Klaus Feldkircher

(geb. 1967) lehrt an der FH Vorarlberg, ist als freier Journalist tätig und betreibt das Kommunikationsbüro althaus7. Als Autor, Texter und Konzepter hat er bereits zahlreiche Sachbücher veröffentlicht. Weiters ist er in der Erwachsenenbildung tätig und lehrt Deutsch und Latein an der Schule Riedenburg/Bregenz.

„Alles läuft aus dem Ruder. Und ich bin mittendrin.“

Dezember 2020

25. Februar 2020: In Österreich werden die ersten Fälle von an Covid-19 erkrankten Personen bekannt. Kurze Zeit später: Die „erste Welle“ überflutet das Land.
Die Folgen? Lockdown, Wirtschaftseinbruch und eine „neue Normalität“.
Dann: Erholungsphase und Lockerungen ab April, Entspannung im Sommer.
Der Herbst bringt der Tragödie zweiter Teil: Die Infektionszahlen erreichen ungeahnte Werte. Appelle an Eigenverantwortung, Kontakt-Tracing und regionale Maßnahmen? Fehlanzeige, die „zweite Welle“ bricht herein.

Lockdown, der Krise erster Teil: Nachdem das Coronavirus – CoVid-19 – im Frühjahr 2020 gewütet hatte, kam, was kommen musste: der erste Lockdown. Die Folgen: Schließung der Geschäfte, aber auch Schließung der Schulen. Und zwar am Montag, den 21. März 2020. Was folgte, war eine Zeit von Distance Learning, Betreuung ja oder nein, Verschiebung der Zentralmatura auf Juni und vieles mehr.

Die „neue Normalität“

Entspannung? War ab Mai angesagt. Am 18. dieses Monats kamen sie wieder zurück, die jungen Lern- und Wissbegierigen. Zögerlich zwar, aber stetig. Und bis zum Schluss des Schuljahres im 2-Tagesrhythmus. Normalität? Jein. Eine „neue Normalität“ hielt Einzug. 
Der Sommer brachte dann Entspannung, und zwar so, dass sich viele in Sicherheit wähnten. Corona? Vorbei. So verhielten sie sich dann auch: Sommer, Sonne, Sommersonnenschein trieb alle hinaus. Spaß, Party, Trubel waren angesagt. Vergessen die Zeit des Social Distancing. 
Im September, genauer am 14., starteten alle Schüler hoffnungsvoll ins neue Schuljahr. Auch die Neo-Maturanten, die in diesem Jahr ihre Reifeprüfung ablegen sollten. Bloß kein Lockdown mehr, hing das Damoklesschwert auf Grund steigender Zahlen, vielleicht auch einem allzu sorglosen Sommer geschuldet, über ihnen. Und sie brachten Opfer: keine Klassenreisen, kein Käpplefest als Inauguration ins Maturajahr, kein Maturaball mit Familie, Freunden und der Schulgemeinschaft. Alles nur, um einer drohenden Verschärfung der Situation zu entgehen.

Schulschließungen im Herbst

Doch die Realität sollte sie eines Besseren belehren. Andere, die das Virus nicht so ernst nahmen, waren nicht bereit, ihren Lebensstil – zumindest ein wenig – der Situation anzupassen, um auch ein bisschen Verantwortung für andere zu übernehmen. Es kam, wie es kommen musste: Schulschließung für die Oberstufe mit 3. November, für die Unterstufe mit 17. Die Leidtragenden, alle Kinder, besonders aber die Neo-Maturanten, die sich mehr und mehr in die Enge getrieben fühlen.  So meint eine Maturantin: „Ich habe das Gefühl, dass wir mit dem Unterrichtsstoff allein gelassen werden. 
Eine andere schreibt: „Am meisten stört mich wirklich diese Ungewissheit. Man kann einfach nichts mehr planen, dabei habe ich mich schon ganze acht Jahre auf ein Käpplefest, ein Valet, einen Ball und auch eine Maturareise gefreut. Abgesehen davon mache ich mir wirklich Sorgen, ob ich die Matura schaffen werde, wenn man bedenkt, dass uns die Hälfte der 7. Klasse praktisch fehlt und wir nun wieder nicht in die Schule gehen dürfen und sämtliche Schularbeiten nicht schreiben werden. Wie soll ich das schaffen?“

Jugendliche und (fehlende) Lobby

Doch wo ist ihre Lobby? Wer kümmert sich um die Ängste dieser jungen Menschen? In den Medien ist ständig von den Sorgen Wirtschaftstreibender die Rede. Wann die Hotels und Gastronomiebetriebe wieder ihre Pforten öffnen dürfen. Wann die Kultur wieder ihren Esprit verbreiten darf. Zugegeben, alles wichtige Faktoren in unserer Gesellschaft, die ihre Berechtigung haben. Aber wer unterstützt Jugendliche, die auf Grund einer – vorsichtig ausgedrückt – verbesserungswürdigen Kommunikation der Behörden in ein Wechselbad der Gefühle getrieben werden. So meinte eine Jugendliche: „Außerdem verspricht der Bildungsminister immer, dass die Schulen so lang wie möglich offengehalten werden, und am Ende sind wir die ersten, die dran glauben müssen.“

Individuelle Betreuung

Direktor Gebhard Hinteregger von den Schulen Riedenburg meint dazu, dass es wichtig sei, auf die Sorgen und Ängste der Schüler einzugehen und jeden Einzelnen dort abzuholen, wo er stehe. So schreibt eine Neo-Maturantin: „Aber wenn einem nicht einmal die Schule eine Struktur geben kann (das soll natürlich wirklich kein Angriff auf unsere Schule sein, sie kann ja auch nichts dafür und macht ihren Job wirklich, wirklich gut!), geschweige denn die Regierung einen bombensicheren Plan hat, dann läuft alles aus dem Ruder, und ich bin mittendrin.“ 
Und genau hier setzt die Forderung Hintereggers an: die Schüler mit einer gewissen Gelassenheit auszustatten, um ihnen die Sorgen und Ängste vor dem Kommenden – Matura und Studium – zu nehmen. Und er fordert von den Pädagogen eine erhöhte Wachsamkeit, um den Jugendlichen in dieser besonderen Zeit fernab des Unterrichtsstoffs auch menschlich eine Stütze zu sein.

Selbstreflexion? Aber sicher!

Und dann sind die jungen Menschen in der Lage, sich selbst und ihr Leben zu reflektieren. Nein, sie sind nicht verwöhnt. Sie sind nicht Jammernde, die nur an sich denken. Sie haben ein feines Gespür für andere, was folgender exemplarische Textausschnitt beweist:
„Nachdem ich über das alles nachgedacht habe, muss ich immer daran denken, dass ich mich über solche Kleinigkeiten eigentlich gar nicht aufregen darf, schließlich sind wir einfach nur PRIVILEGIERT und dürfen eine Ausbildung genießen, einen Abschluss machen, müssen nicht hungern, haben Familie und ein Dach über dem Kopf!! Für viele Menschen sind diese Dinge, die ich aufgezählt habe, einfach nur lächerlich und sie wären heilfroh und würden ALLES dafür geben, auch so ein Leben führen zu dürfen, wie wir es tun. Ja, dann fühle ich mich wieder lächerlich, schlecht und verwöhnt, was die Sache auch nicht wirklich besser macht.“ 
Vielleicht stünde diese Form der Selbstreflexion so manchem Erwachsenen gut zu Gesichte.

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