Kurz, wörtlich
Mit klaren Ansagen in der Flüchtlingsfrage hat sich Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz auch außerhalb Österreichs einen Namen gemacht. Als Kurz vor wenigen Tagen Referent beim „Treff der Vorarlberger Wirtschaft“ im Rankler Vinomnasaal war, kamen 700 Gäste, um zu hören, was der 30-Jährige in Sachen Integration zu sagen hat. An dieser Stelle wird nun sein Referat wörtlich* wiedergegeben.
Es gibt in Österreich in vielen Fragen einen irrsinnig starken medialen Mainstream, oftmals getrieben von Medien, in der Flüchtlingsfrage von manchen NGOs, die eigentlich nur große PR-Agenturen und, im Gegensatz zum Roten Kreuz, nicht vor Ort sind. Dieser Mainstream ist oftmals so stark, dass du schon faschiert wirst, wenn du es auch nur wagst, in einer Nuance abzuweichen oder nicht in den allgemeinen Chor einzustimmen. Ich habe das im vergangenen Jahr stark erlebt, als diese Flüchtlingsbewegungen losgegangen sind und mir mein ganzer Expertenrat gesagt hat: „Das ist ein Wahnsinn, die Zahlen sind viel zu hoch, wenn die im Winter nicht zurückgehen, kommt im Frühling Gewaltiges auf uns zu“, und ich es gewagt habe, das in der Bundesregierung anzusprechen. Da bin ich angeschaut worden, als wäre ich ein Faschist. Und dann, als die Leute gemerkt haben, dass mehr und mehr kommen, und alle gesagt haben, wir müssten die Flüchtlinge besser verteilen, habe ich es gewagt, zu sagen, dass wir das mit Verteilung allein nicht lösen, sondern den Zustrom stoppen müssen. Es war damals untragbar, das auszusprechen.
Man kann schon gegen den Mainstream ankämpfen, aber es ist ein sehr mühsamer Kampf, ich habe das erlebt. Und ich würde mir in vielen Fragen wünschen, dass es mit ein bisschen weniger Emotion zugeht, dass man ein bisschen mehr auf die Fakten schaut und unterschiedliche Zugänge zulässt und nicht den einen Zugang immer moralisch überlegen nennt und den anderen automatisch schlecht oder falsch.
Aus meiner Sicht ist die Situation besser als im vergangenen Jahr, weil vieles, was 2015 vertreten wurde, heute nicht mehr vertreten wird. Es gibt mittlerweile einen breiten Konsens in der Europäischen Union, dass Außengrenzen geschützt werden müssen. Jetzt wollen die meisten zumindest in die richtige Richtung. Dabei haben vergangenes Jahr noch viele behauptet, die Grenzen könnten gar nicht gesichert werden. Mich hat das narrisch gemacht. Zu sagen, man könne Grenzen ohnehin nicht sichern, also probieren wir es gar nicht, ist die Selbstaufgabe eines Staates und einer Union.
Für die Mittelmeer-Italien-Route gilt zwar nach wie vor genau dasselbe wie vergangenes Jahr. Es gibt teilweise sogar höhere Zahlen, weil die Politik dort noch immer dieselbe ist wie im vergangenen Jahr. Was aber Flüchtlings- und Migrationsströme über die Westbalkan-Route betrifft, sind wir im Moment gut aufgestellt. Der Türkei-Deal ist zwar wackelig, aber solange er hält, ist er gut. Die Schließung der Westbalkan-Route funktioniert, wir sind dadurch von 15.000 Ankünften pro Tag auf unter 1000 pro Tag gekommen, der Türkei-Deal hat das dann nochmals reduziert. Das heißt, über diese Route kommt eigentlich nur noch ein sehr, sehr geringer Zustrom. Insofern würde ich sagen, wir sind besser als im vergangenen Jahr, aber noch weit weg von der Lösung.
Denn das große Problem, das ich sehe, ist die Situation und der Migrationsdruck in Afrika. Derzeit eine Milliarde Menschen, in 20 Jahren zwei Milliarden Menschen, Ende dieses Jahrhunderts vier Milliarden Menschen: Wenn wir unsere Außengrenzen nicht sichern, wenn wir nicht umstellen von einem System der Aufnahme bei uns hin zu einem System der Hilfe vor Ort – was wesentlich nachhaltiger wäre und man mit demselben Geld viel mehr Menschen helfen könnte –, dann wird der Druck einfach immer stärker steigen.
