Herbert Motter

Der Ökologe Alexander von Humboldt

Oktober 2021

Die Veränderung des globalen Klimas ist menschgemacht. Daran besteht kein Zweifel mehr. Doch das Thema ist kein aktuelles. Bereits im 19. Jahrhundert warnte Alexander von Humboldt vor der Zerstörung der Natur durch den Menschen.

Wetterextreme, Temperaturanstieg, Pol- und Gletscherschmelze – das Klima auf der Welt ist im Wandel. Das war es schon immer. Doch scheint es, dass erstmals vom Menschen verursachte Veränderungen für einen besonders schnellen Wandel sorgen. Ein Blick in die Geschichte der Klimaforschung zeigt: Die Zusammenhänge wurden schon vor langem entdeckt, die ersten Warnungen vor dem menschengemachten Klimawandel sind Jahrhunderte her. Also lange vor Greta Thunberg und der Fridays For Future-Bewegung. Eine systematische Erforschung von natürlichen Klimawechseln begann in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der allmählichen Rekonstruktion der Eiszeit-Zyklen und anderen klimatisch bedingten Umweltveränderungen. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurden menschliche Einflüsse auf das Erdklimasystem über Treibhausgase vermutet, entsprechende Berechnungen wurden aber bis in die 1960er Jahre hinein stark angezweifelt.
Er gilt als früher Denker der Globalisierung, Kritiker kolonialer Exzesse und Warner der vom Menschen beeinflussten Klimaveränderungen: Alexander von Humboldt, deutscher Naturforscher, Universalgelehrter, Weltenbürger, Mitglied zahlreicher in- und ausländischer Akademien und Verfasser unzähliger Werke und Schriften. Geboren wurde er 1769 in Berlin, wo er auch 1859 starb.

Kolonialismus und Umweltzerstörung

Man schrieb das Jahr 1800. Humboldt weilte in Südamerika auf seiner ersten Forschungsreise. Nachdem er verheerende Schäden kolonialer Plantagen am Valenciasee in Venezuela beobachtete, machte er auf die dramatischen Folgen der vom Menschen verursachten Umweltzerstörung aufmerksam. Er zeigte auf, wie die Ausbeutung von Menschen und die Ausbeutung natürlicher Ressourcen ineinandergriffen. In der Hochphase des Kolonialismus und der Sklaverei über universale Menschenrechte und Umweltschutz zu reflektieren war außergewöhnlich. Heute findet sich diese Auffassung im Konzept von Klimagerechtigkeit. Klimagerechtigkeit betrachtet den menschengemachten Klimawandel als ethisches und politisches Problem und nicht bloß als ökologische und technisch lösbare Herausforderung.
Humboldt erkannte, dass der Wald die Atmosphäre mit Feuchtigkeit anreichern und kühlen kann – und sprach von der großen Bedeutung der Bäume für die Wasserspeicherung und den Schutz von Bodenerosionen. Und später sagt er noch ganz klar: Es gibt drei Arten, wie der Mensch das Klima verändern kann. Einmal durch Abholzung, einmal durch künstliche Bewässerung und einmal durch die Entwicklung großer Gas- und Dampfmassen an den industriellen Zentren. Alexander von Humboldt bezeichnete es als „Wärmestrahlung der Erdoberfläche gegen das Himmelsgewölbe“. „Damit kannte er zwar das CO2, das Kohlenstoffdioxid, und es war ihm auch klar, dass die industriellen Exhalationen dieses Gas enthielten. Von seiner Wirkung als Treibhausgas konnte er jedoch damals noch nichts wissen“, wie Historiker Frank Holl festhält. 
Humboldt habe keineswegs das Konzept „Klima“ erfunden, erklärt der Schweizer Klimaforscher Stefan Brönnimann im Gespräch mit der UniPress der Universität Bern: „Aber er näherte sich dem Gegenstand ,Klima“ auf eine Weise, die uns heute als visionär erscheint. Er begriff Klima als das Ergebnis aller Vorgänge in Atmosphäre und Ozean, auf der Landoberfläche und in der Pflanzenwelt sowie der vielfältigen Wechselwirkungen untereinander. Er beschäftigte sich mit der Wechselwirkung zwischen Böden und der Atmosphäre, insbesondere mit den Kreisläufen von Wasser- und Kohlenstoff sowie Stickstoff. Das ist doch sehr modern.“ 
Natur wird vom deutschen Naturforscher im 19. Jahrhundert als ein zusammenhängendes Ganzes, ein Netz des Lebens, einen lebendigen Organismus beschrieben. Wie ein Dichter eben, der glaubte, dass man die Natur messen und fühlen muss. 

Der Mensch im Mittelpunkt

Im Zentrum stand für ihn der Mensch, auf den das Klima wirkt. Für Humboldt gab es das Zusammenspiel aller Elemente in einem System, die dadurch ein sinnvolles Ganzes ergeben oder wie es im Reisetagebuch von 1803 heißt: „Alles ist Wechselwirkung“.„Er ist gleichzeitig Verursacher, Betroffener und darüber Nachdenkender – eine Perspektive, die auch Alexander von Humboldt eingenommen hat“, schreibt Brönnimann in seinem Essay „Perpetuirliches Zusammenwirken“ – Das Klima als System. 
Das bestätigt auch Andrea Wulf, Kulturhistorikerin und Humboldt-Biografin, in ihrem 2015 erschienenen Buch „Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur“. Wulf darin: „Humboldt stellte als Erster eine Beziehung zwischen Kolonialismus und Umweltzerstörung her. Immer wieder kam er dabei auf das Bild vom komplexen Lebensnetz der Natur zurück und auf die Rolle des Menschen darin.“ Es ging um die Position des Menschen in diesem System, denn inmitten der globalen Veränderungen steht der Mensch.
Die Welt ganzheitlich zu begreifen, teilt sie mit Humboldt. Wulf in einem Interview: „Wenn ich an die Debatten im Klimawandel heute denke, dann werden uns Zahlen und Statistiken vor die Füße geknallt. Aber keiner traut sich, über den Zauber der Natur zu reden, keiner traut sich darüber zu reden, dass wir nur das beschützen, was wir lieben. Darum ist für mich zum Beispiel der internationale Klima-Schulstreik der Kinder so wichtig. Weil die Kinder sich trauen, über ihre Ängste und Gefühle zu reden. Das ist das, was an Humboldt wichtig ist und was heute in den Debatten um den Klimawandel komplett fehlt.“
Anders als seine Zeitgenossen habe er im Laufe seiner Reisen durch die Welt die Natur als eine globale Kraft verstanden. „So beschrieb er etwa Klima- und Vegetationszonen, die sich um die ganze Welt schlängeln“, erläutert Wulf. Diese komplexe, globale Dimension der Natur sei noch heute die Grundlage für all unser Wissen in diesem Bereich. Nochmals der Historiker Frank Holl: „Jede Generation liest Humboldt auf ihre Weise. Die Neuentdeckung des globalen Denkers ist noch lange nicht abgeschlossen.“

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