Lea Putz-Erath

* 1980 in Niederösterreich, studierte Tourismus- Management, Soziale Arbeit und Erziehungswissenschaften. Lea Putz-Erath ist seit 2016 Lehrbeauftragte an der FHV im Studiengang Soziale Arbeit und seit 2017 Geschäftsführerin femail FrauenInformations­zentrum Vorarlberg (zur Zeit in Karenz). Davor mehrjährige berufliche Stationen als Sozialarbeiterin in Deutschland und den USA.

Angelika Martin

ist Wirtschaftsingenieurin im Bereich Bekleidungstechnik, Bildungsorganisatorin bei connexia und Initiatorin der Initiative Xipertinnen

Stefania Pitscheider Soraperra

ist Kunsthistorikerin und Kulturmanagerin. Seit 2009 leitet sie das Frauenmuseum Hittisau, das einzige Frauenmuseum Österreichs, das seit über 20 Jahren Frauengeschichte und Frauenkultur sichtbar macht. In diesem Jahr wurde ihr Museum mit einer Special Commendation beim European Museum of the Year Award 2021 bedacht.

Ruth Swoboda

 ist ehemalige Leistungssportlerin, Biologin und seit 2011 Direktorin der inatura Erlebnis Naturschau Dornbirn.

Bettina Steindl

ist Geschäftsführerin des Vereins CampusVäre – Creative Institute Vorarlberg. Sie hat Wirtschaft mit Spezialisierung auf Internationale Handelsbeziehungen, Kulturmanagement und Gender Studies studiert und lehrt an verschiedenen Universitäten und Fachhochschulen. 

Brigitta Soraperra

Regisseurin und Kulturarbeiterin

Bastian Kresser

studierte Anglistik und Amerikanistik. Er ist Schriftsteller und arbeitet seit 2013 als stellvertretender Geschäftsführer an der Volkshochschule Götzis.

Expertinnen Sichtbarkeit in Vorarlberg

Dezember 2021

Von Lea Putz-Erath

Da war es im November 2020 – dieses eine Bild, diese eine Sendungsankündigung, die das berühmte Fass bei mir zum Überlaufen gebracht hat. Warum finden die tollen, kompetenten Frauen, die ich bis dahin in Vorarlberg beruflich und privat kennenler- nen durfte, keinen Durchschlag in der medialen, in der öffentlichen Welt? Warum bleiben Podien, Expertengremien und selbst neue Bewegtbild-Formate überwiegend männlich? Meinen Ärger konnte ich an dieser Stelle nicht mehr für mich behalten. So schrieb ich am 19.11.2020 in einer impulsiven Reaktion an viele Menschen aus meiner Kontaktliste: 
„Die Unterrepräsentation von Frauen ist nicht nur etwas, das mich ‚nervt‘. Sie spiegelt einfach nicht unsere Gesellschaft und auch nicht das Potenzial der Menschen in Vorarlberg wider! ... Jetzt müsste mal geballte Gleichstellungspower was zustande bringen als konstruktive Reaktion ...“ 
Ein Jahr später kann ich gemeinsam mit Brigitta Soraperra, Katharina Fuchs und 40 weiteren Frauen auf eine beachtliche Initiative zurück und nach vorne blicken. In drei Online-Treffen (mitten in der Pandemie) und zahlreichen E-Mails haben sich Menschen kennengelernt, solidarisch gezeigt, gemeinsam Pläne geschmiedet und sind in „Action Groups“ zur Tat geschritten. Die Initiative hat einen ersten Namen bekommen „Expertinnenkompetenz sichtbar machen“ und vereint Frauen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen. Wir sind eine Initiative der Zivilgesell- schaft. Das gemeinsame Ziel, Frauen in Vorarlberg mit ihren Kompetenzen und ihrer Expertise auf unterschiedlichsten Wegen sichtbar zu machen, verbindet uns. So wie 
meine E-Mail vom 19.November 2020, sind wir bis heute ein bisschen impulsiv, vor allem aber handlungsorientiert geblieben. Action Groups sammeln sich um Ideen und beginnen mit Mut zum Scheitern direkt bei der Umsetzung. Wir lernen aus den Projekten aller, werden dabei stetig besser und nutzen die Kompetenzen der Vielen. Nicht nur der Hashtag #Xipertinnen, die in Entstehung befindliche Expertinnendaten- bank für Vorarlberg oder die Texte in der vorliegenden Zeitung sind Ergebnisse der ehrenamtlichen Zusammenarbeit. Es ist ein gelebtes Netzwerk entstanden, das uns motiviert, unterstützt und stetig ein bisschen diverser wird. Denn die eigenen Ansprüche sind hoch. Wie gelingt es uns, besonders unsichtbare Frauen mit ihren Kompetenzen in die Aktivitäten zu inkludieren? Wie stärken wir junge Frauen, damit sie sich ihre Sichtbarkeit nicht nehmen lassen? Und immer geht es dabei viel weniger um das eigene Glänzen im Scheinwerferlicht, als darum, strukturell wirksam Veränderungen im öffentlichen Bild von Frauen und ihrer Expertise zu erreichen. 
Und dann darf ich es abschließend noch in den Mund nehmen – dieses zu Unrecht unaussprechliche „F“-Wort. Denn darauf bin ich wirklich stolz: „Jetzt brauch ich keine Definition für Feminismus mehr im Fachbuch nachzuschlagen, DAS ist gelebter Feminismus, was ich heute erlebt habe,“ resümiert eine junge Teilnehmerin beim ersten persönlichen Treffen der Initiative vor wenigen Wochen. Gelebter Feminismus ist hier, wenn unterschiedlichste Menschen mit vielen diversen Standpunkten, ihre Unterschiedlichkeiten hinter sich lassen, ja vielleicht sogar produktiv nutzen und gemeinsam zur Tat schreiten, um Expertinnenkompetenz sichtbarer zu machen. 

