
Stets die Freiheit vor Augen
Alles läuft. Oder sagen wir, ganz viele Vorarlberger laufen und nutzen das Füllhorn an einschlägigen Veranstaltungen und Wettbewerben im Land, um ihren Sport unter Gleichgesinnten auszuüben. Laufen hat sich zum Boom entwickelt. Eine Blase, die bald platzt, oder doch ein anhaltender Trend?
Vielleicht hilft der folgende persönliche Rückblick, der Faszination „Laufen“ ein bisschen auf den Grund zu kommen. Mir fällt noch heute, Jahrzehnte später, immer wieder die Erzählung „Die Einsamkeit des Langstreckenläufers“ ein, die wir im Englischunterricht gelesen haben. Der junge Colin Smith war auf die schiefe Bahn geraten und begann im Erziehungsheim, Langstrecke zu trainieren. Damit hatte er die Möglichkeit, seine soziale Schicht hinter sich zu lassen. Freilich: Im Wettkampf wollte er sich vor dem Ziel als Führender einholen lassen – um sich seine Freiheit zu bewahren.
„Freiheit“ – diesen Wert sucht wohl fast jeder in unterschiedlichem Maß, der sich die Laufschuhe schnürt und losrennt. Dabei macht es keinen Unterschied, ob man als Bühne den urbanen Asphaltdschungel, idyllische Wiesen oder Bergpfade wählt. Und frei fühlen kann man sich auch mit gequältem Blick beim Herauskitzeln der letzten Reserven. So ging es jedenfalls mir, als ich – am Anfang oft noch lächelnd, aber mit jedem Schritt grimmiger blickend – zu den Hütten und Almen in der Umgebung hinauflief.
Allerdings: Wer sich zu oft quält, weil er am liebsten am Anschlag unterwegs ist, ruiniert auf die Dauer Motivation und Körper. Zwei – relativ – kaputte Knie später bin ich klüger geworden.
Laufevents wie Sand am Meer
Fanden früher lediglich vereinzelt und hin und wieder Laufveranstaltungen statt, so sprießen sie inzwischen aus dem Boden wie die Pilze nach einem warmen Regen. Anfang Mai geht schon zum zwölften Mal der Feldkircher Älpele-Lauf über die Bühne, am 30. Mai findet der Bodensee-Frauenlauf statt. Zu den weiteren Highlights in Vorarlberg heuer zählen der Muttersberglauf, der Lecher Höhenhalbmarathon, der Karren- und der Pfänderlauf sowie der 3-Länder-Marathon am Bodensee am 4. Oktober. Der Angebotstisch präsentiert sich reichlich gedeckt.
Vorarlbergs weibliches Aushängeschild in Sachen Laufen, Sabine Reiner, die gerade eine Gruppe von Teilnehmerinnen auf den Frauenlauf vorbereitet, weiß einen anderen Grund, warum sich inzwischen dermaßen viele dem Laufen regelrecht verschrieben haben. „Laufen kann man fast überall, es ist einfach, im Grunde braucht man eigentlich nur ein Paar Laufschuhe dabeizuhaben“, sagt die Berglaufspezialistin, die sich auch gerne in der Ebene laufend bewegt. Und sie verweist auf den Faktor Zeit: Um den gleichen Trainingseffekt wie beim Laufen zu erzielen, müssen Radfahrer eineinhalb Mal länger unterwegs sein.
„Jede dritte Vorarlbergerin bzw. jeder dritte Vorarlberger läuft“, schätzt die Dornbirnerin. „Es gibt Leute, die wollen einmal in ihrem Leben einen Marathon laufen oder setzen sich einmal jährlich als Ziel, gut trainiert an einer Laufveranstaltung teilzunehmen.“ Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die Laufevents boomen. Die Sportartikelindustrie wiederum hat erkannt, dass solche Veranstaltungen ein Geschäft sein können. Deshalb sind die Ausrüster rund um Laufevents fast omnipräsent.
Überehrgeiz schadet
Obwohl Laufen grundsätzlich als einfacher Sport gilt, können Laien und Überehrgeizige doch einiges falsch machen und ihrem Körper mehr schaden als nützen. „Niemand sollte sich überschätzen“, warnt Expertin Reiner. Sie hat infolge von Überbelastung auch schon die negativen Auswirkungen auf den Körper gespürt. Die kamen mit zeitlicher Verzögerung – nämlich eine Saison später. Ein Prinzip von ihr lautet: „Auf den Körper hören, rechtzeitig Pausen machen!“
Wer die eigenen Grenzen überschreitet, wird vielfach bewundert. Beim Laufen gilt es allerdings, diese zu respektieren, statt sie zu ignorieren. Reiner: „Ich kenne einige, die sich bei einem Marathon überfordert und den Knochen, Bändern, Sehnen, Gelenken und Organen Schaden zugefügt haben. Es dauerte bis zu zwei Jahre, ehe sie wieder an frühere Leistungen anknüpfen konnten.“ Die Grundregel lautet: Stets ein machbares Maß als Ziel verfolgen!
Wer in der kalten Jahreszeit Grundlagenaufbau betreibt und dann im Frühjahr an der Intensität arbeitet, beschreitet einen guten Weg. Zu dem guten Weg gehört ebenfalls, nach einem Wettkampf eine Auszeit einzulegen, abhängig von der Belastungsdauer. Reiner: „Man muss dem Körper zurückgeben, was von ihm gefordert wurde.“
Besser als Psychopharmaka
Wenige, die regelmäßig laufen, geben zu, dass sie aus einem psychischen Leiden heraus mit diesem Sport begonnen haben. Für sie geht es nicht nur darum, wieder einmal den Kopf freizubekommen. Sie haben sich dem Laufen verschrieben, um zu gesunden. Einigen hat es der Arzt quasi verordnet. Denn Laufen genießt den Ruf, besser als Psychopharmaka zu wirken.
Laufen ist kein teurer Sport, wenngleich gute Laufschuhe doch ordentlich kosten. Dennoch rät Sabine Reiner jenen, die es mit dem Laufen wirklich ernst meinen, sich gleich zwei oder gar drei Paar Schuhe zu kaufen – für das Grundlagentraining, für schnelle Läufe und für Bergstrecken.
Viele Trendsportarten haben sich in den vergangenen Jahren als Seifenblasen entpuppt. Laufen hingegen hat wohl Bestand. Immerhin geht es um nichts Geringeres als die Freiheit.
Expertentipps
Wer sich persönlich Expertentipps zum Laufen holen will, kann an einem der Laufcamps von Sabine Reiner teilnehmen. Infos dazu: www.sabinereiner.com
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