Sabine Barbisch

„Die Liebe zur Musik verbindet“

November 2018

 

Als siebentes von insgesamt neun Kindern ist Manfred Honeck in wirtschaftlich eher bescheidenen Verhältnissen in Nenzing aufgewachsen. „In meiner Kindheit hat mich die Natur, insbesondere die Berge im Nenzinger Himmel, sehr geprägt“, erzählt der 60-Jährige. Auch heute ist „Vorarlberg eines der schönsten Länder der Welt für mich. Je mehr ich mich auf Reisen befinde, desto größer ist Sehnsucht nach dem Zuhause. Auch weil mir die Familie sehr viel bedeutet.“ Als Jugendlicher galt seine Leidenschaft zunächst dem Fußball, „obwohl alle Geschwister ein Musikinstrument gespielt haben. Als mein Vater die wagemutige Entscheidung traf, mit der gesamten Familie nach Wien zu ziehen, hat sich dies schlagartig geändert“. Durch das intensive Üben konnte er die Musik sehr viel besser verstehen und er begann, sich mit wichtigen Werken der Musikgeschichte auseinanderzusetzen. Eine Erinnerung ist ihm dabei besonders im Gedächtnis geblieben: „Ich habe beinahe täglich Mozarts Krönungsmesse mit den Wiener Sängerknaben auf den Plattenspieler gelegt – solange, bis dieser den Geist aufgab.“
Nachdem Honeck Violine und Bratsche studiert hatte, war er zunächst als Orchestermusiker tätig, trotzdem schlummerte ein anderer Wunsch in ihm: „Als ich 1983 das Probespiel bei den Wiener Philharmonikern gewonnen habe, war ich einer der glücklichsten Menschen der Erde. Doch das innere Verlangen, oder besser gesagt das glühende Verlangen, Dirigent zu werden, hat mich nie mehr losgelassen. Ich spürte, dass der intensive Dienst bei den Wiener Philharmonikern mit den vermehrten Anfragen als Dirigent auf Dauer nicht mehr ernsthaft zu bewältigen war.“ Es war daher eine Frage der Zeit, eine Entscheidung zu treffen. Diese wurde rascher als gedacht notwendig, als Honeck von Alexander Pereira, dem damaligen Chef des Wiener Konzerthauses, als Operndirektor nach Zürich berufen wurde und er ihm die Stelle des Ersten Kapellmeisters angeboten wurde: „Dies war zwar ein Wagnis, da ich noch nicht über genügend Opernerfahrung verfügte, es war mir jedoch sofort klar, dass nun der Zeitpunkt des Abschieds vom Orchestermusikerleben gekommen war. Viele hilfreiche Gespräche mit berühmten Dirigenten wie Leonard Bernstein, Claudio Abbado und anderen folgten, aber die Entscheidung im Herzen war gefallen.“ So war er Dirigent am Opernhaus Zürich (1991), ab 1996 folgten drei Jahre als einer der drei Hauptdirigenten bei MDR Sinfonieorchester Leipzig. Zwischen 2000 und 2006 folgte ein Engagement als Chefdirigent des Schwedischen Rundfunkorchesters und von 2007 bis 2011 war er als Generalmusikdirektor an der Staatsoper Stuttgart engagiert.