 

 

Xi·per·tinnen 

[ˈksiːˈpɛʁtɪnɛn], Substantiv, feminin [die];  
Worttrennung Xi|per|tinnen
Expertinnen aus und in Vorarlberg

Von Angelika Becker

Xipertinnen ist eine Initiative auf Instagram und Facebook, die Expertinnen jeglicher Bereiche aus und in Vorarlberg vorstellt. Ziel ist es aufzuzeigen, was für tolle, gut ausgebildete Frauen wir in unserem Ländle haben. Es soll andere Frauen ermutigen, in dem sie Role Models entdecken, eine Möglichkeit zum Netzwerken bieten, und aufzeigen, dass Frauen, die die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, in allen Lebensbereichen mitreden, mitentscheiden, mitkreieren und mitentwerfen können und dürfen. Es gibt kein Argument dagegen. Mädchen schließen ihre Matura durchschnittlich mit einer besseren Note ab, auch bei Studentinnen ist es so. Trotzdem kommen Frauen nur bedingt weiter und sind in vielen Berufssparten unterrepräsentiert. 
Die Idee einer Vernetzung von Frauen hatte ich bereits in jungen Jahren. Aufgewachsen mit drei Brüdern hatte ich bis zum Start in die Arbeitswelt nie das Gefühl, dass ich anders bin oder etwas nicht kann, nur weil ich ein Mädchen bin. Doch in den verschiedenen Führungspositionen, die ich später innehatte, war da immer ein Unterschied. Als Abteilungsleiterin in Wien, Gebietsleiterin für 30 Filialen in Frankfurt oder als Salesmanagerin in Düsseldorf und Berlin – meine Meinung hatte selten denselben Stellenwert wie die eines Mannes. Nachdem immer mehr Frauen als Männer in den Meetings waren, dachte ich mir hier das erste Mal: „Wenn hier mehr Frauen wären, die sich gegenseitig stärken, würde auch das Wort einer Frau mehr Gewicht haben“. Der letzte Stein des Anstoßes bildete für mich die Initiative von Lea Putz-Erath, bei der sich viele tolle Frauen aus Vorarlberg zu einem Online Austausch mit dem Titel „Expertinnen sichtbar machen“ getroffen haben. Und so wurde aus einem „Ich probiere einfach mal was passiert“ im März 2021 schnell mehr. Mittlerweile sind es bereits über 100 Xipertinnen und es kommen regelmäßig weitere dazu, denn Vorarlberg ist voll mit kompetenten Frauen. 

