Peter Freiberger

Robin Hood sieht anders aus

April 2015

Unter dem Begriff „Postkartenräuber“ hat er sich einen zweifelhaften Namen gemacht, jener Unbekannte, der seit 2008 nicht weniger als zehn Banken und Postämter in Vorarlberg überfallen hat. Zweimal schon hat sich der Mann per Postkarte bei einer Bank bzw. der Polizei gemeldet. Bei seinen Taten „lebte“ er fast ausschließlich von unfassbarem Glück.

Wenn ein Verbrecher x-fach der Polizei entwischt, die Exekutive ihn jahrelang nicht überführen kann, dann genießt der Täter in der Bevölkerung oft Sympathiewerte. Freilich – die überfallenen Bank- respektive Postbeamten sehen die Angelegenheit weniger lustig. Wer einmal in einen Revolverlauf geschaut hat, dem vergeht das Lachen für lange Zeit. Und auch als Vorarlberger Robin Hood taugt der Serienräuber bislang nicht. Jedenfalls weiß niemand etwas davon, dass ein Unbekannter mit größeren Summen die Armen beschenkt hätte. Fazit: Bei dem Mann handelt es sich bloß um einen lupenreinen Verbrecher.

Rückzieher beim ersten Mal

Die für Vorarlberg einzigartige Überfallserie begann am 11. August 2008 in der Sparkassenfiliale Feldkirch-Altenstadt. Allerdings – das erste Mal ist nie leicht. Da stellt ein angehender Räuber keine Ausnahme dar. Fazit: Der Unbekannte machte in der Bank unverrichteter Dinge kehrt.

Ein gutes halbes Jahr später, am 9. März 2009, war die Postfiliale in Altenstadt „dran“. Diesmal zog der Mann den Überfall durch und entkam unerkannt samt seiner Beute. Aber er ließ, verfolgt von einem Postkunden, Maske, Schal und Fahrrad zurück. Rund zwei Monate da­rauf gelang ihm ein Überfall auf die Post in Dornbirn-Haselstauden, ehe am 16. Juli 2009 sein Vorhaben, die Sparkasse in Bregenz-Weidach auszurauben, im Endeffekt ziemlich in die Hose ging. Die Flucht des Unbekannten auf einem gestohlenen Fahrrad erhielt rasch einen Dämpfer, als das Alarmpaket explodierte. Beim Überklettern eines Gartenzauns entwischte er dem betrunkenen Augenzeugen Walter, der dem Flüchtigen kurz danach in einem skurrilen Videointerview die Schnelligkeit einer Katze unterstellte.

In der Folge entwickelte sich eine mediale Eigendynamik, die den verhinderten Räuber, wie die Polizei glaubt, ganz offensichtlich in seiner persönlichen „Ehre“ tief kränkte. Der Mann schickte nämlich an die überfallene Sparkassenfiliale und an die Polizei in Bregenz Postkarten, die dazu dienen sollten, die Polizei lächerlich zu machen und neue Straftaten anzukündigen. Jedenfalls hatte ihm bereits zum mindestens zweiten Mal das Glück Pate gestanden. Sein Entkommen erinnert an die Flucht des deutschen Kaufhauserpressers Arno Funke alias Dagobert, dem ebenfalls immer wieder – und dies auch mit dem Fahrrad – gerade noch die Flucht gelang.

Dass es sich – trotz der Serie – um einen wirklichen Profi handelt, bezweifelt die Polizei. „Unser Mann hat beispielsweise auf den Postkarten DNA-Spuren hinterlassen“, sagt Oberstleutnant Stefan Schlosser vom Landeskriminalamt, Leiter der eigens eingerichteten Sonderkommission. Die Exekutive nahm die DNA-Probe dankend an.

