mangelhaft. In Österreich ist mit dem unternehmerischen Scheitern immer noch viel zu sehr ein gesellschaftlicher Ansehensverlust verbunden. „Keine Angst vor dem Scheitern“, so muss die Devise lauten!

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