 

Die Vorarlberger Art – Beobachtungen einer „Zuagrasten“

Von Ruth Swoboda

Ich bin nun schon seit mehr als dreizehn Jahren in Vorarlberg und noch genauso begeistert wie am ersten Tag. Es ist absolut keine Selbstverständlichkeit, als gelernte Biologin/Verhaltensforscherin in einem Bundesland wie Vorarlberg – ohne Universität – Fuß zu fassen. Bei mir war es aber so. Ich erhielt von Anfang an viele Chancen.
Vom Akademiker-Training des AMS beim Umweltbüro Grabher über Möglichkeiten, Exkursionen für den Naturschutzverein Rheindelta zu machen, bis hin zur Mitarbeit an der inatura in den Bereichen Forschung und Museumspädagogik tat sich immer wieder eine Tür auf. Auch jetzt als Direktorin der inatura vergeht kein halbes Jahr ohne neue Potenziale und Möglichkeiten, die unsere Wege im Hause kreuzen.
Es ist diese perfekte Größe Vorarlbergs, die es ermöglicht, dass die richtigen Menschen sehr schnell und einfach zusammenkommen. Es ist diese „Vorarlberger Art“ der handelnden Personen, der hohe Anspruch an Qualität und dieser Umsetzungsdrang, die es ermöglichen, Ideen in die Tat umzusetzen. Diese Haltung und Atmosphäre haben mich immer schon begeistert und helfen mir, bis heute so aktiv arbeiten zu können.
Es verwundert mich also nie, wenn ich in Gleichstellungsberichten lese, dass in Vorarlberg überdurchschnittlich viele Meister und Meisterinnen ihrer Branchen angesiedelt sind, dass Vorarlberger Männer im Österreichvergleich mehr verdienen und dass Vorarlberger Frauen im Durchschnitt höher qualifiziert und besser ausgebildet sind als im Rest von Österreich. Da wären wir wieder beim hohen Anspruch an Qualität. Was mich allerdings jedes Jahr aufs Neue mehr als verwundert, ist die Tatsache, dass der Gender Pay Gap im westlichsten Bundesland zweieinhalb Mal so hoch ist wie in Wien (47,5 Prozent zu 18,8 Prozent) und als europaweites Schlusslicht gleichauf mit Estland liegt. Das macht doch gerade in Vorarlberg keinen Sinn. Es wird viel in die Ausbildung der Mädchen und jungen Frauen investiert, sie studieren oft in der ganzen Welt, um dann als top ausgebildete Expertinnen wieder zu Hause in Vorarlberg nicht die gleichen Chancen zu haben? Die Rechnung geht doch nicht auf und passt einfach nicht zur „Vorarlberger Art“.

 

Unsichtbare Frauen

Von Stefania Pitscheider Soraperra

Auf dem Hauptplatz des ladinischen Dolomitenorts St. Vigil in Enneberg steht seit vielen Jahrzehnten das bronzene, lebensgroße Denkmal einer Frau. Catarina Lanz war eine wehrhafte Bauernmagd, die 1797 mit ihrer Mistgabel gegen eine Division der napoleonischen Armee kämpfte. In diesem Dorf bin ich aufgewachsen. Dass Frauen ihren Platz in der Geschichte hätten, erschien mir in meiner Kindheit als selbstverständlich. Dass dem so nicht ist, wurde mir erst später bewusst, dass nämlich Catarina Lanz eine Ausnahme darstellt und die Geschichtsschreibung immer und vor allem einen Blick auf die Leistungen von Männern hatte. Um dieses Geschichtsbild zu festigen, verleugnete und verfälschte sie fast durchgehend die Verdienste von Frauen.
 Die Geschichte vergisst Frauen, verschweigt sie, redet ihre Taten klein. Und diese Geschichte wurde von Männern geschrieben. Wer entscheidet, was für die Nachwelt festgehalten werden soll, nach welchen Kriterien geforscht werden soll, entscheidet auch, was vergessen werden darf, was irrelevant ist für eine historische Erzählung. Dazu gehören auch die Biografien, die Errungenschaften und der Lebensalltag von Frauen.
 