Die Unterbringung ist nicht das Problem. Wenn man wollte, könnte man allein am Truppenübungsplatz Allentsteig eine Million Menschen unterbringen. Die Integration ist die Herausforderung, und da vor allem der Einstieg in den Arbeitsmarkt. Denn es braucht die Integration derer, die dableiben dürfen. Da müssen wir uns vor allem überlegen, wie wir Menschen beschäftigen – zumindest in der Gemeinnützigkeit, wenn sie schon am regulären Arbeitsmarkt keine Chance haben. Denn zwei Drittel dieser Menschen werden auch nach fünf Jahren keinen Job in Österreich gefunden haben, ein großer Teil wird niemals einen Job in Österreich finden. Der Analphabet aus Afghanistan hat es sehr schwer, sich am österreichischen Arbeitsmarkt gegen den arbeitslosen Österreicher oder den gut ausgebildeten osteuropäischen Zuwanderer durchzusetzen.
Ich bin keiner, der glaubt, dass man nur durch Hilfe vor Ort den Migrationsdruck lindern könnte. Die Hilfe vor Ort ist unsere moralische Verantwortung und Pflicht, aber nicht die Lösung der Migrationsströme. Wenn wir unsere Außengrenzen nicht schützen, wenn wir nicht bereit sind, die Leute auch zu stoppen, dann werden mehr und mehr kommen. Es braucht die massive Reduktion des Zustroms. Wir haben die höchsten Zuwanderungszahlen in ganz Europa, liegen weltweit unter den Top fünf. Mein Expertenrat hat im Sommer gesagt, dass das, was wir im Jahr 2015 erlebt haben, nur ein sanfter Vorgeschmack auf das ist, was kommen kann, wenn wir nicht bereit sind, unsere Grenzen zu schützen. Die Lösung, dem Migrationsdruck zu begegnen, kann immer nur ein ordentlicher Schutz der Außengrenzen sein. Die Entscheidung, wer kommen darf, müssen wir treffen – und nicht die Schlepper.
Was das Integrationspaket betrifft: Es ist schwierig, wir sind da in endlosen Verhandlungen mit der SPÖ. Wir glauben, dass die Situation, in der wir sind, klare Maßnahmen braucht. Und das wichtigste Thema, ich habe es angesprochen, ist der Arbeitsmarkt. Wenn wir wissen, dass Menschen jahrelang keinen Job finden werden, dann kann es nicht reichen, die Leute einfach mit der Mindestsicherung zu versorgen und darauf zu warten, dass sie auf dumme Ideen kommen. Wir müssen ihnen doch irgendeinen Sinn im Leben bieten, und wenn wir ihnen nicht die Möglichkeit bieten, dass sie sich einbringen können, wenn wir ihnen aber auch nicht mit der Pflicht begegnen, dass sie sich einbringen müssen, dann wird das ein gesellschaftspolitischer Sprengstoff. Unser Hauptthema im Integrationsgesetz ist das Ziel, dass jeder, der in Österreich legal lebt, einen Beitrag leisten können soll, aber auch leisten muss.
Im Übrigen haben wir eine leidenschaftliche Diskussion in Österreich darüber, ob Asylwerber arbeiten dürfen, ob sie arbeiten sollen, ob sie sich gemeinnützig engagieren sollen. Aber kaum jemand hat ein Problem damit, dass die Leute nach Gewährung des Asylstatus oft zehn, fünfzehn, zwanzig Jahre nicht arbeiten. Das heißt, ich würde mir wünschen, dass mehr Fokus auf die Frage gelegt wird, was nach dem positiven Bescheid passiert, und der Fokus nicht nur auf die Frage gerichtet ist, was während des Verfahrens passiert. In der Theorie ist es übrigens so: Wer keinen Deutschkurs besucht, der soll Sozialleistungen verlieren. Wir haben nachgefragt, wie oft das in Wien der Fall war. Da haben sie gesagt: „Gott sei Dank ist das noch kein einziges Mal vorgekommen.“ Insofern klaffen da Anspruch und Wirklichkeit doch sehr stark auseinander.
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* wörtliche zitate von Kurz; einige sprachliche Details wurden geringfügig adaptiert.
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