Sabine Barbisch

„Russland kann man nicht verstehen – es hat sein eigenes Gesicht“

November 2016

Die Liebe zu Russland, zu den Menschen, zu Kultur und Historie hat Isabella Pipal vor über zehn Jahren entdeckt. 2013 hat sie in Moskau gemeinsam mit Ekaterina Ilg eine österreichisch-russische Rechts- und Unternehmensberatung gegründet. In „Thema Vorarlberg“ spricht sie über die schönen, kuriosen, aber bisweilen auch anstrengenden Seiten ihres Lebens in der russischen Hauptstadt.

Seit über zehn Jahren beschäftigt sich Isabella Pipal intensiv mit Russland, seiner Geschichte und seinen Menschen. Sie ist überzeugt: „Fundierte Geschichts- und Kulturkenntnisse sind unabdingbar, um gewisse Verhaltensweisen nachvollziehen zu können.“ Ein Zitat des russischen Dichters Fjodor Tjuttschew aus dem 18. Jahrhundert verdeutlicht das für Pipal: „Verstehen kann man Russland nicht, und auch nicht messen mit Verstand. Es hat sein eigenes Gesicht. Nur glauben kann man an das Land.“ Und das tut die gebürtige Dornbirnerin. Nachdem sie sich 2005 für die Studienfächer Slawistik mit dem Schwerpunkt Russisch und Rechtswissenschaften an der Universität Innsbruck entschieden hatte, reiste sie schon als Studentin ins flächengrößte Land der Welt. „Ich habe dort studiert, gearbeitet und bin mit der Transsibirischen Eisenbahn von Moskau nach Peking gereist. So habe ich Land und Leute kennengelernt. Deren offene und herzliche Art hat mich besonders beeindruckt“, erzählt Isabella Pipal. Als sie ein paar Monate vor dem Studienabschluss überraschend das Angebot bekam, bei einer internationalen Kanzlei in Moskau zu arbeiten, nahm sie von ihrem Plan, eine Weltreise zu machen, Abstand, um die Chance zu nutzen und in Russland durchzustarten. „Alles Weitere nahm dann seinen Lauf“, meinte sie schmunzelnd.

Kurioses aus der Hauptstadt Russlands

Den Umzug von Dornbirn in die russische 15-Millionen-Einwohner-Metropole Moskau bezeichnet Isabella Pipal trotz ihrer großen Affinität zum Land als „gravierenden Einschnitt“. Neben kuriosen Mitbewohnern, die etwa ihre Autoreifen in der Badewanne reinigten, haben die weiten Distanzen innerhalb der Stadt und die oft unverhältnismäßig hohen Wohnungspreise der jungen Frau anfänglich besonders zu schaffen gemacht. Heute erzählt Pipal das als witzige Anekdoten, manches ist aber immer noch gewöhnungsbedürftig: „Die Metros sind zu den Stoßzeiten absolut überfüllt, obwohl sie im 30-Sekunden-Takt fahren. Auf den Straßen kommt man auch nicht schneller voran, da ein Stau den nächsten ablöst – manchmal sogar nachts.“ Als Einwohnerin Moskaus muss man sich außerdem zwei Wochen im Jahr auf kaltes Wasser einstellen: „Das zentrale Warmwasser wird dann abgeriegelt, weil die Rohre gereinigt werden müssen. Wer, wie ich, keinen Durchlauferhitzer besitzt, duscht eben zwei Wochen kalt oder weicht auf sein Fitnesscenter aus“, lacht Pipal, die mittlerweile im Südwesten der Stadt wohnt, nur vier Metro-Stationen vom Kreml entfernt.