Nicht einmal Marie Curie. Nicht einmal Marie Curie entkam dem Schicksal der Unsichtbarmachung. Dass sie zwei Nobelpreise erhalten hatte – in Physik und in Chemie – und ihrem Ehemann Pierre wissenschaftlich überlegen war, hinderte die Pariser Stadtverwaltung 1946 nicht daran, eine Métro-Station „Pierre Curie“ zu nennen. Erst 2007 wurde der Name „Marie“ hinzugefügt.
 Selbst wenn manche Frauen zu Lebzeiten sehr erfolgreich waren, war dies keineswegs eine Garantie, dauerhaft in die Annalen der Geschichte einzugehen. Im Mittelalter gab es vielerorts Ärztinnen. In Salerno etwa lehrte die Gynäkologin Trotula. Die Expertin für Geburtshilfe, Geburtenkontrolle und Unfruchtbarkeit war weit über die süditalienische Stadt hinaus bekannt. Ihre Schriften waren als Standardwerke bis zum 16. Jahrhundert an allen Medizinschulen im Einsatz. Dann geriet sie seltsamerweise in Vergessenheit. Ihre Bücher schrieb man nun ihrem Ehemann zu, dem Arzt Johannes Platearius. Aus dem Namen Trotula wurde das männlich klingende „Trottus“. Irgendwann bezweifelte man gar ihre Existenz. Heute wissen wir nicht nur, dass sie gelebt hat, sondern auch, dass ihre medizinischen Erkenntnisse für ihre Zeit sehr progressiv waren. 
 Das Schicksal unsichtbar gemacht zu werden, teilt sie mit unzähligen Frauen, die wahre Meisterinnen ihres jeweiligen Faches waren. Die britische Komponistin Rebecca Clarke etwa benutzte 1918 das Pseudonym Anthony Trent, um von der Kritik ernst genommen und gewürdigt zu werden. Als sie wenig später unter ihrem eigenen Namen einen wichtigen Preis gewann, nahmen die Kritiker allerdings an, es könne sich nur der berühmte Komponist Ernest Bloch hinter dem Namen Rebecca Clarke verbergen. Es sei schließlich unmöglich, dass eine Frau solch wunderbare Musik komponiere. 
 Wir wären wohl nicht schon 1969 auf dem Mond gelandet, hätte nicht die geniale Mathematikerin Katherine G. Johnson die Flugbahnen der Apollo 11 berechnet. Geehrt – also gesehen – wurde sie dafür erst Jahrzehnte später. Und gerade in Katherine G. Johnsons Schicksal wird ein weiteres Problem sichtbar. Sie ist Afroamerikanerin und als solche mit der Überschneidung und Gleichzeitigkeit von verschiedenen Diskriminierungskategorien konfrontiert. Kurz gesagt: Sie wurde nicht gesehen, weil sie eine Frau ist, und sie wurde nicht gesehen, weil sie schwarz ist. 
 
Viele Methoden. Für die geschichtliche Unsichtbarmachung von Frauen gibt es viele Methoden: Man gesteht ihnen nur eine Nebenrolle zu, spielt ihre Taten herunter, stellt ihr Leben und das damit verbundene Werk falsch dar oder reduziert sie auf die Rolle der Ehefrau, Tochter oder Schwester eines berühmten Mannes. Das Problem ist also nicht, dass Frauen nichts Großartiges geleistet hätten. Es gab sie, diese Frauen, überall auf der Welt und in jeder Epoche. Und es ist gar nicht schwer, sie zu finden. Man muss ganz einfach danach suchen, offenen Geistes und offenen Herzens. Hunderte, tausende Frauen warten darauf, entdeckt oder wiederentdeckt zu werden. Blinde Flecken zu orten, mindert nicht die Verdienste von Männern, sondern zeigt, dass die Welt vielfältig, vielschichtig, bunt ist. 

