Angelika Schwarz

* 1975 in Feldkirch, ist Journalistin, studierte Germanistin und Anglistin, langjährige ORF-Redakteurin und -Moderatorin (Radio und Fernsehen). Angelika Schwarz arbeitet in der Unternehmenskommunikation der Landeskrankenhäuser Vorarlberg.

Giftiges Erbe

Juli 2021

Cholesterin darf man sich nicht als chemisch gelöstes Element im Blut vorstellen. Es ist vielmehr gut verpackt in einem Fett­kügelchen.

Man erbt eben nicht nur Böden“, sagt man in Vorarlberg augenzwinkernd, wenn unliebsame Eigenschaften und Gegebenheiten von einer Generation auf die nächste übergehen – ein genetisches Erbe zum Beispiel, das Auswirkungen auf die eigene Gesundheit hat. Ein hoher Cholesterinwert ist so ein Erbe. Manche Menschen haben die genetische Veranlagung, einen niedrigen Cholesterinwert im Blut zu haben, andere einen hohen. Und eines vorweg: Die Erben können selbst nur ganz wenig dagegen tun. Ohne Hilfe von Medikamenten lässt sich diese Hinterlassenschaft nicht abwenden.

Schleichender Krankmacher
Cholesterin darf man sich nicht – wie etwa Zucker – als chemisch gelöstes Element im Blut vorstellen. Es ist vielmehr gut verpackt in einem Fettkügelchen, das wasserunlöslich ist. Cholesterin findet sich von Natur aus in unserem Körper und tritt unterschiedlich auf. Jenes Cholesterin-Kügelchen, das landläufig als „böses“ Cholesterin bezeichnet wird, hat leider eine so ungünstige Größe, dass es in die Arterienwand und ins Gewebe dringen kann. Das Gewebe erkennt dieses – in der Fachsprache LDL genannte – Cholesterin als etwas, das es bekämpfen muss. Mit einer Entzündung versucht es, den Eindringling abzubauen, schafft es aber nicht. Die Folge sind ständig leicht erhöhte Entzündungswerte. Für die Arterienwand ist das Gift. Ein Gift, das sich schleichend ausbreitet. Die Betroffenen spüren lange nichts davon, ein hoher Cholesterinwert ist heimtückisch und tut nicht weh. Die Entzündungswerte lassen sich nur im Labor mit einem Bluttest feststellen. Wird das LDL ungehindert in zu großen Mengen vom Körper produziert, macht es ihn im Laufe von Jahrzehnten krank. Und dann kann es mitunter ganz schnell gehen:

Direkte Ursache für Herzinfarkte
Ein zu hoher Cholesterinwert ist eine direkte Ursache für Herzkreislauferkrankungen, also für Herzinfarkte und Schlaganfälle. Dessen ist sich die moderne Medizin sicher: „Die Kausalität ist eindeutig bewiesen und wird zurzeit auf diversen Kongressen wissenschaftlich erklärt“, weiß Univ.-Prof. Heinz Drexel, Primar der Fachabteilung für Innere Medizin am Landeskrankenhaus Bregenz. „Klar ist auch: Je mehr LDL schon im Erbe vorhanden ist, desto mehr Arteriosklerose, also Verkalkung in den Arterien, kann entstehen. Mehr als die Hälfte aller Menschen, die im Spital behandelt werden, haben mit den Folgen einer solchen Arteriosklerose zu kämpfen.“ 
Im Prinzip können alle Arterien darunter leiden. Der schlechte Cholesterinstoffwechsel kann sich also auch an zwei Stellen gleichzeitig bemerkbar machen, etwa als Durchblutungsstörung am Herzen und an den Beinen. Rauchen, Feinstaub und ein ungesunder Lebenswandel tun das ihrige dazu. Zusätzlich zur körpereigenen Produktion wird Cholesterin auch über Nahrungsmittel zugeführt, es ist etwa im Eigelb. Man kann sich seinen LDL-Wert also auch (zusätzlich) anessen und zum Wachsen animieren. 
„Die Cholesterinwerte sind in diesen Fällen kumulativ entstanden, also im Laufe der Jahre gewachsen“, sagt Primar Drexel. Die Menschen werden immer älter, deshalb spielt dieses kumulativ entstandene Cholesterin und seine Folgen eine immer größere Rolle: Herzinfarkte und Schlaganfälle treten meist ab einem Alter von 50, 60 Jahren auf.

