
Der Reiz eines Abenteuers in Japan
Clemens Hagen hat sich seinen Traum eines selbstbestimmten und kreativen Lebens im 130-Millionen-Einwohner-Land Japan verwirklicht. Wie der Meister der Orthopädieschuhtechnik sein Glück in Nagano gefunden hat – und japanische Speisekarten ihn auch heute noch herausfordern.
Das Reisen, das Unterwegssein, der Wandel der Perspektiven – das waren für mich immer Kernpunkte meines Daseins. Dazu kommt die ständige Herausforderung, die mir Spaß macht, und vielleicht der Reiz des Abenteuers.“ So beschreibt der gebürtige Dornbirner Clemens Hagen die Werte, die ihn schon sein Leben lang begleiten. Nicht nur in dieser Hinsicht hat ihn die Ausbildung zum Orthopädieschuhmacher bei Meister Walter Breuss in Feldkirch-Gisingen geprägt: „Dort habe ich sowohl die solide Grundlage für mein Handwerk als auch die Leidenschaft für meinen Beruf gelernt.“ Aber auch andere wichtige Grundsteine, wie einen menschlichen und fairen Umgang bei der Arbeit und eine ausgewogene und erfüllte Lebensführung, hat der spätere Auswanderer von seinem mittlerweile leider verstorbenen Lehrmeister mitbekommen. „Ähnliches habe ich auch in Straßburg bei Raimond Wieser und in Venedig bei Rolando Segalin erfahren“, erzählt der Handwerker, der nach seinem Abschluss an der Meisterschule in München seit 19 Jahren in Japan „im Arbeits- und Sozialleben integriert“ ist, wie er es nennt. Schon vor seinem endgültigen Umzug nach Japan – dem 6852 Inseln umfassenden Staat im Pazifik – besuchte er das Land, und der Wunsch, dort zu leben, reifte ihn ihm. „Damals gab es dort aber noch keine Möglichkeit, in meinem Beruf zu arbeiten.“ Als sich die Bedingungen änderten und ihm ein Job in Tokio angeboten wurde, war es für Hagens Vertraute keine große Überraschung, dass er 1996 Europa in Richtung Ostasien verließ.
Die Sache mit der Sprache
Das Ankommen und den Einstieg in die japanische Gesellschaft empfand Hagen als „recht leicht“, den Fortschritt bezeichnet er hingegen als „schwierig“ und nennt die festgelegten Hierarchien, die komplizierten und tief verwurzelten Sozialstrukturen und unflexible, für ihn oft nicht nachvollziehbare Arbeitsweisen als Gründe. „Andererseits ist hier die Zuverlässigkeit und Funktionalität kaum zu übertreffen. Auch die Einsatzbereitschaft und das Durchhaltevermögen kompensieren vieles“, berichtet er von seiner neuen Heimat. Mit seiner Frau, einer Japanerin, hat er sich vor 16 Jahren selbstständig gemacht, in Nagano haben sie seit 15 Jahren ihren Lebensmittelpunkt. Sie ist für die Administration zuständig, er fürs Handwerk. „Das gibt uns viel Handlungsspielraum, verlangt aber auch erhebliche Disziplin, damit die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit wenigstens halbwegs erhalten bleiben. Das ist umso schwieriger, weil Samstag und Sonntag die stärksten Tage im Einzelhandel sind. Wir haben zwar kein Geschäft, aber Kunden kommen doch häufig an den Wochenenden vorbei.“ Aber auch die drei Kinder des Paares sollen nicht zu kurz kommen, die Abende und Wochenenden gelten in erster Linie ihnen. Da kann es schon mal sein, dass Vorarlberger Dialektwörter durch das Haus der Hagens hallen: Die Kinder sprechen laut ihrem Vater „recht brauchbares Dorrobiorarisch“, seine Frau spricht Hochdeutsch. Er selbst hat bei der Landessprache so seine Schwierigkeiten. „Ich habe nach einem anfangs größeren Lernaufwand bei einem mittelmäßigen ‚Gebrauchsjapanisch‘ das Handtuch geschmissen. Schriftlich bin ich quasi Analphabet. Ohne Begleitung kann ich kaum in ein Restaurant gehen, weil ich an der Speisekarte scheitere. Das ist tragisch und beschämend“, erzählt Clemens Hagen von der „Unmenge an Schriftzeichen“ und den komplizierten Regeln der japanischen Sprache.
Einmal im Jahr reist die fünfköpfige Familie nach Vorarlberg. 2011 gab es für die Hagens wegen der Erdbeben-katastrophe mit den verheerenden Folgen – insbesondere wegen des Nuklearreaktorunfalls – einen unplanmäßigen Aufenthalt im Ländle. „Die meisten Japaner sind durch diese Gefahr nicht wirklich in Panik verfallen. Nur die Ausländer – auch wir – sind abgehauen“, berichtet er von den bangen Tagen. Seitdem habe sich in der Vorbereitung auf Naturkatastrophen einiges getan. Obwohl diese Unglücke die japanische Geschichte geprägt haben, sei das Verhalten der Einheimischen oftmals sehr gleichgültig bis fatalistisch und schicksalsergeben. „Für uns hat sich langfristig nur der Lebensmitteleinkauf wesentlich verändert.“
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