 

Die volkswirtschaftliche Relevanz von Frauen. Ein Plädoyer für Veränderung!

Von Bettina Steindl

Frauen machen die Hälfte der Bevölkerung aus. Wir sind in jedem Haushalt, in nahezu allen Unternehmen, in Schulen, auf Universitäten, in Ämtern und Behörden, in Familien und in westlichen Zivilisationen Teil des öffentlichen Lebens. Mehr Frauen als Männer schließen inzwischen die Matura und ein Studium erfolgreich ab. Die Menschen haben globale Wirtschaftssysteme erfunden, die darauf abzielen, Gesellschaft zu entwickeln und Wohlstand zu generieren. Bis heute allerdings wird das volkswirtschaftliche Potenzial „Frau“ nicht ausgeschöpft. Oft wird übersehen, dass Frauen im Wirtschaftsleben aus gesellschaftspolitischer, demografischer und ökonomischer Perspektive von großer Bedeutung sind. Wird die Wirtschaftskraft von Frauen systemisch und praktisch gestärkt, wirkt sich das unmittelbar auf die Gleichstellung der Geschlechter, die Verringerung von Armut, die Gesundheit und Bildung von Kindern und das Wirtschaftswachstum eines Landes aus. Schätzungen zufolge würde das Bruttoinlandsprodukt weltweit um etwa 15 Prozent steigen, wenn Frauen gleichberechtigt am wirtschaftlichen Leben teilhaben könnten. Um das Potenzial von Frauen volkswirtschaftlich optimal zu nutzen, braucht es die allen bekannten und oft diskutierten strukturellen Verbesserungen. Genügend und entsprechend flexible und auf die Bedürfnisse von Familien angepasste Kinderbetreuungsmöglichkeiten und flexible Arbeitszeitmodelle sind Beispiele dafür.
Aus meiner Sicht besonders wichtig ist zusätzlich die Veränderung des sogenannten Mindsets einer Gesellschaft gegenüber arbeitenden und karriereorientierten Frauen. Es muss selbstverständlich werden, dass Frauen in allen Führungsebenen sitzen, in jedem Entscheidungsgremium mitbestimmen und auf allen politischen Ebenen 50 Prozent der Weltbevölkerung vertreten. Wir brauchen Role Models und wir sollten uns daran gewöhnen, dass Entscheidungen von allen Geschlechtern getroffen werden. Wussten Sie, dass wir an die Stimmen von Frauen weniger gewohnt sind als an Männerstimmen? Frauenstimmen werden bei öffentlichen Reden, in TV und Radio eher als „ungut“ empfunden im Vergleich zu Männerstimmen. Wir wurden daran gewöhnt, dass Männer die Nachrichten verbreiten, die Interviewfragen stellen, die Predigt halten, die Weltgeschehnisse erklären und unsere Verfassung verlesen und wir empfinden höhere Tonlagen schnell als „hysterisch“...
Gesellschaft bilden heißt Mensch sein. Ob männlich, weiblich oder divers sollte uns dabei gleichgültig werden. Es geht darum, gemeinsam für eine gute und lebenswerte Zukunft einzustehen. Dazu braucht es alle von uns – denn je selbstverständlicher wir gemeinsam und auf Augenhöhe daran arbeiten, desto besser wird es uns gelingen.

 

Mehr Frauen auf die Bühnen!

Von Brigitta Soraperra

Aufgrund der ab 2022 stattfindenden Kooperation mit der erfolgreichen Expertinnendatenbank speakerinnnen.org beantwortet Maren Heltsche, eine der Gründerinnen der Plattform, Fragen von Brigitta Soraperra 

Maren Heltsche ist Programmiererin bei der Klimaschutzstif- tung myclimate und im Vorstand des Deutschen Frauenrats zuständig für das Thema Digitalisierung. Sie engagiert sich ehrenamtlich im bundesweiten Netzwerk Digital Media Women und setzt sich als Mitgründerin von speakerinnen.
org für mehr Geschlechtergerech- tigkeit in Technik, Poli- tik, Wirtschaft und Gesellschaft ein.

