Peter Freiberger

Das Geheimnis der roten Faser

Oktober 2014

Es war die akribische Arbeit der Spurensicherer der Vorarlberger Polizei, die vor 20 Jahren zur Verurteilung des Massenmörders Jack Unterweger führte. Eine rote Kunststofffaser, sichergestellt an der Leiche der Bregenzer Prostituierten Heide Hammerer, wurde ihm letztlich zum Verhängnis.

Es war der 6. Dezember 1990: Bei der Polizei meldet sich der Lebensgefährte der damals 31‑jährigen Heide Hammerer. Die Frau sei am Morgen nicht von der „Arbeit“ zurückgekommen. Die Exekutive vermutet gleich ein Kapitalverbrechen. Chefinspektor Werner Pichler, heute Leiter der Tatortgruppe im Landeskriminalamt Vorarlberg, damals junger Mitarbeiter der Spurensicherung, erinnert sich an die ersten Maßnahmen: „Es wurde Abgängigkeitsanzeige erstattet, wir machten Aufrufe in den Medien.“ Und natürlich nahm die Spurensicherung gleich ihre Arbeit auf. Die Experten untersuchten das Auto der Vermissten, das sie wie üblich gegenüber vom Bahnhof Bregenz abgestellt hatte, und ihre Absteige in der Vorklostergasse 39. Verdächtige Funde machten die Kriminalisten vorerst keine. „Dranbleiben an dem Fall“, lautete die Devise.

Eine weibliche Leiche

Am Silvestertag wurden die Befürchtungen dann Gewissheit: Der Hund eines Spaziergängers spürte im Lustenauer Ried eine weibliche Leiche auf – die der vermissten Heide Hammerer. „Wir erkannten sofort, dass es sich um ein Tötungsdelikt handelte“, erzählt Werner Pichler. Das bekleidete Opfer lag auf dem Bauch, in der Mundhöhle steckte ihr Slip. Die Obduktion noch am selben Tag ergab als Todesursache Ersticken durch Würgen, Drosseln und Knebeln.

Die Spurensicherer begannen ihre Arbeit, noch nicht ahnend, dass sie ganz wesentlich zur Aufklärung der wohl spektakulärsten Mordserie der österreichischen Kriminalgeschichte beitragen würden. „Wir haben an der Leiche Fremdhaare, Fremdfasern und eine rote Kunststoff­faser gefunden“, erzählt Pichler. Freilich: An Jack Unterweger als Täter dachte keiner. Der „Häfenpoet“ – ein wenige Monate zuvor vorzeitig aus lebenslanger Haft entlassener verurteilter Mörder – genoss seine Auftritte in der Öffentlichkeit, hielt Lesungen im ganzen Land, wurde allerorts hofiert, jedoch in keiner Weise mit Kapitalverbrechen in
Verbindung gebracht. Auch nicht mit zwei Prostituiertenmorden in Prag und Graz im Herbst 1990. „Wir vermuteten den Täter in der Schweiz, deshalb schickten wir die Kleidungsstücke des Opfers und gesicherte Fasern für Untersuchungen nach Zürich“, erinnert sich Werner Pichler. Eine eigentlich ungewöhnliche Maßnahme, zumal die in der Schweiz praktizierte Methode der Mikrospurenuntersuchung in Österreich als verpönt galt. Die rote Kunststofffaser sollte sich trotzdem als eine Leitspur in dem Fall herausstellen. Ermittlungen in der Schweiz brachten keine Ergebnisse, auf Anfragen bei den Behörden innerhalb Österreichs kam keine Rückantwort ins Ländle. Und Jack Unterweger schien – vorerst – nichts mit dem Fall Hammerer zu tun zu haben. Im Laufe des Jahres 1991 geschah in Österreich dann ein Prostituiertenmord nach dem anderen, Unterweger geriet schließlich doch ins Visier der Ermittler. Zu einem Haftbefehl konnte sich vorerst aber niemand durchringen. Im Februar 1992 überschlagen sich die Ereignisse. In Wien wird eine Sonderkommission gebildet, der auch der Vorarlberger Spurensicherer Pichler angehört. Das Gericht erlässt Haftbefehl gegen Unterweger. Der hatte den Braten freilich gerochen und war nach Gossau in die Schweiz geflüchtet, um sich anschließend nach Miami abzusetzen.

Rechnungen aus Dornbirn

Während seiner Flucht fand eine Hausdurchsuchung in Unterwegers Wohnung in Wien statt. „Dabei sind wir richtig fündig geworden“, erzählt Werner Pichler. „Wir entdeckten Rechnungen einer Nächtigung in Dornbirn zum fraglichen Zeitpunkt, dazu die Rechnung einer Dornbirner Tankstelle und einen Honorarbeleg des ORF.“ Unterweger hatte Anfang Dezember 1990 einen Auftritt beim ORF Vorarlberg. Die Schlinge zog sich zu. Doch es sollte noch besser kommen für die Ermittler: Den für Unterweger charakteristischen roten Schal und schwarze Fasern wie jene auf der Toten aus Vorarlberg hatte man ebenfalls sichergestellt. Ein Vergleich mit der von Werner Pichler bei Hammerer gefundenen roten Faser – in Zürich als Leitspur identifiziert – bestätigte, dass sie von Unterwegers Schal stammte. Gerichtsmediziner Richard Dirnhofer stellte in seinem Gutachten abschließend fest, dass der Schal und die schwarze Hose Unterwegers in Kontakt mit der Kleidung des Bregenzer Mordopfers gekommen waren. Außerdem ließen sich Haare auf der Toten von den Kopfhaaren Unterwegers nicht unterscheiden. Damit war Unterweger im Fall Hammerer praktisch überführt.

Eine wesentliche Rolle

Die Arbeit der Vorarlberger Spurensicherer hatte wesentlich zum Schuldspruch für Unterweger in neun Fällen von Prostituiertenmord beigetragen (zwei weitere tote Frauen waren bereits zu verwest, um eindeutige Schlüsse ziehen zu können). Noch in der Nacht nach dem Urteil erhängte sich der gebürtige Steirer in seiner Zelle – so erlangte das Urteil nie Rechtskraft. Wo Unterweger Heide Hammerer umbrachte, blieb unklar. Der Fundort kommt als Tatort nicht infrage. Fakt ist jedenfalls: Ohne den mutigen Schritt, die Spuren in der Schweiz untersuchen zu lassen, hätten wichtige Beweismittel gefehlt. Und die ursprünglich in Österreich verpönte Mikrospurenuntersuchung wurde später bei uns übernommen. Man lernt eben nie aus.

 

Serienmörder Jack Unterweger

Der gebürtige Steirer Johann „Jack“ Unterweger (geb. 1950) war 1976 vom Landesgericht Salzburg wegen des Mordes an einer 18-jährigen Deutschen zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Unterweger fing in der Haft an zu schreiben (u. a. den autobio­grafischen Roman „Fegefeuer“), viele Intellektuelle setzten sich erfolgreich für seine vorzeitige Entlassung ein (1990). Wenig später begann eine Serie von elf Prostituiertenmorden (in Prag, Graz, Bregenz, Wien und Los Angeles). Unterweger wurde in Florida verhaftet und am 29. Juni 1994 in Graz wegen neunfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Er erhängte sich noch in der Nacht nach dem Schuldspruch.

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