Ein Leben für die Musik

„Grundsätzlich liebe ich jede Musik, die sich emotionell konkret mitteilt, sofern sie gut ist. Mozarts Requiem, Tschaikowsky, Gustav Mahlers Symphonien, aber auch ganz einfache Lieder können mich sehr berühren.“ Privat hat Honeck trotzdem kein sonderlich großes Bedürfnis, noch andere Musik zu hören: „Ich bin tagtäglich mit Musik konfrontiert; übrigens auch auf der Straße oder im Einkaufszentrum – überall wird man ungewollt berieselt. Ein Profi-Fußballer wird ähnliche Erfahrungen machen: Kaum vorstellbar, dass er in der Freizeit Fußball spielen wird.“
Seit zehn Jahren ist Manfred Honeck Musikdirektor beim Pittsburgh Symphony Orchestra und schätzt vieles an dieser Tätigkeit: „Musikdirektor eines Spitzenorchesters in Amerika zu sein, ist höchst interessant: Neben der erfüllenden künstlerischen Arbeit beteiligt sich der Musikdirektor auch am Fundraising oder anderen außerkünstlerischen Aktivitäten. Man lernt dabei großartige, engagierte Menschen unterschiedlicher Sparten kennen, die alle eines gemeinsam haben: die Liebe zur Musik.“ 
So gehört bei seinem Orchester in Pittsburgh oft schon ein Frühstück mit Sponsoren zum Arbeitsalltag. Danach folgen meist zwei Proben, dazwischen Meetings mit Vertretern verschiedener Abteilungen wie des künstlerischen Betriebsbüros oder der Marketingabteilung. Am Abend besucht er öfters Fundraising-Dinners. Auch weil er in der Suite eines Hotels gegenüber der Konzerthalle lebt, gelingt der Ausgleich zwischen Beruf und Freizeit bei diesen vielfältigen Aufgaben nicht immer: „Ich bemühe mich allerdings sehr, das seelische Gleichgewicht zu erhalten. Dabei hilft mir der tägliche Besuch der Messe, meistens am Morgen, in einer Kirche in der Nähe. Das gibt mir unheimlich viel Kraft.“
Besonders fasziniert ihn die Begegnung mit Musikern aus anderen Erdkreisen: „Es bestehen oft sehr große Mentalitätsunterschiede. Man erzielt mit ein und derselben Symphonie von Beethoven oft sehr unterschiedliche Ergebnisse in Stockholm, London, Wien, Berlin, den USA oder in Japan.“ Dabei kommt aber es schon mal zum einen oder anderen kuriosen Erlebnis, wie Honeck erzählt: „Vor Kurzem ist während einem Konzert in San Francisco nicht nur der Klingelton eines Mobiltelefons zu hören gewesen, auch der Pfeifton eines Hörgeräts am Ohr eines etwas betagteren Herren hat die Aufführung empfindlich gestört.“ Über ein spezielles Erlebnis während seiner Zeit als Musiker an der Wiener Staatsoper kann er heute lächeln: „Im Orchestergraben habe ich die schöne Oper André Chénier gespielt. Am Ende des zweiten Aktes in Vorbereitung eines Duells zwischen den singenden Rivalen, vermochte der Sänger das Schwert nicht aus der Scheide zu ziehen. Es klemmte. Mit größter Anstrengung gelang es ihm, wobei ihm die Scheide aus seiner Hand entglitt. Sie landete genau auf meinem Instrument. Damit war der Abend für mich beendet.“

Lebenslauf

Manfred Honeck wurde am 17. September 1958 geboren, seine Kindheit und Jugend verbrachte er in Nenzing und Wien. Nach der Matura absolvierte er seine musikalische Ausbildung an der Wiener Musikhochschule. 1983 wurde er in das Orchester der Wiener Philharmoniker aufgenommen, 1991 folgte sein erstes Engagement als Dirigent am Opernhaus Zürich. Von 1996 bis 1999 war Honeck einer der drei Hauptdirigenten bei MDR Leipzig und zwischen 2000 und 2006 Chefdirigent des Schwedischen Rundfunkorchesters, bevor er als Generalmusikdirektor an die Staatsoper Stuttgart wechselte. Seit 2008 ist Manfred Honeck Musikdirektor des Pittsburgh Symphony Orchestra und hat aktuell Gastdirigate in Stockholm, Helsinki, Berlin, New York, Mailand und Rom.
Er ist verheiratet mit Christiane, hat sechs Kinder und sieben Enkelkinder. 

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