Wie kam es zur Homepage speakerinnen.org? Was waren eure Beweggründe, sie ins Leben zu rufen?
speakerinnen.org gibt es seit 2014. Zur Gründung kamen zwei wesentliche Aspekte zusammen. Der erste: Viele Menschen waren unzufrieden darüber, dass in Konferenzen und in Medieninterviews vorranging Männer als Experten zu Wort kommen. Dafür gibt es keinen Grund. Wer Organisator:innen von Events auf diese Diskrepanz hinweist, bekommt oft die Reaktion, dass keine geeignete Frau zu finden war. Wir sind davon überzeugt, dass es viel mehr kompetente Frauen gibt, als heute auf den Bühnen zu sehen sind. Und: Mädchen brauchen weibliche Vorbilder, Frauen brauchen die Gewissheit, dass eine andere – ihre – Sicht auf ein Thema genauso relevant ist. Veranstaltungen und Medienberichte brauchen mehr Diversität.
Der zweite Aspekt betrifft die konkrete Umsetzung. Zu dem Zeitpunkt gab es eine Gruppe von Frauen, die programmieren lernen wollten und auf der Suche nach einem Lernprojekt waren. Dieses Lernprojekt wurde dann speakerinnen.org.

Wer steckt alles dahinter und wie funktioniert die Seite?
Wir sind ein Team von Entwickler:innen und ein paar anderen Ehrenamtlichen, die sich um administrative und kommunikative Aufgaben kümmern. Einige sind schon seit Beginn der Plattform mit im Team, es kommen immer wieder neue dazu, manche sind für bestimmte Projektphasen mit an Bord. Wir stellen eine Plattform bereit, die online aufrufbar ist und die Expertinnen und Eventorganisator:innen oder Journalist:innen zusammenbringt. Expertinnen können sich mit ihrem inhaltlichen Profil und ihren Referenzen selbst eintragen, Interessent:innen können suchen und die ausgewählten Speakerinnen über die Plattform für Aufträge kontaktieren.

Gab es Herausforderungen rundum die Erstellung?
Die Plattform zu bauen und in Betrieb zu nehmen, war schon eine Herausforderung für uns – wir hatten so etwas ja vorher noch nie gemacht. Dazu kommt: die Plattform selbst ist ja nur ein Gefäß, sie lebt von den Speakerinnen, die sich dort registrieren und denjenigen, die darin suchen. Das hat viel mit Kommunikation zu tun und diese ist zeitaufwendig. Da wir ein ehrenamtlich arbeitendes Team sind, haben wir deutlich mehr Ideen, als Ressourcen, diese Ideen auch umzusetzen.

Kam es schon öfter vor, dass andere Länder – wie nun Vorarlberg – eine Kooperation anstrebten? Wie geht ihr mit solchen Anfragen um?
Das ist die erste Kooperation dieser Art. In der Vergangenheit gab es schon ab und zu Kooperationen mit Frauennetzwerken, die ihre Mitglieder zu unserer Plattform informierten und die dann bei uns gefeatured wurden.
Die Umsetzungen sind immer ganz unterschiedlich. Bei der Kooperation mit Vorarlberg passieren ja mehrere Dinge: Vorarlberger Frauen werden gezielt auf unsere Plattform eingeladen und können von überallher gefunden und angesprochen werden. Die Plattform selbst erhält in diesem Zuge eine Erweiterung der Suchfunktion, die dann auch die Filterung nach Regionen zulässt. Außerdem gibt es einen separaten Bereich, der die Expertinnen aus Vorarlberg präsentiert.

Angesichts von heute mehreren Tausend Expertinnen, die darauf zu finden sind, ist es eine Erfolgsgeschichte, habt ihr damit gerechnet?
Wir haben schon gesehen, dass es Bedarf gab. So kursierten in den Jahren vor Speakerinnen vereinzelte Listen von Expertinnen und immer wieder gab es Anfragen: Wer kennt eine Expertin aus dem Bereich xy. Als es dann aber losging und sich so viele Speakerinnen eintrugen, von der Plattform erzählten und auch immer mehr Eventorganisator:innen und Journalist:innen die Seite nutzten, waren wir sehr begeistert. Und sind es noch heute!

