Klaus Feldkircher

(geb. 1967) lehrt an der FH Vorarlberg, ist als freier Journalist tätig und betreibt das Kommunikationsbüro althaus7. Als Autor, Texter und Konzepter hat er bereits zahlreiche Sachbücher veröffentlicht. Weiters ist er in der Erwachsenenbildung tätig und lehrt Deutsch und Latein an der Schule Riedenburg/Bregenz.

Information statt Babyelefant

Februar 2021

Sie kennen die „Tanz-Challenge Jerusalema“? Dann kennen Sie vielleicht auch die Version des Teams des LKH Feldkirch.
Die Idee hat also Vorarlberg erreicht. Das ist die eine Seite der Medaille. Die Botschaft: Wir lassen uns nicht unterkriegen.
Die andere Seite: Die Situation ist auch für das Pflegepersonal und die Mitarbeitenden in den Spitälern herausfordernd.

Wir haben uns mit Matthias Pfanner, Physiotherapeut im Krankenhaus Dornbirn, getroffen und uns über seinen Alltag unterhalten. Natürlich mit gebührendem Abstand. Matthias ist seit 2009 in Dornbirn beschäftigt. Nach seiner Ausbildung startete er seine berufliche Laufbahn in der orthopädischen Abteilung von Primar Winfried Heinzle. Bereits 2010 machte sich Pfanner teilselbständig. Grundlage dieser Selbständigkeit: ein Modell des KH Dornbirn, das es den Mitarbeitenden ermöglicht, im Krankenhaus auch eigene Patienten zu betreuen. Die Idee dahinter: Know-how-Träger, die sich eventuell in die Selbständigkeit verabschiedet hätten, ans Spital zu binden. Momentan sind sechs Physiotherapeuten auf dieser Basis in Dornbirn tätig. 

Abschottung als Schutz

Im ersten Lockdown – im Frühling 2020 – waren laut Matthias Pfanner keine Behandlungen auf selbständiger Basis möglich. Erst im zweiten und dritten Lockdown, also ab Herbst 2020, sollte sich das ändern, unter bestimmten Auflagen. Doch die Rückkehr an seine Arbeitsstelle war ungewohnt: Schon der Zutritt zum Krankenhaus gestaltete sich stark verändert. 
Waren früher Masken nur in gewissen Fällen nötig, mussten sie jetzt bereits beim Eintritt getragen werden. Am Haupteingang stand nun ein Security-Mitarbeiter, ein Zutritt ohne Mitarbeiterkarte war nicht mehr möglich. Matthias berichtet: „Die Anspannung im Haus war physisch und psychisch spürbar.“ Die Stimmung im Krankenhaus beschreibt er gerade in dieser Zeit sehr differenziert: Die einen erledigten ihren Job in der Gewissheit, dass man an der Situation nichts ändern könne. Das Motto: Da müssen wir durch. Anderen bereitete die Ungewissheit, ob eine Überfüllung wie in Italien bewältigt werden könne, Sorgen. „Ich habe einige Zeit gebraucht, um die Situation realistisch einschätzen zu können. Dann kehrte aber eine gewisse Gelassenheit ein.“

Neue Situation, andere Funktion

Als Matthias nach seinem Zeitausgleich wieder zur Arbeit kam, konnte er seinem angestammten Beruf als Physiotherapeut nur teilweise nachgehen, da unter anderem viele Operationen gestrichen wurden. Deshalb wurden er und zahlreiche Mitarbeitende aus den Funktionsabteilungen in anderen Bereichen eingesetzt. „Meine Aufgabe war unter anderem, mit unseren Krankenschwestern bei der Patientenaufnahme Corona-Symptome abzuklären. Eine Art Vor-Triage also: Wir überprüften aufgrund der Symptome, ob ein Patient auf die CoVid-Station aufgenommen werden sollte oder nicht.“ Eine wichtige Aufgabe, da das Prozedere – Abstrich, Begutachtung durch den Arzt, Schutzkleidung etc. – zeitlich sonst kaum bewältigbar gewesen wäre. 