Unbeholfener Gustav Gans

„Er plant nicht, kennt in Wahrheit die inneren Abläufe der Banken nicht, wirkt nervös und unbeholfen und profitiert vom ersten Überfall an von kaum nachvollziehbarem Glück“, analysiert Schlosser weiter. Nicht allein, dass er in Altenstadt seinem Verfolger entkam und in Bregenz gerade noch dem Zeugen Walter entwischte, unterstreicht dies. Kurzzeitig defekte Überwachungskameras oder Fotoaufnahmen, bei denen die Kamera um eine Zehntelsekunde zu spät auslöste, belegen, dass Gustav Gans ein naher Verwandter des Gesuchten sein könnte. Auch dass bisher nie jemand mitbekam, wie und wohin er vom weiteren Tatortbereich flüchtete, fällt in die Kategorie „Riesenschwein gehabt“. „Sein Glück ist nicht planbar, sondern enden wollend“, weiß Soko-Leiter Schlosser.

Zweimal „Pausen“ eingelegt

Zwischen 2010 und 2012 sowie zwischen 2012 und 2014 „pausierte“ der Serienräuber. Im vergangenen Jahr schlug er dann allerdings erneut zwei Mal zu: Betroffen waren die Sparkasse Dornbirn-Hatlerdorf und – kurz vor Weihnachten – der Postpartner in Schwarzach. Der zehnte und bislang letzte Überfall, der auf das Konto des Mannes gehen dürfte, geschah am 3. März 2015: Mit einer Pistole in der Hand überfiel er die Sparkasse in Lochau, fast gleich gekleidet wie im neunten Fall. Pikanterweise befindet sich die Loch­auer Sparkasse wenige Meter neben der dortigen Polizeistation – Dreistigkeit, Provokation, Dummheit?

Die Kriminalisten, die für die Ausforschung auch Kriminalpsychologen und Profiler heranziehen, schließen auf einen Verzweiflungstäter. Soziale Umstände, Abhängigkeiten wie Alkohol- oder Spielsucht, hohe Schulden oder ähnliche Nöte dürften die Ursache sein, dass er immer wieder zuschlägt. „Er benötigt das Geld ganz einfach zum Leben“, sagt Oberstleutnant Schlosser. Reich scheint er ob der – dem Vernehmen nach – insgesamt relativ geringen Beute jedenfalls nicht geworden zu sein. Dies würde die vielfach sehr kurzen Abstände zwischen den Taten erklären. „Er wird uns kein Geständnis ablegen brauchen, wir wissen alles über ihn – außer den Namen“, sagt Oberstleutnant Schlosser. Bei „ihm“ handelt es sich eindeutig um einen Vorarlberger, dessen Lebensmittelpunkt sich zwischen Bregenz und Dornbirn befindet. „Er“ ist zwischen 180 und 185 cm groß, von normaler bis korpulenter Statur und Rechtshänder. Einzig beim Alter des Täters sind sich die Zeugen nicht einig, die Angaben reichen von 45 bis 65 Jahre. Wie die Analysen der Postkarten ergaben, schreibt er nicht täglich und verfolgt die Vorarlberger Medien sehr genau. Dankenswerterweise hat der Räuber sogar seine Fingerabdrücke hinterlassen, zumal er nie Handschuhe trug. Offiziell bestätigt es zwar niemand, aber der Mann dürfte kaum soziale Kontakte haben.

Hoffen auf Bevölkerung

Die Polizei hofft nach wie vor auf Hinweise aus der Bevölkerung. Die treffen freilich oft ganz spät ein, was die Ermittlungstätigkeit nicht leichter macht. „Nach dem Überfall in Lochau rief eine Dame an, die eine bestimmte Person schon jahrelang in Verdacht hatte, sich bisher aber nie bei uns gemeldet hatte.“ Die Überprüfung des Mannes, den die Polizei bereits früher einmal im Visier hatte, verlief negativ. Während der Täter durch die mediale Berichterstattung nach Überfall Nummer vier ganz offensichtlich gekränkt mit zwei Postkarten reagierte, bleiben die Ermittler trotz der Dreistigkeiten und Provokationen gelassen. „Unser Mann weiß, dass wir ganz nah an ihm dran sind“, sagt Soko-Leiter Schlosser. Außerdem: Selbst Gustav Gans hat mitunter kein Glück.

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