 

Man sieht, was man weiß

Von Bastian Kresser

Ein guter Freund von mir ist Biologe und regelmäßig unternehmen wir gemeinsame Wanderungen. Es ist faszinierend, wie sehr sich sein Blick von meinem unterscheidet. Ich gehe durch einen Wald, sehe Bäume und Büsche, Ameisen und Käfer und lausche dem Singen der Vögel. Mein Freund hingegen sieht eine Monokultur oder einen Mischwald, untersucht den Waldboden, erklärt mir, was für ein besonderer Käfer gerade unseren Weg gekreuzt hat, kennt seinen lateinischen Namen und verrät mir den Namen des Vogels, der den Soundtrack für unsere Wanderung liefert.
Meine Schwägerin ist Bauingenieurin und vor kurzem war sie in Barcelona. Nach ihrer Reise zeigte sie uns Fotos der noch unvollendeten Sagrada Família. Sie schwärmte von den verschiedenfarbigen Säulen, von den Materialien, die verwendet wurden – rötlich-braunes Vulkangestein in der Mitte und dort, wo weniger Last herrscht, helles Sedimentgestein – und von der Tatsache, dass man die Tragstruktur durch die baumartige Verzweigung der Säulen klar ablesen kann.
Ich war vor vielen Jahren ebenfalls in Barcelona, besuchte die Sagrada Família und sah: eine beeindruckende Kirche. 

 

Man sieht, was man weiß. 

Ich bin für diesen Text gefragt worden, warum alle davon profitieren können, wenn Frauen in allen Gremien, auf allen Podien, in Geschäftsführungsetagen, etc. gleich vertreten sind wie Männer. Die zwei eben genannten Beispiele sind meine Antwort darauf. Es geht darum, in sämtlichen Situationen und ganz besonders natürlich dort, wo Entscheidungen gefällt werden, auf eine möglichst breite Diversität zurückgreifen zu können. Probleme, Aufgaben und Fragestellungen können leichter gelöst werden, wenn verschiedenste Individuen sie aus möglichst vielen Gesichtspunkten betrachten. Und damit ist natürlich nicht eine weibliche oder männliche Sicht gemeint – Klischees sind stets überflüssig oder einengend, egal ob positiv oder negativ – sondern, dass es am idealsten ist, wenn auf einen Topf zurückgegriffen werden kann, in dem sich die Erfahrungen aus möglichst vielen Lebenswelten befinden. 
Die Frage, wer dann auf das beste Ergebnis kommt, mit wem eine konstruktive Zusammenarbeit gelingt oder wer „das Problem“ löst, ist völlig unabhängig vom Geschlecht. Ziel sollte es immer sein, viel mehr auf den individuellen Menschen und weniger auf das Geschlecht zu blicken. So können wir uns aus dieser Spirale lösen, die uns immer nur wieder in alte Rollenklischees führt.
Wichtig ist nur, dass der Topf, auf den zugegriffen wird, mit „Allem“ gefüllt ist. Und damit meine ich nicht nur Männer und Frauen, sondern auch Ältere und Jüngere, Menschen mit verschiedenen kulturellen Hintergründen oder mit körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung. Sprich: Expert:innen aus allen Fachgebieten und Lebenswelten.
Doch noch sind wir weit entfernt von diesem vollen und diversen Topf. Noch ist die Verteilung schlicht und einfach unfair. Zu viele Gremien, Podien, Geschäftsführungsetagen „verzichten“ auf eine bereichernde und fördernde Diversität. Ich schließe mich daher der Aussage von Ali Mahlodji an, der beim diesjährigen Female Future Festival in Bregenz auf die Frage, was es brauche, damit Frauen auch in der Unternehmenswelt die gleichen Chancen haben, recht nüchtern geantwortet hat: 1. eine Quote und 2. Männer, die bereit sind, den Platz frei zu machen.

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.