Eine starke Partnerschaft

Im Zuge ihrer Arbeit bei renommierten deutschen Kanzleien in Sankt Petersburg und Moskau wurde Pipal die große Bedeutung der richtigen Betreuung bei Geschäften in Russland klar. „Eine persönliche Recherche hat damals ergeben, dass es wohl ein paar wenige österreichische Kanzleien in Moskau gibt, jedoch niemand aus dem Westen Österreichs vertreten war.“ Vor drei Jahren ging Pipal einmal mehr ihren eigenen Weg und gründete gemeinsam mit Ekaterina Ilg eine österreichisch-russische Rechts- und Unternehmensberatung. Mit ihrem Team deutsch- und russischsprachiger Spezialisten beraten sie vorwiegend Unternehmen aus Österreich bei ihren rechtlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten im Zuge von deren Russlandgeschäften. „Unsere Idee war es, durch das Schaffen von transparenten Bedingungen einen Beitrag zum Vertrauen in den russischen Markt für unsere Mandanten zu leisten. Ekaterina Ilg bringt das Know-how im Bereich Wirtschaft und Finanzen mit, meine Stärke ist das Recht. Überdies sprechen wir beide fließend Russisch, Deutsch und Englisch. Die Rechts- und Unternehmensberatung bot für mich die Chance, meine Fähigkeiten optimal einzusetzen sowie meine beiden Leidenschaften – das Recht und die russische Sprache – zu verbinden.“ Den Schritt in die Selbstständigkeit in ihrem jungen Alter, und das fernab der gewohnten Umgebung, hat Pipal nie bereut: „Das Schönste an meinem Beruf ist, dass jeder Tag Neues für mich bereithält. Routine gibt es kaum, jeder Fall ist individuell. Als Unternehmerin habe ich außerdem den Vorteil, dass ich sämtliche Arbeitsprozesse entwickeln und steuern, mir meine Zeit selbst einteilen und mein Team zusammenstellen kann.“ Der hohen sozialen Verantwortung, die damit einhergeht, ist sie sich bewusst und bringt sich aktiv ein: „Unsere Mitarbeiter sollen sich in unserem Unternehmen weiterentwickeln.“

Sprachliche Parallelen

Eine sprachliche Parallele zwischen Russen und Vorarlbergern hat Isabella Pipal entdeckt: „Die Russen lieben das Diminutiv, die sprachliche Verniedlichung. Das ist mir als Vorarlbergerin nicht fremd, reden wir doch auch vom ‚Müsle‘ und ‚Hüsle‘. In Russland findet es jedoch vor allem Anwendung bei den Vornamen, und zwar ausnahmslos – auch am Arbeitsplatz.“ Das steht in krassem Gegensatz zu den hierarchischen Strukturen in ihrer neuen Heimat. Die erfolgreiche Juristin berichtet, dass es meist jahrelang dauert, bis das Du angeboten wird und es in vielen Fällen gar nie dazu kommt. Sie erklärt: „Ein freundschaftliches Betriebsklima, wie wir es in Österreich kennen, würde hier derzeit noch nicht funktionieren. Es braucht eine strenge Führung und klare Aufgabenverteilung. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Angestellte mit zu viel Entscheidungsfreiheit am Arbeitsplatz nicht umgehen können und auch nicht bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.“ Pipal sieht das historisch bedingt, „da in der Sowjetunion eigenständiges Denken und Handeln nicht gutgeheißen wurde“. Der jüngeren Generation gelinge es aber immer mehr, diese Denkstrukturen abzulegen.

Für ihre persönliche Zukunft kann sich Isabella Pipal durchaus vorstellen, mehr Zeit in der näheren Umgebung ihrer Heimat Vorarlberg zu verbringen, Russland will sie aber nicht auf Dauer verlassen. „Moskau bleibt mein Standort“, fügt Pipal überzeugt an.

 

Lebenslauf
Isabella Pipal ist in Dornbirn geboren und aufgewachsen. Nach der Matura am Bundesgymnasium Dornbirn studierte sie Rechtswissenschaften und Slawistik mit Schwerpunkt Russisch an der Universität Innsbruck. Zusammen mit der promovierten Wirtschaftswissenschaftlerin Ekaterina Ilg hat sie vor gut drei Jahren eine österreichisch-russische Rechts- und Unternehmensberatung gegründet. Pipal lebt im Südwesten Moskaus, nur vier Metro-Stationen vom Kreml entfernt.

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