Erschwerte Bedingungen

Waren im ersten Lockdown physiotherapeutische Maßnahmen also nur eingeschränkt möglich, so änderte sich das im Herbst 2020. „Ich wurde auf der CoVid-Station eingesetzt, um mit Patienten unter anderem Atemtherapie zu machen, aber auch, um sie körperlich zu aktivieren, damit sie leichter mobilisiert und gepflegt werden konnten.“ Die Arbeit mit der dafür nötigen Schutzkleidung sei „gewöhnungsbedürftig“: „In die CoVid-Station kamen wir durch einen Vorraum, wo alle Utensilien und eine Anleitung für das Ein- und Ausschleusen untergebracht waren.“ Neben einem Schutzanzug sind eine Schutzbrille, eine FF2-Maske und Handschuhe Pflicht. Da der Anzug isoliert, also ein Luftaustausch fast nicht stattfindet, ist die Arbeit stark erschwert. Daher sei es wichtig, das Tempo etwas herunterzufahren, auch, was das Sprechen betrifft. „Sonst geht dir die Luft aus.“ Allein das An- und Auskleiden beim Ein- und Ausschleusen dauere fünf Minuten. „Die ersten Tage war ich buchstäblich k.o., als ich zu Hause ankam.“ Mittlerweile habe sich das aber eingependelt.

Veränderung 

Insgesamt habe sich der Arbeitsalltag im Spital massiv geändert: „Wir gehen noch vorsichtiger, mit noch mehr Bedacht ans Werk. Wir wägen in unserer Arbeit ab, welche Maßnahme sinnvoll ist. Ist Körperkontakt nötig oder reicht das Vorzeigen einer Übung.“ All das ist für ihn Zeichen der Verantwortung, die er den Patienten, sich und seiner Familie und seinem Arbeitgeber gegenüber hat. Und diese Verantwortung zieht sich auch ins Privatleben. Zu den eingeschränkten Sozialkontakten hat Matthias seine eigene Meinung: Er sieht die soziale Isolation, vor allem im ersten Lockdown, als großes gesellschaftliches Problem: „Erkläre einem Menschen, der einen Weltkrieg überlebt hat, dass er plötzlich seine Kinder nicht mehr sehen darf.“ Vielfach habe er von Betroffenen erfahren, dass sie lieber eine Erkrankung in Kauf nehmen und dafür von Menschen umgeben sind, die sie unterstützen. Oder die um die Endlichkeit ihres Lebens wissen und diese letzten Tage, Wochen, Monate nicht allein verbringen wollen. „Ich habe erlebt, dass Familien ihre Sterbenden nicht begleitet haben, ob zu Hause oder im Spital. Aus Gründen der Ansteckungsgefahr.“ Und weiter: „Oft wird das Thema ,Sterben‘ verdrängt: Ich will das jetzt nicht hören. Ich will mich nicht damit beschäftigen. Offensichtlich ist gerade in Corona-Zeiten eine Tabuisierung, eine Leugnung verstärkt spürbar.“

Information? Ja, bitte!

Matthias sieht auch eine beginnende mögliche Spaltung in der Gesellschaft, gerade was das Thema Impfung betrifft: „Es findet oft kein sachlicher Diskurs, basierend auf Respekt, mehr statt. Entweder du bist dafür oder dagegen. Und vielfach arten solche Auseinandersetzungen in Glaubensfragen aus.“ Was er sich wünscht: Information, Aufklärung, faktenbasierte Diskussionen mit Respekt. „Nur auf dieser Basis kann eine vernünftige Entscheidung, in welche Richtung auch immer, gefällt werden.“ Und nimmt die Entscheidungsträger, aber auch jeden Einzelnen in die Pflicht. Denn Information sei sowohl Hol- als auch Bringschuld: „Und ein Babyelefant als Information ist auf Dauer ein bisschen mager.“

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.