Immer bessere Medikamente
Gesunde, fettarme Ernährung und Bewegung können einen angeborenen hohen Cholesterinwert leider nur wenig abfedern. „Der für den Körper positive Einfluss direkt auf das LDL beträgt nur rund sieben Prozent“, erklärt Heinz Drexel. Das ist freilich kein Freibrief für einen ungesunden Lebenswandel, im Gegenteil. „Auf andere Krankmacher – wie Zucker im Blut – haben Ernährung und Bewegung nur eine viel deutlichere Auswirkung.“ 
Ist das Unheil einmal angerichtet und eine Arterienverkalkung entstanden, muss das LDL konsequent gesenkt werden. Die Arzneigruppe der „Statine“ drosselt die Produktion des körpereigenen Cholesterins und bremst damit neue Entzündungen aus. Kommt kein „Gift“ über das Blut mehr nach, kann sich mit der Zeit sogar das Gewebe ein Stück weit erholen. Nebenwirkungen der handelsüblichen Statine machen sich bei einem Prozent der Betroffenen hauptsächlich in der Muskulatur bemerkbar. „Aber auch hier hat die Forschung in den vergangenen Jahren laufend nachgelegt“, macht Primar Drexel Mut: „Es gibt beispielsweise ein ganz neues cholesterinsenkendes Medikament, das nur noch direkt in der Leber wirkt und nicht im Muskel. Man macht sich hier RNA zunutze, um den Cholesterinspiegel zu senken. Es wird den Patienten zwei Mal im Jahr unter die Haut gespritzt, sie ersparen sich die tägliche Einnahme von Tabletten.“ 

Frühe Messungen aussagekräftiger
Wer in jungen Jahren einen erhöhten Wert hat, der ist gut beraten, sich früh behandeln zu lassen. Je höher der Wert, desto früher. Heinz Drexel rät ab einem Alter von Anfang 20 zu ersten Messungen bei Gesunden-Untersuchungen: „Nach der Pubertät lässt sich schon gut feststellen, ob man zur gefährdeten Gruppe gehört. Frauen sollten in der Menopause erneut messen. Da kann es noch einen Sprung nach oben geben.“
In einer soeben abgeschlossenen Langzeitstudie haben sich Forscher und Ärzte aus Vorarlberg, ganz Österreich sowie Deutschland mit den Vorteilen der frühen Messungen beschäftigt: In einer Kooperation zwischen dem VIVIT (Vorarlberger Institut für vaskuläre Forschung) und dem aks (Arbeitskreis für Vorsorge- und Sozialmedizin) ist die Risiko-Vorhersage bei Herz-Patienten erforscht worden. Bei dieser Studie wurden 1090 Menschen über einen Zeitraum von über 30 Jahren hinweg beobachtet. Die heuer veröffentlichte Erkenntnis ist, dass ein Cholesterinwert, der in jüngeren Jahren gemessen wird, das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse im späteren Leben deutlich besser vorhersagt, als der Wert im höheren Alter. „Wir empfehlen daher eine Messung in früheren Lebensabschnitten, zu einer Zeit, in der noch keine cholesterinsenkenden Medikamente eingenommen werden“, betont Priv.-Doz. Dr. Dr. Andreas Leiherer vom VIVIT Vorarlberg. 
Also: Es lohnt sich bei dieser Erbschaft ganz besonders, die eigenen Cholesterinwerte so gut im Blick zu haben wie einen Kontostand.

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