Peter Freiberger

Kampf gegen den weißen Tod

Februar 2017

Obwohl das kleinste Bundesland mit Alpenanteil, war Vorarlberg in Sachen Lawinenwarnung Vorreiter: Bereits 1953 wurde hier der erste Lawinenwarndienst Österreichs eingerichtet. Der Winter 2016/2017, dessen Entwicklung bisher jener der beiden Vorsaisonen ähnelt, lässt eine überdurchschnittliche Zahl an Lawinentoten befürchten.

Andreas Pecl, gebürtiger Galtürer, ist in der Landeswarnzentrale in Bregenz verantwortlich für den Vorarlberger Lawinenwarndienst. Insgesamt drei fixe Mitarbeiter – neben Pecl Bernhard Anwander und Herbert Knünz, die auch noch für andere Aufgaben zuständig sind – umfasst das Team des heimischen Lawinenwarndienstes. Abhängig von Witterung und Schneelage, wird ab Mitte November bzw. Anfang Dezember an sieben Tagen der Woche ein aktueller Lawinenlagebericht für Vorarlberg erstellt.

„Uns stehen rund 30 automatische Messstationen zur Abfrage von schnee- und wetterspezifischen Daten im ganzen Land zur Verfügung“, informiert Pecl. Zudem liefern sieben geschulte, langjährige Beobachter und „alte Füchse“ – vom Skiguide bis zu Mitarbeitern von Bergbahnen – jeden Morgen aktuelle Informationen und Messwerte aus den einzelnen Gebirgsregionen. Jeder Beobachter gibt außerdem eine Einschätzung der Gefahrensituation in seinem Gebiet ab. Darüber hinaus stehen Mitglieder von Lawinenkommissionen sowie Berg- und Skiführer in Kontakt mit dem Lawinenwarndienst und teilen mögliche Besonderheiten mit.

Aus diesem Füllhorn an Informationen und regelmässigen eigenen Geländeerkundungen erarbeitet der jeweilige Diensthabende frühmorgens den aktuellen Lawinenlagebericht, der schließlich gegen 7.30 Uhr veröffentlicht wird. Er beinhaltet unter anderem eine umfassende Beurteilung der Lawinengefahr, Hinweise zu Gefahrenstellen, Informationen zur Schneedecke und natürlich die aktuellen Gefahrenstufen für die verschiedenen Gebirgsregionen.

Vorarlberg erlebt heuer einen tückischen Winter, der – bis Redaktionsschluss – schon drei Tote nach Lawinenunglücken forderte. Das Hauptproblem lautet „Altschneedecke“. „Wir hatten lange ganz wenig Schnee, der sich im Laufe der Zeit umwandelte“, weiß Pecl. In Kombination mit starkem Wind fiel im Jänner dann plötzlich viel Schnee auf diese alles andere als günstige Basis. Die Ausrufung der Gefahrenstufen drei bzw. vier war die Folge.

Durchschnittlich herrscht während eines Winters an rund einem Drittel der Tage Stufe drei, die für „erhebliche Lawinengefahr“ steht. „Allerdings passieren bei Stufe drei etwa drei Viertel aller Lawinenunglücke“, weiß der Experte. Die einheitliche europäische Gefahrenskala weist die Stufen gering (1), mäßig (2), erheblich (3), groß (4) und sehr groß (5) aus.

Irreführende Vergleiche mit Schulnoten

„Viele Wintersportler vergleichen die Gefahrenstufen mit den Schulnoten“, sagt Pecl. Stufe drei klingt wie ein „Befriedigend“ – also im Grunde genommen in Ordnung. Dabei ist bei dieser Stufe laut Definition „die Auslösung von Lawinen bereits durch einzelne Skifahrer möglich“.

Vor nicht langer Zeit haben die Fachleute der europäischen Lawinenwarndienste darüber nachgedacht, dieses System zu adaptieren – aber die Meinungen sind sehr unterschiedlich. Pecl könnte sich eine Reduktion der Anzahl an Gefahrenstufen vorstellen. Seine Argumentation: „Bei Stufe 5 handelt es sich um eine Katastrophenlage, die für die Wintersportler praktisch keine Bedeutung mehr hat. Wird auf vier Stufen reduziert, wäre 3 schon fast die höchste Stufe, hätte somit eine viel stärkere Aussagekraft und würde eventuell mehr Menschen davon abhalten, das Gefahrenpotential zu unterschätzen.“

Stichwort „Gefahrenpotenzial“. Pecl rät Skitourengehern, Variantenfahrern und Snowboardern, sich in Kursen Wissen zur Einschätzung der Lawinengefahr anzueignen. „Die Leute investieren sehr viel Geld in Ausrüstung – bis zum Lawinenairbag. Besser wäre es, sich rechtzeitig Wissen zum richtigen Verhalten, zur Geländebeurteilung und damit zur Vermeidung von Unfällen anzueignen“, rät der Experte. „Eine standardmäßige Notfallausrüstung stellt ohnehin ein Muss dar.“

Darüber hinaus sieht er beim Ansatz der angebotenen Schulungen Optimierungsbedarf. Der Schwerpunkt liegt oft bei der Verschüttetensuche. „Man sollte hingegen größeren Fokus auf Prävention legen. Wenn eine Lawine abgeht, ist schon etwas schiefgelaufen.“

Eine Topausrüstung vermittelt übrigens ohnehin trügerische Sicherheit, wie Unfälle immer wieder zeigen. Viele Wintersportler tragen zwar einen Lawinenairbag, sind jedoch nicht imstande, diesen rechtzeitig auszulösen.

Ein tückischer Lawinenwinter

Auch bei geführten Skitouren und Variantenabfahrten kam es 2017 bereits zu tödlichen Lawinenunfällen. „Dies unterstreicht, wie tückisch die Lawinensituation des heurigen Winters bisher ist“, erklärt Andreas Pecl, selbst staatlich geprüfter Bergführer.

Daran dürfte sich in absehbarer Zeit wenig ändern. Deshalb steht zu befürchten, dass es nicht bei den drei Lawinentoten bleibt.

Zum Vergleich: In den zwei Vorwintern gab es drei (2014/2015) bzw. fünf Lawinentote (2015/2016). Diese Winter verliefen, was die Niederschläge betrifft, am Beginn ähnlich wie die heurige Saison. In den vier Wintern zuvor war jeweils lediglich ein Toter zu beklagen.

Betrachtet man die Statistik zurück bis zum Beginn der 1970er-Jahre, dann stellt 1974/75 bisher den absoluten Negativausreißer dar. Insgesamt zwölf Lawinentote gab es damals in Vorarlberg. Eine horrende Bilanz, ganz besonders, wenn man die Zahl der Outdoorsportler aus jener Zeit mit der von heute vergleicht. Die stieg – besonders in den vergangenen Jahren – deutlich an. „Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung halten sich die Unglücke eigentlich in gewissen Grenzen und sind eher seltene Ereignisse“, resümiert Andreas Pecl ebenso nüchtern wie realistisch.

Lawinenwarndienst im Internet:
www.vorarlberg.at/lawine

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.