Herbert Motter

Der demografische Wandel ist auch ein Wertewandel

April 2019

Demografie: Für Unternehmen besteht die große Herausforderung darin, bei einer rückläufigen und gleichzeitig älter werdenden Erwerbsbevölkerung geeignete Nachwuchs- und Fachkräfte zu finden und an das Unternehmen zu binden. Und das möglichst nachhaltig.

Der demografische Wandel verändert die Arbeitswelt massiv. Ihn zu managen, ist zu einer zentralen Aufgabe für die Unternehmen geworden. Wer hier schwächelt, fällt im Wettbewerb um die künftigen Fachkräfte zurück.
Anton Hagspiel verbindet 25 Jahre Erfahrung im operativen und strategischen Personalmanagement mit der Leidenschaft für Organisationsentwicklung. Internationale Unternehmen wie Hilti AG (Liechtenstein), Hydro Aluminium Nenzing, die OC Oerlikon Balzers AG (Liechtenstein) und die IVF Zentren Prof. Zech haben seine berufliche Laufbahn geprägt. Heute setzt er sein Wissen ein, um Unternehmen auf die Aufgaben, die sich durch die Bevölkerungsentwicklung ergeben, vorzubereiten. Hagspiel ist Demografieberater.
„Was unsere Unternehmen plagt, ist täglich in den Medien zu lesen und zu hören: der Fachkräftemangel. Nur geht es inzwischen soweit, dass nicht nur spezialisierte Fachkräfte gefragt sind, sondern auch einfache Mitarbeiter schwer zu finden sind“, sagt Anton Hagspiel und fügt einen wesentlichen Aspekt hinzu: „Es herrscht vielfach die Meinung vor, die Jungen wollen nicht mehr arbeiten. Wie geht man also mit jungen Menschen um, die jetzt auf den Arbeitsmarkt kommen?“

Wertewandel

Für den Demografieberater heißt demografischer Wandel auch Wertewandel. „Wenn wir uns nicht daran gewöhnen, dass sich die Werte in der Gesellschaft verändern und die Älteren sich nicht an diese neuen Werte anpassen können, wird es schwierig. Die Werte der Babyboomer basieren nun mal auf anderen Kriterien als bei den Generationen X, Y oder Z.“ Konkret verweist Hagspiel auf das Thema Führung. „Viele in der Führungsebene können sich nicht mit neuen Werten identifizieren.“
Doch gerade dieses Eingehen auf die „anderen“ Wertevorstellungen der jüngeren Generationen ist vor allem für Unternehmen, die vom drohenden Fachkräftemangel betroffen sind, ein möglicher Wettbewerbsfaktor. Schließlich stellt die Zufriedenheit der Mitarbeiter mit der Unternehmenskultur im Kampf um qualifizierte Fachkräfte einen Vorteil dar. Die Machtverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt verändern sich. Herrschte lange Zeit ein Überschuss an potenziellen Mitarbeitern, konkurrieren heutzutage vielmehr die Arbeitgeber um die besten Köpfe.
„Bei einer Jobsuche in den 70er- und 80er-Jahren gab es genügend Konkurrenten für ein und dieselbe Stelle. Führung in den Unternehmen wurde anders gelebt als heute, schließlich konnte auf genügend Ressourcen zurückgegriffen werden“, sagt der gebürtige Bregenzerwälder Hagspiel und schließt an: „Früher hat man sich bei Firmen beworben, heute wirbt der Unternehmer um Bewerber. Die Situation hat sich beinahe umgekehrt.“
Die heutige Generation würde sich aber nicht Jobs aussuchen, um dort bis zur Pensionierung zu bleiben; das Leben spiele sich anders ab. Themen wie Selbstverwirklichung und Individualisierung haben an Bedeutung gewonnen, „die Menschen sind in einem Findungsprozess, oft über Monate oder gar Jahre hinweg“.
Auch hier habe laut Hagspiel Führung noch ein Manko, da man sich auf das noch viel zu wenig eingestellt hätte: „Viele Führungskräfte sind beratungsresistent. Da braucht es dringend Prozesse gemeinsam mit den Mitarbeitern.“ Führung 2019 und darüber hinaus müsse anders aussehen, als sie im vergangenen Jahrhundert passiert ist. Hagspiel: „Früher hat man Ziele ausgegeben und Arbeitsaufgaben vorgegeben, heute musst du Freiräume schaffen, dabei geht es ganz intensiv um die Entwicklung von Vertrauen.“ Der Trend zur Mehrgenerationenbelegschaft erfordere zudem ein tieferes Verständnis der Kompetenzen und Stärken der verschiedenen Altersgruppen im Unternehmen. Nur so sei eine erfolgreiche strategische Personalplanung möglich.

Arbeitgeber-Attraktivität

In Zeiten des Fachkräftemangels müssen die Unternehmen klar kommunizieren, was den Betrieb ausmacht, wie der Betrieb nach außen wahrgenommen wird, sprich, wie ihn die Kunden wahrnehmen und wie die Umgangsformen im Unternehmen sein sollen. „Und im besten Fall werden die Werte dann gemeinsam als gelebte Unternehmenskultur entwickelt.“
In acht von zehn Fällen, die Anton Hagspiel berät, dreht sich alles um die Arbeitgeber-Attraktivität. Wie komme ich am Arbeitsmarkt an, wie komme ich gegen meine Konkurrenz an und damit gegen all jene, die mir meine Lehrlinge, meine Fachkräfte wegnehmen könnten?
„Der Lohn ist kein Kriterium mehr. Vielmehr rücken Rahmenbedingungen, Arbeitszeit und sonstige Anreize in den Blickpunkt: Eine Herausforderung für die Unternehmen, da jedem etwas anderes wichtig sein kann. Die einen brauchen die Gemeinschaft, andere wiederum eine geistige Herausforderung oder einfach nur Zeit. Führung hat in diesem Fall mit Auseinandersetzung zu tun, um die Mitarbeiter kennenzulernen.“

Know-how-Verlust

Eine weitere Herausforderung ist der Know-how-Verlust durch das Ausscheiden älterer Mitarbeiter. Viele der Babyboomer gehen zeitnah in Pension. „Als Unternehmer muss ich mir ernsthaft Gedanken machen, wie ich deren Wissen über Kunden, Lieferanten oder Prozesse dem Unternehmen und den anderen Mitarbeitern zur Verfügung stellen kann“, erklärt der Demografieberater. Notwendig sei eine Abkehr vom Defizitmodell des Alterns und eine Hinwendung zum Kompetenzmodell, welches besagt, dass jede Altersgruppe Stärken besitzt, die es intelligent zu nutzen gilt: „Das verstehe ich als lebensphasenorientierte Führung. Dies erfordert jedoch ein Umdenken in vielen Unternehmen.“

 

Anton Hagspiel ist selbstständiger Berater und berät Unternehmen im Rahmen des EU-Förderprogramms „Demografieberatung für Beschäftigte und Betrieb“.

ahagspiel@demografieberatung.at

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