Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Man darf sich auch nicht fürchten“

Mai 2024

Wolfgang Schüssel, Bundeskanzler der Jahre 2000 bis 2007, war beim Frühlingsimpuls des Wirtschaftsbundes bei Mercedes Schneider in Dornbirn als Keynote-Speaker geladen. Der 78-Jährige langjährige ÖVP-Politiker referierte dort – vor vielen interessierten Zuhörern – „über die anstehenden EU-Wahlen im Spannungsfeld von USA, China und Russland“. Aus einem vorab stattfindenden Pressegespräch werden im Folgenden gekürzte Passagen wiedergegeben, wobei der Altkanzler dabei direkt zitiert wird. 

Schüssel sagte über Politik: „Politik darf nicht in der Tagespolitik stehenbleiben, sondern sollte immer auch die Zukunft vorausahnen, vorausdenken, vorausplanen. Und gerade die heutige Zeit ist eine, die uns nachdenklich machen muss. Und auch nachdenken lassen sollte, wie es weitergeht, weil die Herausforderungen beachtlich sind.“ 

Krieg und Bedrohungen: „Wir haben geopolitische Spannungen, einen Krieg mitten in Europa: Die lang verdrängte Frage der umfassenden Landesverteidigung ist voll wieder da und zwar auch für ein Land wie Österreich. Die Bedrohungen sind nicht nur militärisch, sondern betreffen auch Cybercrime, Spionage, Wirtschaftskriminalität, oder das illegale Einschleusen von Migranten – die Balten und die Polen können ein Lied davon singen. Das kann kein Land allein bewältigen, es geht nur gemeinsam.“ 

Über die Ukraine: „Man muss mit allen Mitteln die Ukraine unterstützen: militärisch, finanziell, humanitär. Die Ukraine braucht im Monat ungefähr fünf Milliarden Dollar, damit sie überhaupt wirtschaftlich überlebt, damit sie Gehälter zahlen, ihre Beamten finanzieren, die Pensionen auszahlen kann. Das sind im Schnitt im Monat fünf Milliarden Dollar, die die Ukraine nicht hat. Nicht gerechnet ist da die militärische Unterstützung, daher ist es auch wichtig, dass die Europäer und die Amerikaner auch militärisch weiter unterstützen. Ich halte es absolut für möglich, dass die Ukraine das schafft.“

USA und China: „Es ist eine wirtschaftspolitische Challenge mit dem Aufstieg Chinas und mit den Amerikanern, die mit Milliarden und Abermilliarden ihre Wettbewerbsfähigkeit mit Subventionen und mit Protektionismus gegen andere, auch gegen uns Europäer, absichern. Wir dürfen nicht naiv sein: Die Amerikaner sind verbündet mit uns, etwa in der Frage der Sicherheit. Aber sie sind ein heftiger und bissiger Konkurrent in anderen Bereichen.“

Über große EU-Themen: „Die Entscheidung jetzt bei der Europawahl ist eine sehr wichtige, die Europäische Union wird für die nächsten 20, 30 Jahre noch immer der entscheidende Player auf gleicher Augenhöhe mit den Amerikanern und Chinesen sein. Das Entscheidende für mich ist, dass wir wettbewerbsfähig bleiben. Jetzt sind wir das noch. Aber wir müssen sehr darauf achten, dass wir diese Position nicht verlieren, dass wir nicht schwächer werden. Wir müssen vor allem bei Forschung und Entwicklung in den neuen Bereichen – Pharma, Artifical Intelligence, Digitalisierung, Materialentwicklungen, Entwicklungen im Weltall – dabeibleiben. Europa muss sich in diesen Bereichen gut aufstellen. Wir wissen ja oft gar nicht, wie verwundbar wir sind.“ 

Über Untergangs-Propheten: „Man darf sich auch nicht fürchten, man darf sich nicht ins Bockshorn jagen lassen, von Untergangspropheten und Apokalyptikern. Wir würden dem Druck der Chinesen nicht standhalten, die Russen würden uns überrennen, die Amerikaner uns übervorteilen, und der Klimawandel werde uns ruinieren: Das sind alles echte Probleme.Aber wir trauen uns zu, da gut herauszukommen. Gute Politik darf sich nicht narrisch machen lassen.“

Über falsche Diskussionen: „Wir diskutieren oft Randfragen. Die großen Fragen müssen geklärt werden. Dort müssen wir stark sein. Du musst dich konzentrieren, fokussieren.“

Auf die Frage, ob die EU eine Einheit sei: „Im Wesentlichen ja. Aber dass es bei 27 unterschiedlichen Mitgliedsstaaten in der Diskussionsphase auch unterschiedliche Meinungen gibt, das ist klar. Es ist ja nicht so, dass von vornherein immer eine Einheitsmeinung da ist, sondern die muss erarbeitet werden.“ 

Über Demokratie: „Demokratie muss auch unterschiedliche Meinungen zulassen. Demokratie braucht das Drama, braucht den Streit um eine Sache, um eine Entwicklung. Das halte ich für absolut notwendig. Es muss aber dann am Ende auch eine gemeinsame Linie herauskommen; mit der vielleicht nicht jedermann einhundertprozentig glücklich ist. Zur Demokratie gehört aber die Kunst, Kompromisse zu schließen und dann auch zu ihnen zu stehen. Dieses Gefühl ist nicht überall gleich verbreitet, das muss man schon sagen.“ 

Über Österreichs EU-Beitritt: „Der Beitritt war ein magisches, historisches Datum für uns. Wenige wissen, was seither geschehen ist, es wird interessanterweise auch kaum berichtet: In diesen 30 Jahren hat sich die gesamte Wirtschaftskraft Österreichs fast verdreifacht, haben sich die Exporte verfünffacht, die Auslandsinvestitionen nach Österreich verzehnfacht. Wir haben heute eineinhalb Millionen Jobs mehr, das ist unglaublich, das ist eine gewaltige Geschichte.“ 

Über den Brexit: „Der Brexit hat den Briten nachweisbar einen riesigen Schaden verursacht, er hat sie laut Schätzungen bisher ungefähr 150 Milliarden Pfund gekostet. Die Briten waren immer ein unerhört wichtiger Player, wenn es darum gegangen ist, marktwirtschaftliche Gedanken stärker einzubringen. Da hat sich die Balance verschoben: Manche jubeln, ich nicht.“

Über Innenpolitik: „Ich sage öffentlich nichts zur Innenpolitik. Ich war über 35 Jahre in der Innenpolitik tätig, und nichts ist ärger, wie wenn man dann vom Balkon runterkeppelt und alles besser weiß.“ 

Und über Angstmacher in der Politik: „In der Politik gibt es immer zwei große Kräfte: Die Angstmacher. Und die Mutmacher. Und Angst ist eine wirkungsvolle Waffe. Viele, die Angst machen, können zumindest kurzzeitig an Boden gewinnen. Langfristig sind trotzdem die Mutmacher die Stärkeren.“

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